Emotionales Thema Babyschütteln beschäftigt Obergericht SO
Ein Mann soll im Jahr 2012 seine kleine Tochter durch heftiges Schütteln schwer verletzt haben. Enormer Stress sei der Grund gewesen, so die Verteidigung.

Das Wichtigste in Kürze
- Im Jahr 2012 soll ein heute 36-Jähriger seine Tochter heftig geschüttelt haben.
- Ein weiterer Vorwurf: Er soll seinen acht Wochen alten Sohn erstickt haben.
- Im Falle des Sohnes wurde er freigesprochen, nicht aber wegen des Schüttelns.
Das Obergericht des Kantons Solothurn hat sich am Dienstag mit einem hoch-emotionalen Thema befasst. Der Beschuldigte soll im Frühling 2012 seine kleine Tochter heftig geschüttelt und damit schwer verletzt haben. Die Verteidigung verlangte einen Freispruch.
Ursprünglich war dem heute 36-jährigen Schweizer auch vorgeworfen worden, im Juli 2010 seinen ebenfalls acht Wochen alten erstgeborenen Sohn erstickt zu haben. In diesem Fall ist der Mann rechtskräftig freigesprochen.
Ankläger akzeptierte nur Freispruch im Fall des Buben
Für die erste Instanz, das Amtsgericht Dorneck-Thierstein SO, genügten die Indizien in beiden Fällen nicht für eine Verurteilung. Im Mai 2021 sprach es den Mann frei. Der Ankläger akzeptierte aber nur den Freispruch im Fall des Buben.
Am Obergericht ging es deshalb um das Schütteln des Mädchens. Der Ankläger wirft dem Vater mehrfach versuchte vorsätzliche Tötung vor, eventuell schwere Körperverletzung. Er forderte eine Freiheitsstrafe von 8,5 Jahren.
Da im vorliegenden Fall nur der Vater oder die Mutter als Täter oder Täterin in Frage kommen, zielte der Staatsanwalt in seinem Plädoyer darauf ab, die Mutter als Täterin klar auszuschliessen. Daraus müsse die Verurteilung des Vaters als einzig möglicher Täter folgen. Das Verfahren gegen die Frau war 2017 eingestellt worden.

Kern der Argumentation des Anklägers waren überwachte Gespräche zwischen den Eltern. Die Mutter habe verzweifelt darauf beharrt, dass Wahrheit und Gerechtigkeit ans Licht kämen. Immer wieder habe sie das Thema angeschnitten.
Der Beschuldigte dagegen sei ausgewichen, habe abgewiegelt, beschwichtigt, abgelenkt. Er habe kein Interesse daran gezeigt, wer seine Tochter geschüttelt habe.
Der Mann sei zum Zeitpunkt des Schüttelns unter enormem Stress gestanden, sagte der Staatsanwalt: Die Ehe war in einer Krise. Der Mann hatte einen langen Arbeitstag hinter sich. Er war allein mit dem Baby, das eine volle Stunde lang schrie.
Not-Operation rettete Baby
Als die Mutter nach Hause kam, war das Kind bleich, trank nicht, schrie. Nur dank einer rasch erfolgten Not-Operation sei das Baby nicht in unmittelbarer Lebensgefahr gewesen, sagte der Staatsanwalt.
Die Verteidigerin plädierte für Freispruch und eine angemessene Genugtuung für ihren Mandanten. Sie machte diverse juristische Einwände bezüglich den Ermittlungen geltend, namentlich zum Einsatz verdeckter Ermittler. Belastendes gegen ihren Mandanten hätten diese nicht erbracht, aber «grossen Schaden angerichtet».
Für die Verteidigerin ist zwar erstellt, dass das kleine Mädchen ein Schütteltrauma erlitten hat. Wann dieses entstanden sei, sei aber ihrer Ansicht nach nicht klar eingrenzbar. Es könnte auch geschehen sein, bevor der Vater allein mit dem Baby war.

Die abgehörten Gespräche bewiesen weder die Schuld ihres Mandanten noch die Unschuld der Kindsmuttter, sagte die Anwältin. Der Vater habe einfach nicht gewusst, was mit seinem Kind passiert war. Er sei eine zurückhaltende Person und nicht so wortgewandt wie die Frau. Jeder Mensch gehe mit Emotionen nun einmal anders um.
Es gehe ihr nicht darum, den Spiess einfach umzudrehen und die Schuld der Mutter zuzuschieben, versicherte sie. Der Staatsanwalt argumentiere jedoch mit der Ausschluss-Methode. Sie wolle zeigen, dass die Frau – trotz Verfahrenseinstellung – «nicht einfach ausgeschlossen werden kann».
Der Beschuldigte verfolgte die Verhandlung regungslos. Wie schon vor der ersten Instanz machte er von seinem Recht auf Aussageverweigerung Gebrauch. Er verzichtete auch auf ein Schlusswort. Das Urteil wird am Donnerstagnachmittag eröffnet.