Die EU beschliesst den Grünen Impfpass für gegen das Coronavirus Geimpfte. Damit wächst der Druck auf den Bund. Die Schweiz droht sonst zur Insel zu verkommen.
EU-Sondergipfel
Charles Michel (Bildschirm, oben), Präsident des Europäischen Rats, nimmt an einer EU-Gipfel-Videokonferenz mit den 27 Staats- und Regierungschefs teil. - dpa
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Das Wichtigste in Kürze

  • Die EU will in rund drei Monaten den Grünen Impfpass für Corona-Geimpfte einführen.
  • Der Bundesrat diskutiert bereits Privilegien für Corona-Geimpfte.
  • Zieht die Schweiz nicht mit der EU mit, droht sie zur Corona-Insel zu verkommen.

Österreichs Kanzler Sebastian Kurz wollte ihn – nun kriegt er ihn: Die Europäische Union hat am Online-Gipfeltreffen der Staats- und Regierungschefs dem Grünen Corona-Impfpass grünes Licht gegeben. Dieser soll in rund drei Monaten eingeführt werden, wie die deutsche Bundeskanzlerin Angela Merkel erklärte.

Impfvorzeigeland Israel hat den Grünen Pass bereits. Wer ihn besitzt, hat Vorteile, etwa Einlass beim Fitnessstudio, im Restaurant oder in Kultureinrichtungen. Künftig sollen auch Reisen, beispielsweise nach Griechenland, erleichtert werden. Die Möglichkeit solcher Vorteile von gegen das Coronavirus Geimpften soll nun auch mit dem EU-Impfpass geschaffen werden.

Coronavirus in Israel
Eine Frau in Tel Aviv, Israel, zeigt ihr Impfzertifikat. - Keystone

Insbesondere Tourismusdestinationen wie Griechenland, Zypern, aber auch Österreich pochen darauf, dass Reiseerleichterungen inbegriffen sind. Doch Kanzlerin Merkel betont: «Darüber sind überhaupt noch keine politischen Entscheidungen getroffen.» Der Grüne Pass heisse nicht, dass künftig nur reisen dürfe, wer einen Impfpass habe.

EU-Impfpass macht Druck auf Bund

Klar ist: Mit dem EU-Impfpass für Corona-Geimpfte wächst auch hierzulande der Druck, einen solchen einzuführen. Ansonsten könnte die Schweiz zur Corona-Insel verkommen. Ein- und Ausreisen von und in die EU würden erschwert und die Feriendestination Schweiz droht abgehängt zu werden.

Doch wo steht die Schweiz in Sachen Impfpass? Verschiedene Bundesämter prüfen derzeit gemeinsam mögliche Regelungen bezüglich Vorteile für gegen das Coronavirus Geimpfte. Gleichzeitig diskutiert auch der Bundesrat über eine Sonderbehandlung nach Impfstatus.

bundesrat coronavirus
Bundespräsident Guy Parmelin, rechts, diskutiert mit Bundesrat Alain Berset am Ende einer Medienkonferenz des Bundesrates zur aktuellen Lage im Zusammenhang mit dem Coronavirus. - Keystone

Ein Schweizer Alleingang kommt für Gesundheitsminister Alain Berset aber nicht infrage. Man werde dies multilateral anschauen müssen, erklärte er jüngst.

Das BAG ergänzt heute gegenüber Nau.ch: Die internationale Reisefreiheit sei der Schweiz ein wichtiges Anliegen. Eine weltweite Anerkennung des Reiseimpfpasses müsse darum multilateral abgestimmt sein. Man begrüsse darum ein international koordiniertes Vorgehen eines «global anerkannten und elektronischen Impfnachweises».

Wichtige Fragen, etwa ob eine Impfung eine Übertragung oder Weiterverbreitung verhindere, seien aber noch offen.

Tourismus unterstützt internationale Lösung

Der Schweizer Tourismusverband unterstützt diesen multilateralen Weg. Denn wenn jedes Land andere Einreisekriterien definiere, drohe eine Reiseblockade. «Das gilt es wenn möglich zu verhindern», sagt Direktorin Barbara Gisi zu Nau.ch.

Barbara Gisi
Barbara Gisi, Direktorin Schweizer Tourismus-Verband (STV). - keystone

Zudem dürfe für den Schweizer Tourismus kein Wettbewerbsnachteil entstehen. Etwa, wenn andere europäische Länder den EU-Impfpass für die Einreise akzeptieren.

Dann «müsste die Schweiz nachziehen und geimpfte Personen nach denselben Regeln einreisen lassen».

Aktuell liege die internationale Reisetätigkeit am Boden. Darum unterstützt der Tourismusverband alle Massnahmen, die dem Tourismus die dringend benötigten Gäste zurückbringen. «Sollte der Impfpass dazu dienen, das Reisen in und nach Europa; und damit auch in die Schweiz – zu erleichtern, wäre das klar im Interesse des STV.»

Impfausweis im Kampf gegen Coronavirus: Heisse Diskussion steht an

Impfprivilegien für gegen das Coronavirus Geimpfte dürften hierzulande aber noch heiss diskutiert werden. Vor allem impfkritischen Kreisen läuft der Grüne Pass zuwider. So schreiben die Grünen, deren Parteibasis besonders impfkritisch ist, in einem Positionspapier: «Menschen, welche auf eine Impfung verzichten, dürfen keinerlei (soziale) Nachteile oder Druck erfahren.»

Und Parteipräsident Balthasar Glättli selbst meint, dass die Schweiz hierfür eine gesetzliche Grundlage benötige: «Ohne eine solche dürfen Private nicht nach Impfstatus unterscheiden», ist der studierte Philosoph überzeugt. Ohnehin sei der Zeitpunkt, Privilegien auszuarbeiten, zu früh. Zuerst müssten sich alle Menschen freiwillig gegen das Coronavirus impfen lassen können.

Balthasar Glättli Coronavirus
Balthasar Glättli, Präsident der Grünen, will eine gesetzliche Grundlage für einen Impfpass. (Archivbild) - Nau.ch

Auch die Corona-Taskforce des Bundes weist darauf hin, dass die Grundrechte von Nicht-Geimpften weiterhin respektiert werden müssen.

Impfausweis werde kaum funktionieren

Nebst der Impfmöglichkeit weist Jürg Stettler, Tourismus-Experte der Hochschule Luzern, auf einen weiterer kritischen Punkt hin. «Wir sehen uns mit immer mehr Mutationen konfrontiert.» Darum: «Ein Impfausweis verleiht zurzeit lediglich eine trügerische Sicherheit.»

Fluggesellschaft Swiss
Jürg Stettler ist an der Hochschule Luzern Vizedirektor des Wirtschaftsdepartements und Leiter des Instituts für Tourismuswirtschaft. - zVg

In dieser geplanten, simplen Form werde ein Impfausweis, zumindest zurzeit, kaum funktionieren. Darum sei das internationale Reisen wohl noch eine Zeit lang sehr schwierig. Ein Impfausweis könne zwar ein wichtiges «Instrument zur Lösung» sein, die Lösung selbst sei es aber nicht.

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