Blattnerin: «Wir haben null Ahnung, wo unser Haus stand»

Experten prüfen erstmals direkt das Material, das das Dorf Blatten verschüttet hat. Noch ist der Schutt stabil. Wir halten dich im Ticker auf dem Laufenden.

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So sah Blatten VS am Freitagnachmittag, 30. Mai 2025 – zwei Tage nach dem Bergsturz – von oben aus. - Nau.ch/Nico Leuthold

Das Wichtigste in Kürze

  • Der Schuttberg im verschütteten Blatten VS ist stellenweise 100 Meter hoch.
  • Geologen schätzen, dass rund ein Drittel davon aus Gletschereis besteht.
  • Spezialisten prüfen derzeit die Stabilität des Materials.
  • Hier findest du die neusten Entwicklungen rund um die Ereignisse in Blatten VS.

Der Schutthaufen auf dem verschütteten Bergdorf Blatten in der Schweiz ist nach Schätzungen teils 100 Meter hoch.

Das berichtete der Geologe des Kantons Wallis, Raphael Mayoraz. Dies, nachdem Spezialisten erstmals direkt auf dem Schuttberg gelandet sind, um die Konsistenz zu prüfen.

Das Material sei bislang fest, aber das könne sich ändern, sagte er der Schweizer Zeitung «Le Nouvelliste». Aufräumarbeiten sind bislang zu gefährlich, weil der Schutt überall jederzeit einbrechen könnte.

«Bisher haben wir keine grösseren Risse oder Einstürze festgestellt», sagte Mayoraz der Zeitung. «Das kann sich jedoch ändern, wenn das Eis zu schmelzen beginnt.»

Alle Informationen zu den Entwicklungen in und um Blatten vom Vortag gibt es im Ticker vom Montag. Die neuesten Informationen gibt es hier:

Blattnerin: «Wir haben null Ahnung, wo unser Haus stand»

16.30: Die Familie Bellwald aus Blatten VS hat fast alles verloren. «Wir haben unser Zuhause verloren, unsere Heimat verloren», erzählt Esther Bellwald bei SRF. So richtig würden sie das Ganze noch nicht realisieren.

Der riesige Schuttberg hat das ganze Dorf begraben und auch das Tal massiv verändert. Die Familie erkennt das Lötschental selbst fast nicht mehr: «Wir haben null Ahnung, wo unser Haus stand.»

Es gebe gar keine Anhaltspunkte mehr. Ein ganzer Teil des Waldes würde fehlen.

Blatten Esther Bellwald
Esther Bellwald erkennt wegen dem riesigen Schuttberg nicht mehr wo ihr Haus stand. - Screenshot SRF

Die Familie führt das Hotel Ried, das es seit 50 Jahren gab. Bilder von Blatten kann sie noch nicht anschauen, zu fest belastet sie das Ganze noch.

Im Netzt würden viele Bilder und Videos von früher teilen, erzählt sie. Die vielen Traditionen, die Kultur und die Dorffeste würde sie am meisten vermissen, sagt Bellwald.

Momentan lebt die Familie bei Bekannten im Nachbardorf Wiler VS. Auch neue Kleider mag sie noch nicht kaufen: «Ich habe gemerkt, dass ich null Nerven für sowas habe…»

Einwohner von Blatten VS könnten in Zweitwohnungen unterkommen

14.30 Uhr: Das Bedürfnis der Evakuierten aus Blatten VS nach langfristig beziehbarem Wohnraum ist gross. Eine Lösung könnten Zweitwohnungen sein, die nur wenig gebraucht werden.

«Hier im Tal gibt es noch viel Wohnraum», sagte Matthias Ebener vom Gemeindeführungsstab der Nachrichtenagentur Keystone-SDA. Dabei handle es sich vor allem um Zweitwohnungen, die häufig zum Ferienmachen verwendet werden.

Darunter seien Wohnungen, die wenig gebraucht würden. Aber auch solche, die oft vermietet seien, vor allem in der Wintersaison.

«Vor ein paar Tagen haben wir ein E-Mail verfasst an alle Zweitwohnungsbesitzenden. Sie sollen sich überlegen, ihre Wohnung zur Verfügung zu stellen», sagte Ebener.

Matthias Ebener
Matthias Ebener an einer Medienkonferenz. - keystone

Auf das Schreiben habe es sehr viele Rückmeldungen gegeben. Die Solidarität sei sehr hoch. Es sei unglaublich, wie viele Leute dazu bereit seien, ihre Häuser zur Verfügung zu stellen, hiess es weiter.

So könnten Einheimische weiterhin im Tal wohnen und müssten sich nicht eine Wohnung ausserhalb des Lötschentals oder des Wallis suchen. Die Chancen stünden gut, dass viele der Zweitwohnungen von Blattnern bewohnt werden können, sagte Ebener.

Lage in Blatten VS stabil – weiter stetige Felsabbrüche

11.10 Uhr: Die Lage im Bergsturzgebiet von Blatten im Walliser Lötschental ist in der Nacht auf Dienstag stabil geblieben. Am Birchgletscher gab es keine erkennbaren Veränderungen. Am Kleinen Nesthorn kommt es hingegen weiterhin zu kleineren Felsabbrüchen.

Dies sei auch der Grund, wieso der Schuttkegel in der Talsohle nach wie vor nicht begehbar und nicht für Räumungsarbeiten freigegeben worden sei, sagte Fernando Lehner vom Regionalen Führungsstab der Nachrichtenagentur Keystone-SDA auf Anfrage. Der Korridor oberhalb des Gletschers fasst etwa 300'000 Kubikmeter Gestein.

Blatten
Die Lonza überströmt Schlamm und Geröll bei den letzten Häusern von Blatten, einen Tag nach dem verheerenden Gletschersturz. - keystone

Am Dienstag waren Teilbegehungen durch Naturexperten geplant. Dadurch soll die Naturgefahrenbeurteilung aktualisiert werden können. Zudem wurde abgeklärt, ob einzelne Zonen zur Ausführung bestimmter Arbeiten in Absprache mit dem Führungsstab freigegeben werden können.

Priorität habe etwa der Bau einer Rettungsstrasse nach Ried und Eisten, das Freischaufeln des neuen Bachbetts der Lonza und das Entfernen des Schwemmholzes mit dem Helikopter, erklärte Lehner.

Pegelstand des Sees stabil

Die am Vortag wieder aufgenommene Suche nach dem Vermissten wurde fortgesetzt. Der 64-jährige Einheimische war offenbar vom Gletscherabbruch am Mittwochnachmittag überrascht worden, als er sich um seine Schafe kümmern wollte.

Der Pegelstand des Sees hinter dem Schuttkegel pendelte sich derweil ein, wie der Regionale Führungsstab in einer Medienmitteilung schreibt. Bezüglich der Wetterlage gebe es derzeit keine besonderen Herausforderungen. Einsatzkräfte überwachen die Lage ständig.

Ferden Stausee
Der entleerte Stausee in Ferden VS. - keysone

Der Fluss füllte den vorsorglich entleerten Stausee in Ferden weiterhin auf. Weil die Konzentration der Ablagerungen im Wasser zu hoch war, konnte nach wie vor nicht turbiniert werden, wie Lehner sagte. Der Grundablass des Stausees blieb daher teilweise geöffnet. Diese Massnahme ermöglicht den Abfluss des Wassers vom Stausee in die Lonza.

Klimawandel hat Bergsturz in Blatten laut Forschern wohl beeinflusst

10.59 Uhr: Ein direkter Zusammenhang zwischen dem Klimawandel und dem Einsturz des Birchgletschers ist bisher nicht nachgewiesen. Das halten Forschende der ETH Zürich in einem neuen Faktenblatt fest. Sie halten es jedoch für wahrscheinlich, dass die steigenden Temperaturen einen Einfluss hatten.

Die direkte Verknüpfung einzelner Ereignisse mit dem Klimawandel sei schwierig und oft spekulativ, schreiben die ETH und WSL-Gletscherforscher Daniel Farinotti, Matthias Huss und Mylène Jacquemart im Faktenblatt. Dieses soll den aktuellen Kenntnisstand aus Sicht der Gletscherforschung zusammentragen.

Blatten
Beinahe ganz Blatten liegt unter einem kilometerlangen Schuttkegel. - keystone

«Dieses Ereignis hätte sicherlich auch unabhängig vom Klimawandel stattfinden können», heisst es im Faktenblatt. Allerdings führen die weltweit steigenden Temperaturen tatsächlich zu drastischen Veränderungen in Hochgebirgsregionen. Dies führt zu einer höheren Verfügbarkeit von Schmelzwasser und dazu, dass in grossen Höhen vermehrt Regen statt Schnee fällt.

All diese Veränderungen wirken sich kurzfristig und mittelfristig negativ auf die allgemeine Stabilität von Permafrost-betroffenen Felswänden aus. «Insofern erscheint es wahrscheinlich, dass der Klimawandel bei diesem Ereignis eine Rolle gespielt hat.»

Es sei zudem auffällig, dass es in den letzten Jahren auf dieser Höhenstufe immer wieder zu solchen Ereignissen gekommen sei, führte Huss auf Anfrage der Nachrichtenagentur Keystone-SDA aus.

Bundesrat könnte bereits am Freitag Geld für Blatten sprechen

10.43 Uhr: Blatten könnte nach dem Felssturz bald Hilfe des Bundes erhalten. Wie «CH Media» berichtet, soll der Bundesrat bereits an seiner Sitzung vom Freitag über Soforthilfen diskutieren.

Demnach sollen Albert Röstis Umweltdepartement und Karin Keller-Sutters Finanzdepartement an Soforthilfen arbeiten. Verteidigungsminister Martin Pfister soll ebenfalls zu einem solchen Vorhaben bereit sein.

Blatten
Unmittelbar nach dem Abbruch in Blatten reisten Martin Pfister und Albert Rösti ins Lötschental. - keystone

Rösti sagt zum Thema Hilfen für Blatten: «Aussergewöhnliche Situationen wie diese erfordern auch aussergewöhnliche Massnahmen.» Man habe rasche und unbürokratische Hilfe versprochen, nun müssen laut dem Umweltminister Taten folgen.

Im Fokus sollen Massnahmen stehen, die der Gemeinde zurück in den Alltag verhelfen. Beispielsweise könnte der Bund beim Bereitstellen von Containern oder Schultransporten helfen.

Talratspräsident Rieder: «Der Schuttkegel könnte begrünt werden»

09.00 Uhr: Christian Rieder, Talratspräsident des Lötschentals, sagt in einem Interview bei SRF, dass sich die Situation langsam beruhige.

Aber leider nicht für die Betroffenen aus Blatten VS. Sie wurden evakuiert, was impliziere, dass man zurückkehren könne. «Doch das ist leider nicht der Fall», sagt Rieder.

Weiter berichtet er, dass ihm die Naturkatastrophe Angst gemacht habe: «Nicht primär, weil ich dort eine Wohnung habe, sondern wegen der Dimension dieses Ereignisses.» Neben Angst seien auch Ärger und Frust präsent. Der Bergsturz habe das Lötschental zurückgeworfen, aber man dürfe den Kopf nicht in den Sand stecken.

blatten vs
Christian Rieder ist Talratspräsident des Lötschentals. - keystone

Er ist klar der Meinung, dass Blatten – unter den richtigen Voraussetzungen – «eine neue Chance bekommen muss.» Der Wiederaufbau müsse aber innerhalb eines raumplanerischen Rahmens erfolgen, unter Einbezug aller bekannten Naturgefahren. Die Sicherheit stehe an erster Stelle.

Den ganzen Schuttkegel abzutragen, hält Rieder für unrealistisch. «Es ist wahrscheinlicher, dass Blatten an einem anderen Ort neu entsteht.»

Zum Beispiel in Weissenried, das ja bereits zur Gemeinde gehöre. Es müsse genau geprüft werden, wo unter welchen Bedingungen ein Wiederaufbau möglich sei. «Der Schuttkegel könnte begrünt werden», hält Rieder fest.

Schulpsychologin in Blatten VS: «Kinder sollen in den Alltag zurückkehren»

7.00 Uhr: Kinder sollen laut der im Lötschental beigezogenen Schulpsychologin Romaine Schnyder nach einem schlimmen Ereignis in den Alltag zurückkehren können. Die Schule sollte dennoch die Möglichkeit bieten, sich über das Geschehene auszutauschen, wie sie sagte.

«Die Kinder sollen Gelegenheit haben, über ihre Ängste und Sorgen zu sprechen», sagte die Chefin des Zentrums für Entwicklung und Therapie des Kindes des Kantons Wallis in einem am Dienstag im «Walliser Bote» veröffentlichten Interview. Schnyder ist zudem Adjunktin bei der kantonalen Dienststelle für die Jugend.

Blatten VS
Beinahe ganz Blatten liegt unter einem kilometerlangen Schuttkegel. - keystone

«Anfangs wird der Fokus auf das Ereignis gelegt und Platz für Diskussionen geschaffen», sagte sie. Anschliessend gehe der gewohnte Unterricht weiter. Dass der Schulunterricht weiter gehe, gebe den Kindern Halt und Sicherheit.

«Die Kinder sollen merken: Ich kann meine Fragen stellen, es ist aber auch gut, wenn ich, für einen Moment, in die Normalität zurückkehren kann», sagte Schnyder.

Am Montag waren Schnyder und eine weitere Psychologin vor Ort, um die Schule am ersten Schultag nach dem Abbruch des Birchgletschers zu begleiten, wie aus dem Interview hervorging. Auch für die Eltern stehen sie demnach zur Verfügung.

In dem vergangene Woche von einem Berg- und Gletschersturz verschütteten Dorf Blatten gab es schon lange keine Schule mehr. Die Primarschülerinnen und -schüler werden im benachbarten Wiler unterrichtet. Für die Sekundarstufe geht es nach Kippel.

Laut der Walliser Dienststelle für Unterrichtswesen werden Überlegungen angestellt, wie das Schuljahr enden soll.

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