Berufstätige leiden unter Koch-Stress: Zürcher Paar hat Lösung
Manuela R. und ihr Mann hatten Mühe, sich nach der Arbeit gesund zu ernähren. Deshalb starteten sie einen Aufruf. Mit dem Problem kämpfen viele Berufstätige.

Das Wichtigste in Kürze
- «Mein Mann und ich haben abends oft kaum Zeit und Lust, gesund zu kochen», sagt Manuela R.
- Mit einem Aufruf fanden sie jemanden, der gesunde Menüs zubereitet – gratis.
- Eine Ernährungswissenschaftlerin zeigt, wie man Job und Kochtopf unter einen Hut bringt.
Vor dem Feierabend im Büro ein Menü in Auftrag geben und die Küchenmaschine zu Hause spuckt es aus. Von einem solchen Znacht-Service dürften viele Berufstätige träumen. Auch Manuela R.* aus Kleinandelfingen ZH hat Mühe, Job und Kochtopf unter einen Hut zu bringen.
R. ist Geschäftsleiterin einer Werbeagentur. Zudem arbeitet das Paar abends regelmässig für eine Lebensmittelausgabe.
«Mein Mann und ich haben abends oft kaum Zeit und Lust, gesund zu kochen», sagt die 54-Jährige zu Nau.ch. Meist hätten sie deshalb etwas Schnelles gekocht wie Nudeln und etwas Fleisch. «Das Gesündeste daran war der Salat aus der Packung.»
Wegen Stress ungesunde Menüs
Manchmal reichte es aber auch nur für eine kalte Platte. Oft schnappte sich das Paar zudem beim Takeaway einen Znacht. «Dann gab es Pizza, Kebab oder Hamburger – alles ungesund.»
Gemüse sei hingegen praktisch nicht mehr auf den Teller gekommen. «Vor allem, weil das Rüsten aufwändig ist.»
Vor einigen Wochen wollten R. und ihr Mann ihre Essensgewohnheiten umstellen. «Ausschlaggebend war sicher auch die Diabetes-Diagnose meines Mannes.»
R. startete auf Facebook einen Aufruf. Darin suchte sie jemanden, der für sie dreimal pro Woche ein gesundes Menü zubereitet.
Service sei eine Win-Win-Situation
Inzwischen ist das Paar fündig geworden. Montags, mittwochs und freitags verköstigt ihre Nachbarin sie. Abends holt das Paar das Essen direkt bei ihr ab. «Sie ist gelernte Köchin, arbeitet Teilzeit und kocht ohnehin für die ganze Familie.»
Der Service ist laut R. eine Win-Win-Situation. Die Familie der Nachbarin habe gegen das besonders gesunde Essen etwas rebelliert.
Darum habe die Mutter für sich separate Menüs gekocht. «Jetzt lohnt es sich für sie mehr, da sie diese Gerichte jetzt für drei Personen zubereiten kann.»
R. schwärmt von den Menüs, die ihre Nachbarin auf den Teller zaubert. Dazu zählen eine Gemüseplatte, ein Gemüsecurry oder ein Auberginenauflauf. «Alles ist sehr ausgewogen und überall hat es noch gesunde Nüsschen drin.»
Sohn beneidet Eltern
Nun muss das Paar das Menü allenfalls jeweils nur noch wärmen. «Es ist einfach schön, nach Hause zu kommen und sich hinsetzen zu können», sagt R.
Für den Service bezahlt das Paar keinen Rappen. «Wir hüten stattdessen die Kinder der Nachbarin zum Beispiel am Wochenende.» Dann habe sie auch genug Zeit, selbst zu kochen. «Ich koche extrem gerne, wenn ich Zeit habe – und am liebsten für ganz viele Gäste.»
Das Paar hat zwei erwachsene Kinder. Der 25-jährige Sohn und Student beneidet seine Eltern um den Service.
«In seiner WG sind sie mit den Essenslieferanten fast per Du», sagt Manuela R. schmunzelnd. Er fände es deshalb schön, wenn er auch ein solches Angebot in der Nähe hätte.
«Rennen mit fast irren Blicken durch Laden»
Christine Brombach ist Ernährungswissenschaftlerin an der Zürcher Hochschule für Angewandte Wissenschaften (ZHAW). Sie bestätigt, dass Kochen abends für viele Berufstätige Stress pur bedeutet. «Viele Frauen und Männer rennen nach der Arbeit unschlüssig durch den Laden, um schnell etwas abzugreifen.»
Sei man beim Einkaufen hungrig, wähle man oft nicht das Gesündeste, sagt Brombach.
Auf der anderen Seite gebe es viele Berufstätige, die zu Hause nichts mehr zubereiteten. «Sie haben vielleicht schon in der Kantine gegessen oder konsumieren To-Go-Menüs zum Beispiel direkt auf dem Nachhauseweg.» Andere wärmten sich zu Hause Convenience-Produkte auf.
Gesund kochen trotz Job
Brombach rät, am Wochenende mit kühlem Kopf einen Wochenplan zu erstellen. «Viel Zeit spart man unter der Woche, wenn man bestimmte Bestandteile vorkocht.» Auf diese Weise liessen sich auch zwei Mahlzeiten auf einmal abdecken.
Um nicht jeden Abend kochen zu müssen, empfiehlt sie, abends das Gemüse für den nächsten Tag zu rüsten.
Dies eigne sich etwa bei Ofengemüse. Auch könne man Kartoffeln vorkochen oder eine Suppe vorbereiten. «Grössere Mengen lassen sich einfrieren und dann über die Woche verteilt konsumieren.»

Laut Brombach sollen Berufstätige die Vor- und Zubereitung des Abendessens nicht als lästig ansehen. «Sich Zeit zum Kochen zu nehmen, ist auch ein Zeichen der Selbstwertschätzung.»
Auch solle sich niemand von der gesunden Ernährung unter Druck setzen lassen. «Am Ende sollte das Essen doch schmecken.» Als Faustregel empfiehlt Brombach, dass die Hälfte auf dem Teller aus Gemüse besteht.
«Natürlich kann auch mal ein Cheat-Tag hilfreich sein, wenn es schnell gehen muss und man sich ein Convenience-Produkt erwärmt.»
«Gemeinschaften bilden»
Sich von anderen bekochen zu lassen, statt selbst den Kochlöffel zu schwingen, findet Brombach eine gute Idee.
«Wir sollten uns mehr trauen, über die Nachbarschaft hinweg Gemeinschaften zu bilden.» Vielleicht koche jemand nicht gerne, habe aber Spass am Bügeln. «Mit solchen Tauschbörsen können sich Nachbarinnen und Nachbarn gegenseitig entlasten.»
Früher war klar, dass die Frau am Herd stand, bis der Ehemann und die Kinder nach Hause kamen. Seit 1970 hat sich die Zahl der berufstätigen Frauen mehr als verdoppelt. Von 964'000 im Jahr 1970 stieg der Anteil auf über zwei Millionen im Jahr 2023.
Frauen verbringen mehr Zeit mit Kochen
Die Emanzipation der Frau habe auch das Ernährungsverhalten verändert, sagt Christine Brombach. Inzwischen seien auch die Männer und Väter fürs Einkaufen und Kochen zuständig. «Es ist aber nach wie vor so, dass Frauen immer noch mehr im Haushalt übernehmen – trotz Job.»

Auch eine Studie des Bundes bestätigt, dass Frauen mehr Zeit mit Kochen verbringen als Männer. Bei Frauen dauert die durchschnittliche Zubereitungszeit für eine warme Mahlzeit 43 Minuten. Bei den Männern sind es 32 Minuten.
*Name der Redaktion bekannt.