Berikon: Netflix als Vorbild für Teenie-Mord? Das sagt der Experte
Die Serie «Adolescence» schockiert – und weist Parallelen zum Fall Berikon AG auf. Wie gefährlich ist mediale Gewalt? Ein Kriminalexperte ordnet ein.

Das Wichtigste in Kürze
- Der Netflix-Hit «Adolescence» zeigt Jugendgewalt im Zusammenhang mit sozialen Medien.
- Der Fall Berikon AG weist Parallelen zu der Serie auf.
- Kriminalexperte Dirk Baier erklärt, warum Konsum von medialer Gewalt gefährlich sein kann.
An der Netflix-Serie «Adolescence» kommt man momentan fast nicht vorbei. Der «Guardian» bezeichnet die Serie als die, «die der Vollkommenheit am nächsten kommt». Dies spiegelt sich auch in den Streaming-Zahlen wider: In den ersten zehn Tagen hatte «Adolescence» bereits 66 Millionen Views.
In der Miniserie geht es um den 13-jährigen Jamie. Getrieben von toxisch-männlichen Social-Media-Inhalten wird er bereits in seinen jungen Jahren Teil der Incel-Kultur. Dies ist eine Online-Subkultur, bestehend aus hauptsächlich heterosexuellen Männern, die sich von Frauen abgelehnt fühlen.
Aus Wut und Frust gegenüber Frauen ersticht Jamie eine Mitschülerin brutal mit einem Messer. Die Serie zeigt alles, was nach dieser Tat passiert, von der Verhaftung bis zu den Verhören. Eine fiktive Geschichte – doch alles andere als fernab unserer Realität.
Nicht nur auf Netflix: Der Fall Berikon
Ein junger Mensch bringt jemanden brutal mit einem Messer um: Eine Geschichte, die sich nicht nur auf dem TV-Bildschirm abspielt, sondern kürzlich auch in der Schweiz.
In Berikon AG stirbt am Sonntag eine 15-Jährige mutmasslich an Stichverletzungen. Ein 14-jähriges Mädchen wird festgenommen, es steht unter dringendem Tatverdacht. Die Mädchen sollen sich von der Schule gekannt haben.
In beiden Fällen sind Opfer und Täter sehr jung, man spricht von Stichverletzungen. Ausserdem kennen sich die Jugendlichen in beiden Fällen von der Schule. Sind diese Parallelen nur Zufall oder lässt sich hier ein Zusammenhang feststellen?
Ein Experte ordnet für Nau.ch ein.
«Mediale Gewalt kann eine Art Rollenvorbild bieten»
Dirk Baier, Leiter des Instituts für Kriminalprävention an der ZHAW, weist darauf hin, vorsichtig mit solchen Vergleichen zu sein. «Ich plädiere sehr dafür, die weiteren Ermittlungen abzuwarten.»
Intensiver Konsum medialer Gewalt könne aber dazu führen, dass sich eine positivere Einstellung zu Gewalt entwickelt.

Ausserdem, so Baier: «Junge Menschen können in vulnerablen Phasen sein, wenn sie beispielsweise wenig sozial integriert sind oder wenig Anerkennung erhalten.» Dann könne mediale Gewalt auch eine Art Rollenvorbild bieten. «Sofern aufgezeigt wird, dass man über Gewalt seine Probleme löst oder Anerkennung erhalten kann.»
Wichtig zu sagen sei aber, dass dies ausgesprochen selten passiere, so Baier. «Die allermeisten Jugendlichen können unterscheiden, was medial inszenierte Gewalt ist und was sich im alltäglichen Miteinander gehört.»
Kinder nicht mit gewalttätigen Inhalten allein lassen
Problematisch werde es, wenn junge Menschen zu früh mediale Gewalt konsumieren, meint Baier. Vor allem, wenn sie dies allein und nicht begleitet mit Erwachsenen tun würden, die das Gesehene mit den Kindern besprechen.
«Fakt ist, dass Kinder immer früher Smartphones bekommen und im Internet sowie den sozialen Medien unterwegs sind. Dann stossen sie plötzlich und unvorbereitet auf Gewalt, Pornografie oder Tierquälerei.»
«Schön wäre es, wenn die Plattformbetreiber solche Inhalte löschen würden. Das ist aber ein frommer Wunsch», sagt Baier. Insofern bleibe nur, die Kinder auf so etwas vorzubereiten.
Zukünftig müsse man wohl noch früher mit den Kindern solche mediale Gewalt besprechen. «Wir dürfen die Kinder nicht mit solchen Inhalten allein lassen.»