Autor Giuliano da Empoli blickt in den Abgrund der Weltpolitik

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Nach der Premiere von «Der Magier im Kreml» erscheint Giuliano da Empolis neues Buch «Die Stunde der Raubtiere».

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Kurz nach der Premiere von «Der Magier im Kreml» bringt Giuliano da Empoli neues Buch «Die Stunde der Raubtiere» heraus. (Symbolbild) - afp

Kurz nachdem die Verfilmung seines letzten Romans «Der Magier im Kreml» (2022) an den Filmfestspielen von Venedig Premiere feierte, erscheint «Die Stunde der Raubtiere» des schweizerisch-italienischen Autors Giuliano da Empoli. Es ist ein tagebuchartiger Essayband, der auf rund 20 Jahre Weltpolitik zurückschaut.

Über Politik zu schreiben, ist aktuell nicht einfach, denn was gestern geschah, ist im Zweifel heute schon komplett überholt oder gar kein Thema mehr. Der schweizerisch-italienische Schriftsteller und Politikwissenschaftler Giuliano da Empoli versucht in seinem Essayband «Die Stunde der Raubtiere», der parallel im französischen Original und in der deutschsprachigen Übersetzung erscheint, diese Entwicklung zu verstehen. Und: Er beschreibt die daraus hervorgehenden Herausforderungen der Gegenwart und der Zukunft.

Er beleuchtet tagebuchartig – immer versehen mit Datum und Ort von Rom im Oktober 1998 bis Berlin im Dezember 2024 – Momente aus seiner eigenen politischen Karriere: da Empoli war ab 2006 Berater des italienischen Kulturministers und ab 2009 stellvertretender Bürgermeister in Florenz – unter dem Bürgermeister Matteo Renzi. Letzterer wurde 2014 italienischer Ministerpräsident und da Empoli sein politischer Berater.

Jetzt fabuliert er darüber, was passiert, wenn die mächtigsten Menschen der Welt plötzlich alle auf engstem Raum sind. Er schreibt von Modefragen bei der UNO-Vollversammlung, von Machtspielen zwischen Sicherheitsleuten aus verschiedenen Ländern oder von einem Dinner bei der Obama-Stiftung.

Geheime Einblicke und Beobachtungen

Es sind Beobachtungen und Absurditäten aus einer Welt, die den meisten von uns verborgen bleibt. So weiss da Empoli beispielsweise auch, dass Trump nach seiner Wiederwahl im November 2024 diverse ausländische Staatschefs angerufen habe, um lachend anzukündigen: «Ha ha ha, I’m back!»

Giuliano da Empoli unterscheidet zwischen einer alten und einer neuen Welt. Im Vorwort schreibt er, sein «kleines Buch» versuche, «den Atem einer Welt in dem Augenblick einzufangen, in dem sie in den Abgrund stürzt – und die eiskalte Machtergreifung einer anderen, die an ihre Stelle tritt.»

Die Raubtiere der neuen Welt sind zum einen die Tech-Lords, zum anderen einzelne Player unserer Zeit wie beispielsweise der argentinische Präsident Javier Milei, der US-amerikanische Präsident Donald Trump, der saudi-arabische Kronprinz Mohammed bin Salman oder der israelische Premierminister Benjamin Netanjahu.

Gerüchteweise habe letzterer 2024 seine Reise zur UNO-Generalversammlung nur vorgegaukelt, um die Hisbollah zu weniger Wachsamkeit zu verleiten: «In der neuen Welt ist die UNO nur noch ein Köder, den man einsetzt, um seine Feinde zu treffen, wenn sie es am wenigsten erwarten.» Das schreibt da Empoli im ersten Tagebucheintrag, von New York im September 2024. Diese demokratischen Institutionen oder Menschenrechte hätten in der Stunde der Raubtiere nicht mehr den geringsten Wert.

Da Empoli: Der Schriftsteller am Rande

Als Schriftsteller sieht da Empoli seine eigene Rolle als jene des Typen «von dem man nicht recht weiss, was er da verloren hat, und der aller Logik nach eigentlich nicht am Tisch sitzen sollte». Er beobachtet, schreibt auf und sucht den Sinn.

Klar wird: In den letzten 20 Jahren hat sich der Wirkungsraum der Politik stark verschoben. Wahlkampf und Stimmungsmache geschehen heutzutage vor allem auch im digitalen Bereich und hier kommt nun seit einigen Jahren auch noch die Künstliche Intelligenz dazu. Dass Trump ganze Teile seiner Regierung dem Silicon Valley anvertraut, sieht da Empoli kritisch. Er sieht eine «posthumane Zukunft ohne die geringsten Sicherungsmechanismen» auf uns zukommen.

KI-Entscheidungen bleiben rätselhaft

Die durchschnittliche Orientierungslosigkeit in Hinblick auf die Technik vergleicht der Autor mit Kafkas «Das Schloss» oder «Der Prozess». Denn am Ende wisse eigentlich niemand, wie die Künstliche Intelligenz Entscheidungen trifft; das wüssten nicht einmal die Entwickler. Für unsere Zukunft sieht da Empoli deshalb schwarz: «Das Zeitfenster, in dem ein Regulierungssystem noch hätte eingerichtet werden können, hat sich heute wieder geschlossen.»

Spätestens in den Anmerkungen und dem Quellenverzeichnis am Ende wird klar, wie viel politisches, historisches, technisches oder literarisches Vorwissen da Empoli in diesen gut 100 Seiten voraussetzt. Und damit stellt sich die Frage, wer dieses Büchlein eigentlich lesen soll. Denn es bleibt dann doch ein Beschrieb von Altbekanntem, ein auswegloser Sturz in den Abgrund, der sich zum Teil unterhaltsam, zum Teil referentiell überladen liest.*

*Dieser Text von Philine Erni, Keystone-SDA, wurde mithilfe der Gottlieb und Hans Vogt-Stiftung realisiert.

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