Das Ende der Schweizer Atomkraftwerke ist zwar auch hierzulande besiegelt, aber noch in weiter Ferne. Wenn in Deutschland im nächsten Jahr das letzte Kernkraftwerk vom Netz geht, werden die Schweizer noch mehr als zwei Jahrzehnte Atomstrom nutzen.
AKW Mühleberg
Das AKW Mühleberg. - Keystone
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Das Wichtigste in Kürze

  • Die meisten Experten sind sich einig, dass sich neue AKWs gesellschaftlich nicht mehr durchsetzen lassen.

Auch wenn jüngst die befürwortenden Stimmen - angesichts einer drohenden Stromknappheit - wieder lauter geworden sind. So fordert etwa die SVP den Bau neuer Kernkraftwerke.

Das Gegenteil hat die Schweizer Bevölkerung aber bereits 2017 beschlossen: Damals wurde das revidierte Energiegesetz mit 58 Prozent der Stimmen angenommen. Dieses sieht vor, dass die Laufzeit der Kernkraftwerke zwar nicht beschränkt wird, so lange sie sicher sind. Der Bau neuer Atommeiler ist jedoch verboten.

Dabei planten die Schweizer Stromproduzenten noch bis 2011 den Bau von drei neuen Atomkraftwerken. Nach der Reaktorkatastrophe im japanischen Fukushima im März desselben Jahres sah die Welt aber völlig anders aus. Es kam zu einem extrem starken Erdbeben im Pazifik, und ein dadurch ausgelöster Tsunami überflutete auch die Atomkraftanlage Fukushima Daiichi.

Wegen der Wassermassen in den unteren Stockwerke fiel die Notstromversorgung aus, sodass es in drei der sechs Reaktorblöcken zur Kernschmelze und zu Explosionen kam. Rund 160'000 Anwohner mussten damals die verstrahlten Gebiete rund um das Kraftwerk verlassen. Zehntausende Menschen können noch immer nicht zurück. Es war die schlimmste Atomkatastrophe seit Tschernobyl im Jahr 1986.

Drei Tage später hat die damalige Energieministerin Doris Leuthard die Anträge für die neuen AKW in der Schweiz sistiert. Gut fünf Jahre später zogen Axpo, Alpiq und BKW die Bewilligungsgesuche für die geplanten Neubauten an den Standorten Beznau, Mühleberg und Niederamt dann auch noch offiziell zurück. Die Versorger sprachen gemeinsam von einer «fundamental geänderten» Ausgangslage. Der Markt sei heute ein ganz anderer, und die Politik habe in der Zwischenzeit die Weichen für eine Zukunft ohne Kernkraft gestellt.

Damit wurde das Ende einer Ära eingeläutet. In den 1950er-Jahren hatte sich die Schweiz zur Stromproduktion mit Atomenergie entschieden; eine Alternative wären Kohlekraftwerke gewesen. Jetzt sieht die Energiestrategie 2050 - neben dem Atomausstieg ohne Datum - vor, den hiesigen Energieverbrauch zu senken, die Energieeffizienz zu erhöhen und erneuerbare Energien zu fördern.

Die BKW hat den Startschuss für den Ausstieg gegeben: Der Berner Konzern hat einen der fünf Schweizer Meiler - nämlich Mühleberg - bereits vom Netz genommen. Es war vor allem ein betriebswirtschaftlicher Entscheid. 2013 entschied das Management unter Chefin Suzanne Thoma, dass der Meiler zu wenig Profit abwirft, als dass sich die damals - nach Fukushima - geforderten Aufrüstungen gelohnt hätten. Für einen Weiterbetrieb hätte man schätzungsweise zehnmal so viel investieren müssen. Am 20. Dezember 2019 wurde das Kernkraftwerk Mühleberg nach 47 Betriebsjahren für immer abgeschaltet. Der Abbau hat begonnen.

Ganz anders aber die Pläne für die anderen Reaktoren: Das Kernkraftwerk Gösgen etwa, an dem Alpiq zu 40 Prozent beteiligt ist und die Geschäftsführung innehat, geht von einem Betrieb von mindestens 60 Jahren aus. Gösgen nahm 1979 den kommerziellen Betrieb auf und dürfte somit also noch bis mindestens 2039 aktiv sein.

Am längsten dürfte in der Schweiz jedoch das Atomkraftwerk Leibstadt Strom ins Netz speisen. Ziel der Betreiber - Axpo, Alpiq und BKW sind beteiligt - ist es, dass der Reaktor bis mindestens ins Jahr 2045 Strom produziert. Leibstadt ist nicht nur das grösste Kraftwerk, sondern erst seit 1984 in Betrieb und damit das jüngste. Mit einer installierten Leistung von über 1'200 Megawatt werden nach eigenen Angaben rund 16 Prozent der hiesigen Stromproduktion abgedeckt.

Keine konkreten Pläne gibt es für die beiden ältesten Schweizer AKW, Beznau 1 und 2, die seit 1969 respektive 1971 in Betrieb sind und unbefristete Betriebsbewilligungen haben. Geht man von einer Lebensdauer von 60 Jahren aus, läuft das älteste kommerzielle Atomkraftwerk der Welt noch acht Jahre weiter.

Die Axpo will beide Blöcke so lange betreiben, «wie sie sicher sind, so lange die Wirtschaftlichkeit gegeben ist und so lange die Kernenergie nicht weiter künstlich verteuert wird», heisst es auf Anfrage der Nachrichtenagentur AWP. Dabei verwies der Konzern auf «ungerechtfertigte» Anpassungen der Beiträge in die Stilllegungs- und Entsorgungsfonds.

Aktuell geht es auch ohne Atomstrom nicht: Hierzulande wird Strom zwar zu mehr als 50 Prozent mit Wasserkraft erzeugt, aber immer noch zu gut einem Drittel mit Atomkraft. Im Winter sind es sogar rund 40 Prozent Kernenergie. Vor allem im Winter ist die Schweiz zudem auf Strom aus Deutschland und Frankreich angewiesen. Die hiesige Branche warnte jüngst vor einer möglicherweise angespannten Situation ab dem Jahr 2025. Als «Reserve» ist der Bau eines Gaskraftwerks im Gespräch.

In Deutschland sind derzeit lediglich noch sechs AKW am Netz. Gemäss deutschem Atomgesetz werden diese bis spätestens Ende 2022 abgeschaltet. Laut einer Übersicht des Nuklearforums Schweiz sind im Nachbarland 26 Reaktorblöcke bereits stillgelegt. Damit bildet Deutschland aber eine grosse Ausnahme.

In Frankreich etwa laufen 56 Atomkraftwerke, und eines befindet sich gerade im Bau. Weitere neue sollen laut Frankreichs Präsident Emmanuel Macron hinzukommen. Weltweit sind 443 Reaktoren in rund 30 Ländern in Betrieb. 54 neue befinden sich im Bau, und 112 weitere sind geplant. Der Anteil der Kernenergie an der globalen Stromproduktion lag Anfang 2021 bei rund 10 Prozent.

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