Das Horrordrama «Hereditary» hat die Herzen vieler Kritiker erobert. Handelt es sich hier wirklich um den vielfach herbeigerufenen Meilenstein?
In «Hereditary» stehen die Konflikte einer Familie im Vordergrund.
In «Hereditary» stehen die Konflikte einer Familie im Vordergrund. - Ascot Elite
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Das Wichtigste in Kürze

  • Der Amerikaner Ari Aster hat mit «Hereditary» seinen ersten Spielfilm gedreht.
  • Kritiker vergleichen die Mischung aus Drama und Horror unter anderem mit «Der Exorzist».
  • Die grossen Erwartungen werden nicht erfüllt, solide ist der Film dennoch.

In den letzten Jahren hat das Horror-Genre eine kleine Auferstehung im kommerziellen Kino gefeiert. Filme wie «Get Out», «A Quiet Place» und nun auch «Hereditary» erzielen mit geringem Budget verhältnismässig gute Einspielergebnisse. Viele Kritiker stimmen dabei regelrechte Jubelstürme an. Das ist im Nachhinein angesichts der schwankenden Qualität des Endprodukts oftmals übertrieben. Einige Leute haben das Werk vom Debütanten Ari Aster auf eine Stufe mit Genrefilmen wie «Der Exorzist» von William Friedkin oder Roman Polanskis «Rosemaries Baby» gestellt. Im Direktvergleich erreicht «Hereditary» während seiner zweistündigen Laufzeit nicht solche Höhen und fällt somit der eigenen Erwartungshaltung zum Opfer.

Umgang mit Verlustängsten

Im Englischen ist das Wort ein Adjektiv, auf Deutsch übersetzt dient es als Bezeichnung für «angeboren» oder «erblich» und spielt für die Handlung eine Rolle. Der Haussegen bei der Familie Graham hängt schief. Annie konzentriert sich nach dem Tod ihrer Mutter auf ihre Arbeit als Galeristin, ihr Mann Steve ist als Psychiater tätig. Ihre Kinder Peter und Charlie müssen mit diversen Probleme im Alltag umgehen. Plötzlich geschehen einige merkwürdige Dinge. Dabei entzweit sich die Familie nach und nach.

Man sollte nicht den Fehler begehen und in «Hereditary» einen Schocker im Kirmes-Stil erwarten. Mehrheitlich fokussiert sich Aster auf die psychologischen Aspekte, wie den Umgang mit persönlichen Verlusten. In diesem Zusammenhang sei auf Nicolas Roegs «Wenn die Gondeln Trauer tragen» («Don't Look Now») aus dem Jahre 1973 verwiesen, bei dem sich Aster gewisse Inspiration geholt hat. «Hereditary» ist überwiegend als psychologisches Familiendrama inszeniert und mutet dabei nicht wie ein zeitgenössischer Horrorfilm an.

Handlung statt Schocks

Bei «Hereditary» ist der Fokus auf die Geschichte statt auf billige Schocks gerichtet. Für ein Erstlingswerk wirkt das Ganze abgebrüht und mit feinem Auge für Kameraeinstellungen gefilmt. Die Schauspieler gehen ihre Darbietungen unterschiedlich an. Im Ensemble entpuppt sich Milly Shapiro als Entdeckung. Sie spielt die Figur der Tochter Charlie zurückhaltend und dürfte in Zukunft weitere interessante Schauspielangebote erhalten. Toni Collette («Muriels Hochzeit») als stetig hysterischer werdende Mutter setzt vor allem auf grosse mimische Gesten, währenddessen Gabriel Byrne («Die üblichen Verdächtigen») den reservierten Ehemann gibt. Alex Wolff («My Friend Dahmer») verkörpert den Typus des verzweifelten Jugendlichen.

Die Geschichte bietet einige Wendungen, die aber in gewissen Details vorher angedeutet werden. So viel sei gesagt: Am Ende wird es deutlich abgedrehter, was nicht unbedingt zum sonstigen Ton des Films passt, die Horror-Elemente rücken in den Vordergrund. Bemerkenswerterweise verzichtet Aster zum grössten Teil auf billige Effekthascherei, ganz ohne kommt aber auch er nicht aus. Für die Zukunft muss der Debütant noch Feinschliff entwickeln, um gewisse Längen straffen zu können.

Fazit

Mit «Hereditary» zeigt Regisseur Aster, dass man mit ihm rechnen kann. Er beweist ein gewisses Händchen für filmische Details. Die Darsteller sind engagiert bei ihrer Arbeit. In Anbetracht des Genres ist er aber nicht wirklich herausstechend genug, um mit den Vorbildern mithalten zu können. Die Handlung schreitet teilweise zu gemächlich voran. Im Verlauf der zweiten Hälfte legt der Film einen heftigen Richtungswechsel aufs Parkett, der sich tonal nicht als organisch erweist. «Hereditary» ist letztendlich ein solides Debüt mit «angeborenen» Mängeln.

★★★☆☆

Auf dem 18. Neuchâtel International Fantastic Film Festival (NIFFF) fand die Schweizer Premiere statt. Der Kinostart in der Deutschschweiz ist am 19. Juli 2018.

«Hereditary» gehört zu den Kritiker-Lieblingen des Jahres.
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