Aare

«Verzeu doch das em Fährimaa!»

Andrea Bauer
Andrea Bauer

Bern,

1835 wurde sie erstmals erwähnt, heute heisst sie zwar anders, verbindet aber noch immer die beiden Ufer von Muri und Wabern miteinander.

Beat Fährimaa
«Unsere Passagiere dürfen sehr gerne mit uns plaudern», sagt Fährimaa Beat. «Aber auch schweigen ist total in Ordnung.» - Daniel Zaugg

Ein älteres Paar kommt die Treppen zur Fähre runter: «Sollen wir jetzt oder erst drüben bezahlen?», fragt der Mann. Beat lächelt und sagt: «Gerne gleich jetzt».

Ein perfekter Einstieg für mich, denn sofort füge ich an: «Aber gemäss Sänger Chris de Burgh sollte man den Fährmann doch erst bezahlen, wenn er einen auf die andere Seite gebracht hat – ‘Don’t pay the ferryman, until he gets you to the other side’?»

Nun lacht der Fährimaa herzlich und meint: «Ja ja, das hier ist natürlich der prädestinierte Job für diesen Einwand! Das höre ich effektiv oft. Und wer möchte, darf auch erst auf der anderen Seite bezahlen!»

Als Auftakt zu einem netten Smalltalk sei das doch sehr geeignet. Darf man denn überhaupt mit dem Fährimaa sprechen während der Fahrt? «Bei uns im Fährhaus hängt tatsächlich ein altes Schild mit dem Vermerk: ‘Bitte nicht mit dem Führer sprechen’! Ob das mal an der Fähre angebracht war, weiss ich zwar nicht, sicher aber gilt das heute nicht mehr. Man darf gerne mit uns plaudern», sagt Beat und lacht erneut.

Beat Fährimaa
Beat Fährimaa auf der Aare - Daniel Zaugg

Rund 87 Sekunden

Die Stimmung an diesem sonnigen Nachmittag ist denn auch sommerlich leicht und angenehm.

Noch hat es kaum Schlauchboote auf der Aare, so dass die Überfahrt von etwa eineinhalb Minuten problemlos verläuft.

Der Fährmann ist dabei die Ruhe selbst, so schnell – das spürt man –bringt diesen Mann nichts aus dem Konzept. Er schmunzelt und nickt bestätigend. «Im Sommer, wenn viele auf der Aare unterwegs sind, ist es schon nicht immer ganz so gäbig wie heute. Eigentlich hätte die Fähre zwar Vortritt», erklärt Schmid. «Aber das wissen längst nicht alle oder merken schlicht zu spät, dass sie ausweichen sollten.»

Da gelte es dann, die Fähre so in der Strömung zu halten, so dass sie stehen bleibt und die Boote passieren können. Am besten sei, man warte eine grössere Lücke ab, dann klappe es auch bei dichtem Aareböötli-Verkehr gut.

Persönlich

Beat Schmid, Jahrgang 1964, ist an der Aare aufgewachsen und, wie er selbst sagt, quasi im Muribad gross geworden. Er bezeichnet sich als päda­gogischer Wanderarbeiter, ist aktuell einer der fünf Fährmänner auf der Bodenacker-Fähre, verheiratet und wohnt nach wie vor in der Aare.

Etwa 40 000 Menschen bringen die insgesamt fünf Fährmänner pro Jahr von der einen zur anderen Seite. «Schön ist, dass fast alle – also ich würde sagen 99 Prozent – unserer Passagiere gut drauf sind. Sie geniessen ihre Freizeit, gehen mit ihren Hunden spazieren, bieten den Kindern ein Erlebnis. Nur manchmal spüre ich, dass jemand traurig ist, der spricht dann auch nicht», erzählt Beat.

Fährst du gerne mit der Fähre über den Fluss?

«Aber auch das ist total okay. Und es klingt jetzt vielleicht etwas pathetisch, aber manchmal passiert selbst während dieser kurzen Überfahrt etwas mit den Menschen. Sie steigen anders aus, als sie eingestiegen sind. Beschwingter.»

Es gäbe so viele schöne, wenn auch flüchtige Erlebnisse. Aber gerade das fasziniere ihn. Jede Überfahrt sei wieder anders. Und der Gedanke, dass hier an dieser Stelle seit fast 200 Jahren auf die gleiche Art und Weise Menschen von der einen auf die andere Uferseite gebracht werden, habe etwas Schönes, Traditionelles.

Zuhören

«Das soll jetzt nicht abwertend klingen, aber diese Arbeit hier ist total simpel. Und es ist genau diese Einfachheit, die ich enorm bereichernd finde.»

Ein bisschen wie Siddharta in Herman Hesses gleichnamigem Roman? Und wieder lacht der Fährimaa. «Auch eine Analogie, die ich häufig höre! Aber ja, letztendlich hat Siddharta im einfachen, natürlichen Leben beim Fährmann die tiefste Erkenntnis gefunden. Im Roman ist der Fluss ein Symbol für das Leben, für Zeitlosigkeit, Kreislauf und Einheit.»

Und die grosse Stärke des Fährmanns, so wird es beschrieben, sei das Zuhören – den Menschen, dem Fluss, dem Leben. «Das ist definitiv so. Ich bin ein Mensch, der gerne zuhört. Schon immer. Viele Jahre habe ich als Pädagoge gearbeitet und Kinder, auch sogenannte ‘herausfordernde’ Jugendliche, betreut. Aber ich war auch mal Hüttenwart auf dem Schilthorn und irgendwann, das wusste ich schon immer, wollte ich auch mal Fährimaa sein!»

So ergriff er vor gut zwei Jahren die Chance, als er erfuhr, dass einer der Bodenacker-Fährmänner pensioniert werde. Er machte die Prüfung fürs Weidling-Fahren und voilà. «Verzeu doch das em Fährimaa», pflegte mein Basler Grossvater jeweils zu sagen, wenn er einem etwas nicht glaubte.

Und natürlich kennt Fährimaa Beat auch diese Redewendung! «Vielleicht kommt das daher, dass wir Fährleute viel zu hören bekommen und vermutlich auch Dinge, die nicht ganz der Wahrheit entsprechen!», meint er mit einem Schmunzeln.

Kaum Gefahren

Inzwischen sind auf der Wabern-Seite zwei Frauen eingestiegen. Beat legt mit geübten Griffen das Seil auf die ­andere Bootsseite und schiebt mit dem Stehruder die Fähre etwas zurück.

Dann wartet er, bis das Seil gestreckt ist, stösst sacht vom Ufer ab und stellt sein Boot leicht schräg zur Strömung.

Die eine der beiden Damen blickt begeistert auf den glitzernden Fluss und scheint die kurze Fahrt zu geniessen, die andere schaut angestrengt auf den Bootsboden und meint: «Ach, mir wird ganz schlecht, wenn das Wasser so schnell vorbeifliesst.»

Der Fährimaa stellt somit die Spitze des Bootes ein klein weniger schräger ins Wasser, so dass die Fahrt schneller zu Ende geht. «So kann ich mich den Bedürfnissen meiner Fahrgäste etwas anpassen», sagt er und erhält seitens der Frau ein dankbares ‘Merci’.

Was würde eigentlich passieren, wenn das Seil reisst? «Dann wäre der Ausstieg etwas weiter unten im Eichholz!», sagt Beat und zwinkert. «Nein, Spass beiseite.

Wir üben diesen Ernstfall während der jährlichen Revision im Februar. Letztmals ist ein solcher übrigens in den 80er Jahren vorgekommen.

Der damalige Fährmann konnte dann effektiv beim Eichholz die Fähre problemlos anlegen. Aber grundsätzlich kann man sagen, dass eine Fahrt mit der Fähre gefahrlos und sicher ist.»

Symbolische Übergänge

Wie lange der 60-jährige Beat Schmid als Fährimaa tätig sein möchte, weiss er noch nicht so genau, «vermutlich bis zu meiner Pensionierung».

Und weil das grad so wunderbar passt, nehmen wir nochmals ‘Siddharta’ zum Vergleich. Der Fährmann in Hesses Roman steht ja symbolisch für die Übergänge im Leben, er bringt einen von einer Lebensphase zur nächsten. Auch Siddhartha, die Hauptfigur, überquert in wichtigen Momenten den Fluss, was seine inneren Wandlungen spiegelt.

Beat meint lachend: «So gesehen könnte man diesen Job tatsächlich als Übergang zum letzten Lebensabschnitt sehen. Aber solange dieser Übergang derart fägt und so viel Freude macht, pendle ich noch ein bisschen hin und her!»

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