Kinderhospiz Allani: Machen keine Sterbe-, sondern Lebensbegleitung
Christian Ziegler, Geschäftsführer des Kinderhospizes Allani in Riedbach BE, über Fingerspitzengefühl und wieso im Haus wiederholt der Bär tobt.

Der BärnerBär würdigt in drei Teilen Menschen und Einrichtungen, die oft im Stillen, aber für die Gesellschaft unverzichtbare Dienste leisten.
Im ersten Teil des Interviews: Christian Ziegler, Geschäftsführer Kinderhospiz Allani.
BärnerBär: Christian Ziegler, das Allani-Kinderhospiz hat seit rund 15 Monaten seine Türen geöffnet. Wie wurden kranke Kinder denn eigentlich vorher betreut?
Christian Ziegler: Zuhause oder in anderen Einrichtungen, so wie heute auch. Eine Unterkunft, wo man sich um die jungen Patientinnen und Patienten, die häufig hochkomplex erkrankt sind, kümmern kann und das Familiensystem als Ganzes gestärkt wird, fehlte bis anhin allerdings. Ein Kinderhospiz in der Schweiz war deshalb überfällig.
BärnerBär: Was bedeutet «hochkomplex erkrankt»?
Ziegler: Bei gewissen Kindern müssen alle 20 Minuten pflegerische Massnahmen ergriffen werden. Und dies während 24 Stunden am Tag, sieben Tage die Woche, 52 Wochen pro Jahr.
Dann rückt für die Angehörigen nicht selten der Rest des Lebens in den Hintergrund: Man schläft zu wenig, die Paarbeziehung leidet, Geschwister erhalten weniger Aufmerksamkeit, als sie bräuchten. Hier können wir den Betroffenen Entlastung anbieten, insbesondere nachts.
BärnerBär: Wie lange bleiben Ihre Patientinnen und Patienten bei Ihnen?
Ziegler: Sie verbringen die Zeit entweder alleine oder zusammen mit ihren Familien, in der Regel circa zwei Wochen. Wir unterscheiden dabei zwischen Brückenaufenthalten, beispielsweise nach einem operativen Eingriff, wenn das Kind zu fit ist, um im Spital zu bleiben, aber noch nicht nach Hause kann.
Zweitens sind da die Kurzaufenthalte zur Pflege der Kinder und Stärkung des Familiensystems.
Das dritte Angebot richtet sich an Kinder in der letzten Lebensphase – jene also, die bald sterben müssen. Diese Phase darf dann so lange dauern, wie sie braucht.
BärnerBär: Jemanden zu betreuen, der schwer erkrankt ist – da ist enorm viel Fingerspitzengefühl gefragt.
BärnerBär-Serie «Adventsgespräche»
Allani: Das pure Leben – trotz allem
Wer Hospiz hört, denkt oft an Tod. Eine verbreitete Sichtweise, die Allani-Geschäftsführer Christian Ziegler gerne ändern möchte. «Die Kinder hier werden vielleicht nicht gleich 80, haben aber noch viele Jahre vor sich.» Seit August 2024 steht das Haus im Westen Berns, in dem einst YB-Spieler Guillaume Hoarau wohnte, jenen Kindern offen, die schwer und teils hochkomplex erkrankt sind. Auch deren Eltern und Geschwister können hier untergebracht werden.
Es ist schweizweit die einzige solche Einrichtung, denn Hospize sind gesetzlich fast nirgendwo anerkannt. Und so ist die Institution für die Finanzierung ihres Betriebs auf Spenden angewiesen. Der Besuch bei Allani in Riedbach bildet den Auftakt zur dreiteiligen BärnerBär-Serie «Adventsgespräche».
Ziegler: Ja, wir sind auf einen Vertrauensvorschuss seitens der Eltern angewiesen. Es sind ihre Kinder, sie wissen genau, was diese benötigen. Gleichzeitig befinden sich die Direktbetroffenen in einer enorm schwierigen Situation. Dass sie uns das zutrauen, ist wahnsinnig wertvoll.
Oft handelt es sich um einen Prozess: Die Kinder übernachten zunächst einmal mit ihren Eltern in einem Familienzimmer, später schläft das Kind dann möglicherweise alleine und die Eltern im anderen Gebäude im Stöckli oder sie können gar mal alleine ein Wochenende verbringen, währenddem der Sohn oder die Tochter bei uns ist.
BärnerBär: Erhalten Sie manchmal mehr Anfragen, als Sie junge Menschen aufnehmen können?
Ziegler: Der Grossteil der Besuche ist gut planbar. Es passiert selten, dass jemand anruft und am Tag darauf diese Personen schon vor Ort sind. Aber auch auf solche akuten Notfälle können wir reagieren, es ist immer ein Bett reserviert.
BärnerBär: Wir führen dieses Interview im Raum der Stille. Wozu ist er gedacht?
Ziegler: Wer Hospiz hört, denkt meist an Tod. Wir machen dagegen überwiegend keine Sterbe-, sondern Lebensbegleitung. Die Kinder werden vielleicht nicht gleich 80, haben häufig aber noch viele Jahre vor sich. Denn Lebensbegleitung heisst: Hier vor der Tür tobt manchmal der Bär, Kinder schreien, lachen – einige flitzen sogar mit dem Rollstuhl durch die Gänge.

Im Raum der Stille haben Eltern wiederum die Möglichkeit, Distanz zu erhalten und Ruhe zu finden. Sie können vertrauliche Gespräche mit unserem seelsorgerischen oder psychologischen Dienst führen, etwa zu ihren alltäglichen Sorgen und natürlich, wenn ihr Kind verstorben ist.
Die Begleitung, die wir mit den Familien durchführen, geht übrigens über den Tod hinaus. Wir möchten ein Zuhause auf Zeit sein – und ein Zuhause ist ein Ort, an dem man sich geborgen fühlt.
Und das dürfen die Familien weiterhin. Einige kommen nach dem Tod ihres Kindes nach wie vor zu uns, um sich mit den Pflegenden auszutauschen oder um sich an bestimmte Augenblicke zu erinnern.
BärnerBär: Wie nah gehen Ihnen die Schicksale der Kinder?
Ziegler: Sehr nah. Das hat damit zu tun, dass wir alle viel Zeit miteinander verbringen. Wir sitzen beim Essen mit den Kindern und deren Eltern oft gemeinsam am Tisch, haben stets direkten Kontakt.
Mir ist das wichtig, denn nur so kann ich ein Gespür dafür entwickeln, wie es sich für die Mitarbeitenden anfühlt.
BärnerBär: Eine intensive medizinische Betreuung kostet immer auch Geld.
Ziegler: Ja, wobei Hospize in der Schweiz gesetzlich fast nirgendwo anerkannt sind. Das Wallis bildet da eine Ausnahme.

Glücklicherweise dürfen wir einen Teil, knapp 30 Prozent, unserer Leistungen bei der IV und den Krankenversicherungen abrechnen – den Rest des Betriebs müssen wir über Spendengelder finanzieren.
Die Unterbringung und Pflege der Kinder kosten die Eltern nichts. Sind sie selbst ebenfalls vor Ort, bitten wir um einen Unkostenbeitrag von 50 Franken pro Tag pro Familie inklusive Mahlzeiten.
BärnerBär: Das tönt nach wenig.
Persönlich
Das Allani-Kinderhospiz in Riedbach im Westen Berns bietet Kindern und Jugendlichen mit lebensverkürzenden Erkrankungen sowie ihren Familien einen Ort für wiederkehrende Entlastung mit professioneller Pflege und individueller Begleitung an.
Derzeit können maximal sechs Familien gleichzeitig untergebracht werden. Die Institution beschäftigt momentan 46 Mitarbeitende, wobei alle Teilzeit angestellt sind – inklusive Geschäftsführer. Christian Ziegler (46) hat diese Position seit August inne und war zuvor Zentrumsmanager am Tumorzentrum des Inselspitals.
Ziegler: Stimmt. Wenn ein Kind allerdings schwer erkrankt ist, kann ein Elternteil häufig überhaupt nicht mehr arbeiten, sprich: Da fehlt ein ganzes Einkommen. Zehn Tage Anwesenheit für 500 Franken bedeuten so vielleicht eine anspruchsvolle Summe.
Können die Eltern das Geld nicht selbst aufbringen, unterstützen wir sie dabei, es via Gemeinden oder Sozialleistungen zu probieren. Klappt das nicht, absorbieren wir die Kosten über Spenden selbst. Uns ist wichtig, für alle Familien, die Bedarf haben, offen zu sein.
BärnerBär: Im schweizerischen Gesundheitssystem werden enorme Beträge bezahlt – ein Kinderhospiz ist hingegen auf Spenden angewiesen. Das mutet von aussen ziemlich befremdlich an.
Ziegler: Zum Glück bewegt sich gerade einiges – sowohl im Kanton wie beim Bund. Und das ist gut so. Wobei politische Prozesse Zeit benötigen. Ab dem 1. Januar lanciert der Kanton Bern ein Pilotprojekt zur Finanzierung von Hospizen.
Wir als Allani dürfen mitwirken, worüber wir sehr froh sind. Das Projekt dauert bis 2030, anschliessend erfolgt eine Analyse. Erst infolgedessen wird sich gesetzlich etwas ändern. Ich bin überzeugt, dass das passiert; da sprechen wir allerdings von 2031 oder 2032. Die nächsten Jahre müssen wir also noch im aktuellen Setting ausharren.
BärnerBär: Sie erhalten ab 2026 folglich Geld vonseiten der Behörden.
Ziegler: Genau. Bloss sind wir gegenwärtig noch das einzige Kinderhospiz in der Schweiz (im Januar eröffnet das Kinderhospiz Flamingo im Kanton Zürich, die Redaktion). Das heisst, uns suchen auch etliche ausserkantonale Familien auf.
Wenn der Kanton indes ein Projekt lanciert, tut er das natürlich für Menschen, die in dieser Region wohnen. Für viele unserer Kinder erhalten wir dadurch womöglich gar keine Förderung im Rahmen dieses Projekts.
BärnerBär: Sind Sie hie und da hässig auf die politischen Entscheidungsträger, weil Sie sich alleine gelassen fühlen?
Ziegler: Nein, ganz und gar nicht. Das Pilotprojekt entstand ja auf Wirken der Parlamentarierinnen und Parlamentarier. Sie haben erkannt, dass etwas getan werden muss. Und dieser Bedarf betrifft alle Hospize, nicht nur jene von Kindern.
BärnerBär: Wird hier im Haus oft geweint?
Ziegler: Auch. Aber es wird deutlich mehr gelacht.








