Jeder vierte in den Industrieländern leidet unter der Volkskrankheit Fettleibigkeit. Die Folge: Erkrankungen wie Bluthochdruck und Diabetes - und explodierende Kosten im Gesundheitssystem. Eine Lösung zeichnet sich nun aus einer unerwarteten Ecke ab - der Akupunktur.
Ein übergewichtiger Mann am Arbeitsplatz.
Fettleibigkeit wird in Lateinamerika zu einem immer grösseren Problem. - Keystone
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Das Wichtigste in Kürze

  • Adipositas gilt mittlerweile als Volkskrankheit mit weltweit steigenden Fallzahlen.

In den OECD-Ländern war 2016 jeder vierte Mensch fettleibig. Zum Vergleich: 2010 war es noch jeder fünfte. Neuere Daten liegen noch nicht vor.

In der Schweiz waren 2017 elf Prozent der Bevölkerung fettleibig, weitere 31 Prozent waren von Übergewicht betroffen. «Übergewicht hat sich damit zu einer eigentlichen Volkskrankheit entwickelt, die Männer (51%) stärker anbelangt als Frauen (33%)», schrieb das Bundesamt für Statistik im September 2020. Vor allem zwischen 2002 und 2012 waren die Wachstumsraten in der Schweiz sehr hoch. Zwar seien die Raten etwas abgeflacht, der Trend weise aber immer noch nach oben, betont Chefarzt Daniel Frey vom GZO Spital Wetzikon im Gespräch mit AWP.

Fettleibigkeit ist vor allem ein gesundheitspolitisches und finanzielles Problem. Denn Krankheiten zu behandeln kostet Geld. Alleine in der Schweiz haben sich die Kosten für Fettleibigkeit und die damit verbundenen Folgeerkrankungen zwischen 2002 und 2012 auf knapp acht Milliarden Franken verdreifacht. Aktuellere Daten hat das Bundesamt für Gesundheit nicht. Die nächste Kostenstudie zum Thema Fettleibigkeit ist aber für das kommende Jahr geplant, kündigt Nadine Stoffel-Kurt vom BAG im Gespräch mit AWP an.

Angesichts der Zuwachsraten bei Fettleibigkeit dürften die Zahlen allerdings eher weiter gestiegen als gesunken sein. Das zeigen auch die Daten der OECD auf. Demnach wird Übergewicht in den nächsten 30 Jahren zu 462 Millionen neuen Fällen von Herz-Kreislauf-Erkrankungen in 52 Ländern und 212 Millionen Fällen von Diabetes führen - neben anderen Krankheiten.

Schon heute entfallen 8,4 Prozent der Gesundheitsausgaben in den OECD-Ländern auf die Behandlung von Krankheiten, die mit starkem Übergewicht zusammenhängen. Das entspricht in etwa 311 Milliarden US-Dollar bzw. 209 US-Dollar pro Kopf.

«Übergewicht und Überernährung töten weltweit mehr Menschen als Untergewicht und Hunger», sagt Massimo Fumagalli von Sinomedica, dem grössten Anbieter medizinischer Akupunktur in der Schweiz, im Gespräch mit AWP.

Anders als oft angenommen ist Adipositas nicht immer eine Folge von zu viel Essen und zu wenig Bewegung. Es ist ein Vorurteil zu meinen, dass adipöse Menschen an ihrem Übergewicht selbst schuld seien. Vielmehr ist Fettleibigkeit laut Frey, der auch Gründungsmitglied und Präsident des Adipositas-Netzwerks ist, «eine Stoffwechselstörung und ein chronischer Entzündungszustand». Ausgelöst wird sie durch eine genetische Veranlagung zur Gewichtszunahme.

«Im Grunde ist Adipositas die Folge eines Ungleichgewichtes zwischen Energieaufnahme und Energieverbrauch», ergänzt Fumagalli von SInomedica. Nimmt man mehr Kalorien auf als man verbraucht, werden die überschüssigen Kalorien vom Körper als Fett eingelagert.

Mittlerweile ist Fettleibigkeit in vielen Ländern als Krankheit anerkannt. Gemessen wird das Ausmass der Erkrankung am Body-Mass-Index. Liegt er über 25, spricht man von Übergewicht, beträgt er mehr als 30, gelten die Betroffenen als adipös.

«Diese Zahlen sagen einem aber eher wenig», meinte Fumagalli von Sinomedica. «Stellen Sie sich einen Mann von 180 cm Grösse vor: Bei einem Gewicht von 74 kg ist er normalgewichtig, ab 100 kg ist er schon stark übergewichtig und ab 120 kg dann fettleibig.»

Was sollen die Menschen also tun, um von dem starken Übergewicht runterzukommen? «Die Antwort darauf ist mehr als nur weniger zu essen und sich mehr zu bewegen», betont Fumagalli.

Wie Frey vom GZO Spital zeigt, lässt eine Veränderung des Lebensstil im besten Fall 11 Kilo purzeln. Für einen stark fettleibigen Menschen ist dies ein Tropfen auf den heissen Stein.

Medikamente sind auch eine Option. So werden etwa Diabetes-Mittel eingesetzt, weil sie auch bei Nicht-Diabetikern für Gewichtsverlust sorgen. Allerdings geht der Einsatz auch mit erheblichen Nebenwirkungen einher - und es muss ein Leben lang genommen werden. Hier können jährlich bis zu 15 Kilo abgenommen werden.

Meist reichen solche Gewichtsverluste aber nicht, um das Problem der Fettleibigkeit zu lösen. An sich bleibt da oft nur der Gang in den Operationssaal. Voraussetzung ist, dass der Patient zuvor versucht hat, sein Gewicht mit konservativen Methoden zu reduzieren. «In der Schweiz wird am häufigsten eine Magenbypassoperation durchgeführt», erklärte Chefarzt Frey. An zweiter Stelle kommt die Schlauchmagen-OP. Auf der Waage sorgt dies laut Frey im Schnitt für einen Gewichtsrückgang von 35 bis zu knapp 80 Kilo.

Der Nachteil dieser Variante: «Bestimmte Vitamine können etwa beim Magenbypass nicht mehr ausreichend eingenommen werden, sodass die Patienten danach täglich Vitaminpräparate zusätzlich zu sich nehmen müssen», so Frey weiter. Zudem ist die OP nicht ohne Risiken und oft kommt es später zu Komplikationen, die weitere Operationen nach sich ziehen.

Als möglicher Game-Changer erweist sich in diesem Feld nun der Ansatz von Sinomedica. Das Team um den Arzt Fumagalli setzt dabei nämlich auf eine Kombination aus Akupunktur und einer strikten Diät. «Das Ziel aus dieser Kombination ist, den Stoffwechsel so zu verändern, dass der Körper quasi sein eigenes Fett verbrennt und daraus die nötige Energie zieht», fasst es Fumagalli zusammen.

Einer seiner prominentesten Patienten war die Radiolegende Heinrich von Grünigen, der mit dieser Methode die Hälfte seines Gewichtes verlor. Auch andere Patienten haben mit der Mischung aus Akupunktur und einer knallharten Diät innerhalb eines Jahres bis zu 60 Kilo abgenommen.

Sinomedica verfügt laut Fumagalli über Daten von über 15'000 Patienten, die in den letzten 15 Jahren gesammelt wurden und dabei die Wirksamkeit der Behandlung bestätigen. Der nächste Schritt bestehe darin, den Ansatz in einer grossen klinischen, randomisierten Studie zu testen. «Sollte sich unser Ansatz bestätigen, würden wir die Behandlungsmöglichkeiten revolutionieren.»

Abgesehen davon, dass dieser Ansatz bislang keine Nebenwirkungen bei den Patienten aufweist, stellt er auch puncto Kosten eine echte Alternative dar. Denn während ein Magenbypass alleine um die 50'000 Franken kostet, plus jährliche Nachbehandlung und Zusatzpräparate, legt man für eine Akupunktur-Sitzung 120 Franken auf den Tisch.

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