An der Grenze zwischen Belarus und Polen versuchen immer mehr Menschen, illegal in die EU einzureisen. Hilfsorganisationen dürfen nicht in das Gebiet - sie warnen vor einer humanitären Katastrophe.
Maria Zlonkiewicz (l) und Aleksandra Gubinska knien nahe der polnisch-belarussischen Grenze neben Gegenständen, die von Flüchtlingen zurückgelassen wurden. Foto: Doris Heimann/dpa
Maria Zlonkiewicz (l) und Aleksandra Gubinska knien nahe der polnisch-belarussischen Grenze neben Gegenständen, die von Flüchtlingen zurückgelassen wurden. Foto: Doris Heimann/dpa - dpa-infocom GmbH
Ad

Das Wichtigste in Kürze

  • Zwei schwarze Rucksäcke, ein nasser Schlafsack, ein Paar aufgeweichte Turnschuhe.

Im dichten Wald nahe einer Landstrasse bei Hajnowka im äussersten Osten Polens liegen die Überbleibsel auf Moos und herbstlichen Blättern.

«Vermutlich war es ein hektischer Aufbruch - wer weiss, wo diese Menschen jetzt sind», sagt Maria Zlonkiewicz. Die 36-jährige Menschenrechtlerin kramt in einem der Rucksäcke: Medikamente aus dem Irak und der Türkei, ein Handy-Ladegerät, Kekse und Rheumapflaster mit russischen und belarussischen Aufschriften. Es sind Spuren von Migranten aus dem Nahen Osten. Tausende von ihnen versuchen derzeit, über Belarus illegal in die EU einzureisen. Viele wollen weiter nach Deutschland und andere westliche Länder.

Erste Migranten gestorben

Polen setzt auf Härte: In der Region um die EU-Aussengrenze gilt der Ausnahmezustand, Hilfsorganisationen und Journalisten dürfen nicht hinein, die meisten Migranten werden abgewiesen. Die Regierung in Warschau beschuldigt den belarussischen Machthaber Alexander Lukaschenko, die Flüchtlinge organisiert an die EU-Aussengrenze zu schaffen - als Reaktion auf verschärfte westliche Sanktionen gegen sein Land. In dem einsamen, sumpfigen Grenzgebiet sind in den vergangenen Wochen bereits mehrere Migranten gestorben.

Es könnten noch mehr Tote werden, wenn die Nachtfröste einsetzen, fürchtet Maria Zlonkiewicz. «Wir appellieren an die polnische Regierung, Ärzte und Sanitäter an die Grenze zu lassen. Sonst werden wir im Frühjahr viele Leichen finden.» Zlonkiewicz vertritt das Aktionsbündnis «Gruppe Grenze» zu dem sich polnische Flüchtlingshilfe-Organisationen zusammengetan haben. Die Aktivisten gehen in der Nähe der Grenze durch die Wälder. Sie versuchen, Migranten aufzuspüren, ihnen Nahrungsmittel, warme Kleidung und Rettungsdecken zu geben. Etwa 50 Menschen konnten sie bislang helfen.

Kontakt übers Internet

Den Kontakt zu den Helfern finden die Flüchtlinge über soziale Medien. «Wir sind auf Internetforen präsent, wo für die vermeintlich sichere Passage über Belarus geworben wird», erzählt Aktivistin Aleksandra Gulinska (34). Mehrfach am Tag und in der Nacht würden sich mittlerweile umherirrende Flüchtlingsgruppen melden.

Die Menschenrechtler sehen Anzeichen dafür, dass Polens Grenzschützer Migranten nach Belarus abschieben - sogenannte Pushbacks. «Wir bekommen Signale von Flüchtlingsgruppen, die erst auf der polnischen Seite der Grenze sind, dann wieder auf der belarussischen», sagte Aleksandra Gulinska. Durch den Ausnahmezustand, der auf einem Streifen von drei Kilometern gilt, dürfen die Helfer jedoch nicht an die Grenze und können die wohl illegalen Pushbacks nicht dokumentieren.

Die Hilfsorganisationen kommen auch nicht heran an eine Gruppe von 32 Migranten, die seit mehreren Wochen in der Nähe des polnischen Dorfs Usnarz Gorny in einem Wald auf belarussischem Grenzgebiet campiert.

Schwer bewachte Grenze

Rund 4000 Grenzschützer, 2500 Soldaten und 600 Polizisten sind an Polens 418 Kilometer langer Grenze zu Belarus im Einsatz. In den Wäldern um Hajnowka gibt es Checkpoints - nicht nur am Beginn der Sperrzone, auch auf Landstrassen und Forstwegen. Die Lage an der Grenze sei ernst, sagt Innenminister Mariusz Kaminski. Der Ausnahmezustand soll um weitere 60 Tage verlängert werden.

In Brüssel blickt man mit grosser Sorge auf die angespannte Lage an der Grenze. Auf der einen Seite sieht EU-Innenkommissarin Ylva Johansson einen «Akt der Aggression» des belarussischen Machthabers, der die EU destabilisieren wolle. Zugleich sagt die Schwedin: «Es ist völlig inakzeptabel, dass Menschen an unseren Aussengrenzen sterben.» Sie fordert Transparenz von der Regierung in Warschau. Polen müsse die EU-Aussengrenzen schützen - zugleich müsse es sich aber an EU-Recht und die Grundrechte halten. Darüber würde sie gerne mit dem polnischen Innenminister Kaminski sprechen.

Doch die Zusammenarbeit zwischen Polen und der EU-Kommission läuft alles andere als rund. Um die Lage besser einschätzen zu können, sähe die Brüsseler Behörde gerne die EU-Grenzschutztruppe Frontex an der Grenze. Ein solcher Einsatz aber müsste von Polens Regierung angefordert werden - und die denkt bislang gar nicht daran. Zudem bemühte sich Johanssons Team tagelang vergeblich um ein Gespräch zwischen Kaminski und der EU-Kommissarin. Am Donnerstag will sie nun nach Warschau reisen. Dann könnte es nach tagelanger Funkstille zu einem Austausch kommen. «Ich möchte gerne mehr darüber wissen, was passiert ist», sagt Johansson.

Die nationalkonservative Regierung in Warschau mache den Menschen Angst vor den Flüchtlingen, kritisiert die EU-Parlamentarierin Janina Ochojska, Gründerin der «Polnischen humanitären Aktion». Dabei könnte sich Polen die Aufnahme der rund 10.000 Migranten, die sich nach Erkenntnissen des Grenzschutzes in Belarus befinden sollen, durchaus leisten. «Ich bin mir sogar sicher: Die meisten Polen würden diesen Menschen gerne helfen.»

Ad
Ad

Mehr zum Thema:

AusnahmezustandRegierungInternetFrontexAngstEU