In ihren anderthalb Jahren Regierungszeit haben die Grünen schon einige Kompromisse gemacht. Nun kommt mit der Verschärfung der EU-Asylregeln ein weiterer hinzu. Die Kröte stösst einigen übel auf.
Annalena Baerbock und Robert Habeck verweisen beim Asyl-Kompromiss der EU auf die Notwendigkeit einer Einigung.
Annalena Baerbock und Robert Habeck verweisen beim Asyl-Kompromiss der EU auf die Notwendigkeit einer Einigung. - Michael Kappeler/dpa
Ad

Das Wichtigste in Kürze

  • Nach der Zustimmung der Bundesregierung zur geplanten Verschärfung der europäischen Asylregeln zeichnen sich hitzige Diskussionen bei den Grünen ab.

Kaum hatten die EU-Innenministerinnen und -minister die Einigung ihrer Staaten in Luxemburg mit Applaus besiegelt, da meldeten sich die Doppelspitzen sowohl der grünen Partei- als auch Fraktionsführung mit je zwei unterschiedlichen Bewertungen zu Wort.

Nachdem die Grünen als Teil der Ampel-Regierung mit SPD und FDP den schwierigen europäischen Kompromiss zugelassen haben, distanziert sich ein Teil des Führungspersonals öffentlich davon – ein bemerkenswerter Vorgang.

Was beschlossen wurde

Die Asylverfahren in der EU sollen angesichts der Probleme mit illegaler Migration deutlich verschärft werden. Eine ausreichend grosse Mehrheit an Ministern stimmte in Luxemburg für umfassende Reformpläne. Vorgesehen ist insbesondere ein deutlich härterer Umgang mit Migranten ohne Bleibeperspektive. So sollen ankommende Menschen aus als sicher geltenden Ländern künftig nach dem Grenzübertritt unter haftähnlichen Bedingungen in streng kontrollierte Aufnahmeeinrichtungen kommen. Dort würde dann im Normalfall innerhalb von zwölf Wochen geprüft werden, ob der Antragsteller Chancen auf Asyl hat. Wenn nicht, soll er umgehend zurückgeschickt werden.

Die Bundesregierung hatte sich in den Verhandlungen nachdrücklich dafür eingesetzt, dass Familien mit Kindern von den sogenannten Grenzverfahren ausgenommen werden. Auch Aussenministerin Annalena Baerbock und Vizekanzler Robert Habeck (beide Grüne) meldeten sich in diesem Sinne zu Wort. Um den Durchbruch zu ermöglichen, mussten sie allerdings letztlich akzeptieren, dass dies doch möglich sein könnte.

Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) sagte nach der Entscheidung allerdings, dass sich die Bundesregierung gemeinsam mit Portugal, Irland und Luxemburg weiter für Ausnahmen einsetzen werde. Denkbar ist auch, dass das EU-Parlament noch Änderungen durchsetzt. Es hat bei der Reform ein Mitspracherecht und wird in den kommenden Monaten mit Vertretern der EU-Staaten über das Projekt verhandeln.

Solidarität mit belasteten Mitgliedstaaten

Neben den verschärften Asylverfahren sehen die gestern beschlossenen Pläne auch mehr Solidarität mit den stark belasteten Mitgliedstaaten an den EU-Aussengrenzen vor. Sie soll künftig nicht mehr freiwillig, sondern verpflichtend sein. Länder, die keine Flüchtlinge aufnehmen wollen, würden zu Ausgleichszahlungen gezwungen werden. Länder wie Ungarn stimmten deswegen gegen den Plan.

Nach Angaben der zuständigen Kommissarin Ylva Johansson können abgelehnte Asylbewerber künftig grundsätzlich auch in Nicht-EU-Länder abgeschoben werden. Einzige Voraussetzung soll sein, dass sie eine Verbindung zu diesem Land haben. Wie diese aussehen muss, soll im Ermessen der EU-Mitgliedstaaten liegen, die für das jeweilige Asylverfahren zuständig sind.

Die Bundesregierung hatte sich eigentlich dafür stark gemacht, einen reinen Transitaufenthalt in einem Drittstaat nicht als Verbindung anzuerkennen, sondern nur zum Beispiel durch im Land lebende Familienangehörige. Diese Forderung musste allerdings im Laufe der Verhandlungen aufgegeben werden, um eine Einigung auf die Pläne für die Asylreform zu ermöglichen.

Die vielstimmigen Grünen

Führende Grünen mühten sich nach der offensichtlich schmerzhaften Entscheidung um eine gemeinsame, wenn auch nicht einheitliche Kommunikation. So meldete sich Co-Parteichef Omid Nouripour mit einer Serie an Tweets zu Wort, in denen er das Für und Wider abwog, mit dem Ergebnis: «In der Gesamtschau komme ich zu dem Schluss, dass die heutige Zustimmung ein notwendiger Schritt ist, um in Europa gemeinsam voranzugehen.»

Mit-Parteichefin Ricarda Lang äusserte sich ähnlich differenziert, aber mit dem Resultat, «dass Deutschland bei dem Vorschlag zur GEAS-Reform im Rat heute nicht hätte zustimmen dürfen.» GEAS steht für Gemeinsames Europäisches Asylsystem. Die Fraktionschefinnen Britta Hasselmann (dafür) und Katharina Dröge (dagegen) hielten es ähnlich.

Aussenministerin Annalena Baerbock und Vizekanzler Robert Habeck verteidigten den Kompromiss unter Verweis auf die Notwendigkeit einer Einigung in Europa. «Ich habe hohe Achtung vor denen, die aus humanitären Gründen zu anderen Bewertungen kommen», sagte Habeck der Deutschen Presse-Agentur. «Ich hoffe, sie sehen auch, dass es Gründe gibt, dieses Ergebnis anzuerkennen.» Eine Hoffnung, die an diesem Abend nicht nur er ausdrückte. Zustimmung kam in ersten Wortmeldungen eher von Vertretern des Realo-Flügels, Ablehnung von linken Grünen.

Baerbock, gerade in Kolumbien unterwegs, strich spontan einen Teil ihres Besuchsprogramms, um in einer Reihe von Videoschalten bei ihrer Partei und der Fraktion der Grünen für den Kompromiss zu werben. Die schnelle Schalte folgt kontroversen Entscheidungen bei den Grünen stets auf dem Fusse.

Geradezu entgeistert äusserte sich das Führungsduo der Nachwuchsorganisation Grüne Jugend, Timon Dzienus und Sarah-Lee Heinrich. Dzienus schrieb über den Kompromiss auf Twitter: «Das ist unmenschlich und ich werde das so nicht akzeptieren». Heinrich schrieb: «Ich bin Fassungslos. Abschottung sorgt nicht dafür, dass weniger Menschen fliehen. Es bedeutet, dass mehr Menschen leiden.» Hunderte Grüne hatten zuletzt in einem Schreiben an Spitzenvertreter ihrer Partei vor den Asylplänen gewarnt.

FDP-Justizminister Marco Buschmann hingegen sprach auf Twitter von einem «historischen Durchbruch» und hoffte auf eine Entlastung auch deutscher Kommunen.

Ad
Ad

Mehr zum Thema:

AsylbewerberParlamentRegierungMigrationTwitterSPDEU