Nach dem Moria-Brand wurde im Eiltempo das neue Migranten-Lager Kara Tepe aufgebaut. Dort sind die Umstände nun noch schlimmer als zuvor – Hilfe naht nicht.
Kara Tepe
Das provisorische Zeltlager «Kara Tepe»: Das Lager soll noch schlimmer als das Lager Moria sein, das vor gut 100 Tagen bei einem Grossbrand zerstört wurde. - dpa
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Das Wichtigste in Kürze

  • Vor gut 100 Tagen ist das Flüchtlingslager Moria auf Lesbos abgebrannt.
  • Im neuen Lager Kara Tepe sind die Umstände nun noch schlimmer als zuvor.
  • Helfer dürfen den Medien keine Auskunft geben und Fotografen erhalten keinen Zutritt.

Nach jedem Regen versinken Zelte im Schlamm, Strom gibt es nur mit Glück, Toiletten sind Mangelware: Gut 100 Tage nach dem Grossbrand des Flüchtlingslagers Moria kämpfen Helfer gegen den Winteranfang. Und gegen die Gleichgültigkeit vieler EU-Staaten.

Im neuen, provisorischen Lager auf dem ehemaligen Truppenübungsplatz Kara Tepe hausen rund 7500 Menschen. Darunter viele Kinder, Schwangere und Kranke. Sie teilen sich 400 Dixie-Klos, die bei Stürmen auch mal umfallen, sowie 200 Duschen. Nur ein paar wenige mit warmem Wasser.

Not in Kara Tepe bleibt in Europas Asylpolitik ungehört

Hilfsorganisationen warnen immer wieder: Kara Tepe sei noch schlimmer als das Lager Moria, das vor gut 100 Tagen bei einem Grossbrand zerstört wurde. Es galt für als Symbol für das Scheitern der europäischen Asylpolitik. Doch die Appelle bleiben weitgehend ungehört.

Kara Tepe
Camp Kara Tepe auf Lesbos - AFP

«Nach Kenntnis der Bundesregierung ist das Zeltlager Mavrovouni aktuell mit winterfesten Zelten ausgestattet». Dies heisst es jüngst in einer Auskunft des Bundesinnenministeriums an die Grünen-Fraktion. Wie winterfest, beschreibt eine deutsche Ärztin der dpa: Regnete es, entstehe eine Schlammwüste samt Flüssen und Seen.

Das Lager liegt direkt am Meer und sei damit Sturmböen ausgesetzt, die Planen mit sich rissen und Zelte zerstörten. Helfer kämpften darum, die Zelte wenigstens mit Holzpaletten zu unterbauen, damit sie beim nächsten Regen nicht von Matsch überschwemmt würden.

Helfer dürfen nicht sprechen, Fotografen haben keinen Zutritt

Ihren Namen möchte die Ärztin lieber nicht nennen. Ein neues Gesetz der griechischen Regierung verbietet es Helfern in Flüchtlingslagern, mit Medien über Missstände zu sprechen. So kritisiert die Organisation Reporter ohne Grenzen. Fotografen haben keinen Zutritt mit der Begründung, sie könnten Corona in das Lager einschleppen.

«Aber Corona ist hier noch die geringste Sorge. Bei all dem, was die Menschen im Camp überleben, ist es nicht Corona, das dem Gesundheitszustand zu schaffen macht.» So die Ärztin.

Kara Tepe
Migranten vor dem Eingang des Lagers Kara Tepe stehen Schlange. - dpa

Es sind vielmehr die unzureichende Versorgung und die Aussichtslosigkeit. Mangels Waschmöglichkeiten seien Krätze und Läuse allgegenwärtig. Behandelt würden häufig offene Wunden, Abszesse, Durchfall- und Atemwegserkrankungen sowie Gelenkschmerzen, die sich wegen der Feuchtigkeit und schlechter Schlafstätten einstellen. «Die Lebensbedingungen hier machen krank», sagt die Medizinerin.

Griechische Regierung machen Probleme klein

Die griechische Regierung wehrt sich gegen Vorwürfe: So seien etwa Berichte über Rattenbisse bei Babys erfunden, die Medien verzerrten die Realität. Gerade erst habe Migrationsminister Notis Mitarakis das Camp mit Lokaljournalisten besucht, teilte das Migrationsministerium am Montag mit. Es gebe Probleme, doch die würden angegangen, die gesundheitliche Versorgung werde vom Roten Kreuz und anderen Organisationen abgedeckt.

Vorfälle mit Babys und Ratten kann auch die deutsche Ärztin nicht bestätigen. Doch die medizinische Versorgung befinde sich auf allerniedrigstem Niveau, sagt sie. Jeden Tag müssten Patienten weggeschickt werden, schon morgens um sechs stünden die Menschen an. «Hinzu kommen psychische Probleme, da haben wir die ganze Bandbreite, darunter regelmässig Suizidversuche.»

Auch zu Gewaltausbrüchen kommt es immer wieder. Vergangene Woche soll im Lager ein dreijähriges Mädchen vergewaltigt worden sein, wie SOS-Kinderdörfer mitteilten.

Im September 2021 soll ein dauerhaftes Lager entstehen

Und all das, obwohl Griechenland in den vergangenen fünf Jahren 2,8 Milliarden Euro aus EU-Töpfen für das Migrations-Management bekommen hat. Man arbeite aber intensiv an einer dauerhaften Lösung.

So hat die Behörde Anfang Dezember eine Absichtserklärung mit Griechenland unterschrieben. Damit soll bis September 2021 ein neues, dauerhaftes Lager auf Lesbos entstehen. So lange müssen die Menschen wohl weiter im Übergangslager wohnen.

Migranten in Griechenland
Migranten gehen nach einem starken Regenfällen durch das Flüchtlingslager «Kara Tepe». - dpa

Die EU-Kommission betont, nach dem Moria-Brand sei Kara Tepe in «Rekordzeit» aus dem Boden gestampft worden. Man habe alle obdachlos gewordenen Menschen aufnehmen können. Dies sei damals absolute Priorität gewesen. Derzeit arbeite man mit den griechischen Behörden und anderen Organisationen daran, die Bedingungen zu verbessern.

CSU-Bundesminister verhinderte Aufnahme von mehr Flüchtlingen

In Deutschland wären etliche Länder bereit, deutlich mehr Menschen als bislang aufzunehmen. Bei den letzten Kontingenten mit 1703 Plätzen wären die Länder zur Aufnahme von insgesamt 4253 Menschen bereit gewesen. Dies heisst es beim Bundesinnenministerium.

Das allerdings verhindert Bundesinnenminister Horst Seehofer (CSU). Er besteht darauf, dass andere europäische Länder sich an der Aufnahme von Migranten aus Griechenland beteiligen.

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