In grossem Stil soll eine Gruppe illegales Geld aus Deutschland ins Ausland verschoben haben. Es geht um viele Millionen Euro. Am Dienstag schlugen die Ermittler in fünf Bundesländern zu.
Polizisten durchsuchen die Räume eines Juweliers in Duisburg-Marxloh. Foto: Christoph Reichwein/dpa
Polizisten durchsuchen die Räume eines Juweliers in Duisburg-Marxloh. Foto: Christoph Reichwein/dpa - dpa-infocom GmbH
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Das Wichtigste in Kürze

  • Das Juweliergeschäft in der Duisburger Innenstadt ist auch Stunden nach Beginn einer bundesweiten Razzia gegen illegale Geldtransfers mit Flatterband abgesperrt.

Polizisten einer Hundertschaft sichern den Laden.

Auf einem Schaufenster steht «Altgold Ankauf». Gleich in fünf Bundesländern und den Niederlanden sind Polizisten und Steuerfahnder am Dienstag gegen mutmassliche Mitglieder einer kriminellen Vereinigung vorgegangen. Sie sollen ein verbotenes, sogenanntes Hawala-System für Geldtransfers installiert und betrieben haben.

Der Verdacht richtet sich gegen 27 Personen im Alter zwischen 23 und 61 Jahren. Sie sollen am legalen Bankensystem vorbei Millionen von Euro aus Deutschland in andere Länder geschickt haben. Insgesamt 62 Objekte wurden in Nordrhein-Westfalen, Hessen, Hamburg, Berlin und Baden-Württemberg sowie in den Niederlanden durchsucht. Die Behörden machten zunächst keine näheren Angaben zu der Razzia.

Nach Informationen von «Süddeutscher Zeitung», NDR und WDR lag der Schwerpunkt der Durchsuchungen in NRW. Der Hauptverdächtige soll demnach aus Duisburg kommen und dort einen Metallhandel führen. Die illegalen Überweisungen sollen ohne die nötige Banklizenz vor allem in die Türkei geflossen sein.

Es gehe insgesamt um mehr als 200 Millionen Euro. Der Schwerpunkt der Razzia liege im Grossraum Duisburg, wo unter anderem Metallfirmen, Juweliere und Privatwohnungen durchsucht wurden. Die Staatsanwaltschaft bestätigte am Dienstag lediglich, dass das Geld unter anderem in die Türkei transferiert worden sein soll.

Gegen 6 der 27 Beschuldigten lägen Haftbefehle vor, erklärte das nordrhein-westfälische Landeskriminalamt (LKA). Sie seien teilweise vollstreckt worden, sagte eine Sprecherin der Staatsanwaltschaft Düsseldorf. Dabei kamen auch Spezialkräfte zum Einsatz. Bei dem transferierten Geld handele es sich um mutmasslich illegal erworbenes Vermögen, so das LKA. Woher es im Einzelnen stammen könnte, wurde zunächst nicht bekannt.

Das Hawala-System wird für Geldüberweisungen abseits traditioneller Bankkanäle genutzt. Das System beruhe auf einer Vertrauensbasis der Beteiligten, die oftmals der gleichen Ethnie angehörten, und habe sich in Regionen mit wenig entwickelten Banksystemen herausgebildet, heisst es in einer Analyse des Bundesfinanzministeriums.

Es erlaube, «Gelder nahezu ohne jede Möglichkeit der Rückverfolgung zu transferieren». Das Geld werde gegen eine Gebühr bei einem Hawala-Händler eingezahlt. Der Einzahler erhalte ein Kennwort, gegen dessen Nennung der Empfänger das Geld bei einem Händler im Zielland ausgezahlt bekomme.

Der aus dem Arabischen stammende Begriff Hawala lässt sich Wissenschaftlern zufolge mit Zahlungsanweisung oder Schuldüberweisung übersetzen. Seine Wurzeln hat das Hawala-Finanzsystem in der frühmittelalterlichen Handelsgesellschaft des Vorderen und Mittleren Orients, wie aus einer Publikation der Universität Duisburg 2002 hervorgeht.

Geldtransfers über das Hawala-System müssten «nicht per se einen kriminalistisch relevanten Hintergrund haben», betont das LKA NRW in seinem jüngsten Lagebild zur Clankriminalität. Aber auch Angehörige «türkisch-arabischstämmiger Familienclans» nutzten das System zur Vermögenssicherung und Geldwäsche.

Solche Finanztransfergeschäfte brauchen in Deutschland eine Erlaubnis der Finanzaufsicht Bafin. Bei unerlaubtem Betrieb drohen Haftstrafen von bis zu fünf Jahren. Wie viel Geld aus Deutschland über Hawala-Kanäle überwiesen wird, ist nicht bekannt. «Wir erfahren ja nur von Fällen, auf die wir einen Hinweis bekommen haben», sagte ein Behördensprecher.

Die Finanzaufsicht ist im vergangenen Jahr in insgesamt 87 Fällen gegen unerlaubte Bankgeschäfte eingeschritten, so häufig wie nie zuvor. Der geschätzte Schaden belaufe sich auf einen dreistelligen Millionenbetrag. Wie oft es sich dabei um Hawala-Transfers handelt, kann die Bafin nicht sagen.

An den Durchsuchungen am Dienstag waren mehr als 850 Polizisten und elf Staatsanwälte beteiligt. Ziel war es, Beweise zu finden und Vermögen zu sichern. Geleitet wurde die Aktion von einer vor knapp einem Jahr beim LKA NRW eingerichteten Einsatzgruppe. Darin arbeiten 14 Experten des Landeskriminalamts, zwei Staatsanwälte sowie Steuerfahnder zusammen.

Das Aufgabenfeld ist weit gefasst: Als «Ermittlerteam gegen Terrorfinanzierung, Organisierte Kriminalität und Geldwäsche» war es Mitte Dezember 2018 vorgestellt worden. Die Ermittler kümmern sich vor allem um die Bekämpfung illegaler Geldströme von Terroristen und kriminellen Gruppierungen. Der aktuelle Fall gilt als der bislang grösste.

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