Es war eine schwere Last. Die Weimarer Republik geriet zunehmend in eine «Klammer» von Rechts- und Linksextremismus. Wie stabil ist die Demokratie heute?
Demonstration gegen Friedensbedingungen 1919
Blick auf eine von den Unabhängigen und den Kommunisten veranstaltete Massendemonstration gegen die Friedensbedingungen des Versailler Vertrages im Berliner Lustgarten. - dpa
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Das Wichtigste in Kürze

  • 100 Jahre nach dem Ende des Ersten Weltkriegs erstarkt der Rechtspopulismus in Deutschland wieder.
  • Es könnte Parallelen zum Zerfall der Weimarer Republik geben.

Lange Zeit schien sie fast vergessen: die Furcht vor den «Weimarer Verhältnissen» – mit einer Radikalisierung der politischen Kräfte am rechten und linken Rand. Die Weimarer Republik ist vor allem daran zerbrochen. 100 Jahre nach dem Ende des Ersten Weltkriegs und der Novemberrevolution erstarkt vor allem der Rechtspopulismus in Deutschland wieder. Inwiefern gibt es Parallelen?

Rückblick: 1918 und in den folgenden Jahren befeuern das traumatische Kriegsende und die «Dolchstoss-Legende» über die angebliche Schuld der zivilen Führung an der deutschen Niederlage eine politische Radikalisierung in der Weimarer Republik. Linke Gruppen wollen ein Rätesystem nach sowjetischem Vorbild errichten. Der Versailler Vertrag mit seinen aus Sicht vieler Menschen harten Bedingungen wird zu einer schweren Hypothek für die junge Republik. Vor allem Rechtsextremisten haben zahlreiche politische Morde zu verantworten, am Kampf gegen die Republik aber beteiligen sich Rechts- wie Linksintellektuelle.

Illegale paramilitärische Formationen bilden sich, es kommt zu Putschversuchen wie dem Hitlerputsch im November 1923. Dazu kommen Hyperinflation, später Wirtschaftskrise und Massenarbeitslosigkeit. Vor allem in der Endphase der Weimarer Republik liefern sich Nationalsozialisten und Kommunisten blutige Strassenkämpfe. Schliesslich kommt es im Januar 1933 zur Machtübertragung von Reichspräsident Paul von Hindenburg an die Nationalsozialisten unter ihrem «Führer» Adolf Hitler. Die Nazis errichten ein totalitäres Regime, das in die Katastrophe des Zweiten Weltkriegs und den Holocaust führt.

Hindenburg und Hitler
Adolf Hitler und Paul von Hindenburg im «Reichsehrenmal» in Tannenberg, dem heutigen polnischen Olsztynek am 27. August 1933, lange vor der Hindenburg-Katastrophe. - dpa

Extremismus als Kernproblem

Doch nicht die Stärke des Extremismus sei das Kernproblem der Weimarer Republik gewesen, schrieb der Politikwissenschaftler Hans-Helmuth Knütter. «Das Problem ist, dass die Revolution von 1918 von einem Grossteil des Bürgertums nicht anerkannt wurde», sagt der Historiker Andreas Wirsching vom Institut für Zeitgeschichte in München. «Die Revolution wurde in ihrer politischen Legitimität nie richtig anerkannt.»

Auf der linken Seite sei die Radikalisierung schon vor dem November 1918 angelegt gewesen, sagt Wirsching: «Die Sozialdemokratie, die Arbeiterbewegung spaltet sich. Es gibt eine radikale Linke, das ist der Spartakusbund, die spätere KPD. Es gibt aber auch einen Riss durch die Sozialdemokratie, seit der Zustimmung der Mehrheit der Sozialdemokratie zu den Kriegskrediten im August 1914.»

Über die Unabhängige Sozialdemokratische Partei habe es eine Tendenz nach links innerhalb der Arbeiterbewegung gegeben, die dann 1918 noch einmal deutlich verstärkt worden sei – durch eine allgemeine Unzufriedenheit und die Vorstellung, der Kaiser sei ein Friedenshindernis. «Das führt dann zur Revolution 1918, mit einer noch einmal gesteigerten Radikalisierung.» Mit gravierenden Folgen: Insbesondere habe es am Ende der Weimarer Republik keine Chance für eine Einheitsfront gegen die Nationalsozialisten gegeben.

«Traumatischen Erfahrungen»

Und diese Spaltung hat bis heute Folgen, sind Historiker überzeugt. Peter Hoeres, Professor für Neueste Geschichte an der Universität Würzburg, spricht von «traumatischen Erfahrungen», die bis heute wirkten. «Man denke nur an den Spruch der Linken: «Wer hat uns verraten, Sozialdemokraten.» Und dann später in der DDR die Zwangsvereinigung mit der KPD. Das ist eine Urerfahrung in der SPD. Das ist im kollektiven Gedächtnis schon noch präsent.»

Die Volkspartei SPD befindet sich aktuell in einem Niedergang, aber auch die CDU hat massive Stimmenverluste zu verzeichnen. Das alles passiert in einem Umfeld, das sich grundlegend zu verändern droht. In vielen europäischen Ländern sind Populisten auf dem Vormarsch. Auch in Deutschland führen Umwälzungen im Zuge von Globalisierung und Digitalisierung zu Zukunftsängsten. Es bildet sich zunehmend ein Vielparteiensystem heraus, das Regierungsbildungen und Regieren erschwert. «Das verändert die politische Situation insgesamt und macht sie instabiler und anfälliger», sagt Wirsching. Er sei relativ sicher, dass Deutschland eine stärkere Rechts-Links-Polarisierung erleben werde.

Der Extremismusforscher Steffen Kailitz vom Hannah-Arendt-Institut an der TU Dresden sagt, eine in Reihen von Pegida und der mittlerweile dominanten Strömung in der AfD propagierte antimuslimische Haltung weise «deutliche Parallelen» auf zum Antisemitismus der Weimarer Republik. AfD-Chef Alexander Gauland sei mit Äusserungen der vergangenen zwei Jahren «ganz eindeutig in einem rechtsextremen Fahrwasser».

«Riss» durch die Gesellschaft

Gauland selbst sprach vor kurzem in einem umstrittenen Gastbeitrag in der «Frankfurter Allgemeinen Zeitung» von einer «Fundamentalopposition». Diese sei notwendig, weil ein «Riss» durch die Gesellschaft gehe, so Gauland. Er nennt etwa Menschen, deren Jobs oft miserabel bezahlt würden und die von einer «schäbigen» Rente leben müssten und kommt dann zur Flüchtlingspolitik. Die «Fundamentalopposition» habe von rechts und links kommen können, aber sie musste notwendig «populistisch sein», schrieb Gauland. «Populistisch heisst: gegen das Establishment.»

Alexander Gauland beantwortet Fragen.
Alexander Gauland, Parteivorsitzender der AfD, beantwortet auf dem Podium der Bundespressekonferenz Fragen. - dpa

Historikern sehen die Entwicklungen vor allem am rechten Rand mit Sorge. Die Rechte leide am «Identitätswechsel» der Deutschen und versuche, diesen rückgängig zu machen, sagte der Historiker Andreas Rödder von der Uni Mainz kürzlich dem «Spiegel». Das Problem: die gesellschaftliche und politische Mitte setze dem zu wenig dagegen.

Es gebe eine «Wiederanknüpfung» an Traditionen von Weimar, sagt Wirsching – «und das ist ideologisch bei Teilen der AfD oder auch rechts davon der Fall. Es gibt die Wiederauflage der alten Vorstellung eines biologischen Volkskörpers, der in sich widerspruchsfrei ist, der keine Pluralität kennt, und auch keine Konflikte – der aber in der verfassungsgemässen demokratischen Willensbildung angeblich nicht wirklich repräsentiert sei.» Deswegen würden alle anderen etablierten politischen Kräfte gebrandmarkt. «Wir müssen wachsam sein, was unsere Gegenwart betrifft.»

Proteststimmung braucht Ventil

Schwierig werde es dann, wenn sich grössere Gruppen komplett abgehängt fühlten, sagt Hoeres – sei es ökonomisch, kulturell oder politisch, und sich nicht repräsentiert fühlten. Jede Proteststimmung brauche ein Ventil. «Das Rezept ist eher, das Gespräch zu suchen. Ein Ausgrenzen der AfD ist undemokratisch und verstärkt dort die Fundamentalopposition.»

Dennoch: Aus Sicht von Historikern ist die Gefahr für die Demokratie in Deutschland heute viel geringer als zur Weimarer Zeit. «Der Hauptgrund sind die guten wirtschaftlichen Rahmenbedingungen», sagt Kailitz. «Allerdings stimmt es sehr nachdenklich, dass gerade in einer guten wirtschaftlichen Zeit die AfD sich radikalisiert und dabei Wählerstimmen gewinnt. Die Frage ist: Was passiert eigentlich, wenn es einen Wirtschaftscrash gibt?»

Aber selbst bei einem Crash: Die Unterschiede zu Weimar bleiben gross. Die Mütter und Väter des Grundgesetzes haben die Lehren aus Weimar gezogen. Deutschland gilt heute als stabile Demokratie, eingebettet in die Europäische Union. Und: «Historisch gesehen gab es noch nie eine so lange Friedensperiode für Deutschland», sagt Hoeres. Der Historiker Horst Möller bilanziert in dem Bändchen «Weimarer Verhältnisse?»: «Alles in allem gibt es derzeit keine Indizien für eine vergleichbare Gefährdung der Demokratie.»

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