Auch im dritten Jahr der Pandemie wollen Hersteller ihre Fahrzeuge präsentieren. Nun suchen sie sich dafür Messen für Kunst, Kultur, Sport und Elektronik. Ein neuer Trend?
Das Elektroauto «Vision-S02» von Sony auf der Technik-Messe CES 2022.
Das Elektroauto «Vision-S02» von Sony auf der Technik-Messe CES 2022. - Andrej Sokolow/dpa/dpa-tmn
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Das Wichtigste in Kürze

  • Glänzender Lack auf hell beleuchteten, riesigen Ständen.

Wer sich vor ein paar Jahren für Autos interessierte, besuchte einige der grossen Automessen. Doch klassischen Messen schwindet das Publikum. Hersteller suchen neue Ideen, um ihre Fahrzeuge zu präsentieren.

Autos und die Autoindustrie befinden sich in einem starken Wertewandel. Prof. Stefan Bratzel sieht schon seit Jahren den Trend, dass Hersteller neue Formate wählen. Das Auto bekomme in der Gesellschaft eine neue Rolle, sagt der Direktor des Center of Automotive Management (CAM) in Bergisch Gladbach. «Daher nutzen Hersteller neue Formate, um ihre Produkte in einem anderen Umfeld als bisher zu präsentieren.»

Schon vor der Corona-Pandemie kamen immer weniger Zuschauer zu klassischen und einst grossen Autoshows wie etwa dem Genfer und Pariser Autosalon, der Detroit und Tokyo Motor Show oder der IAA.

Weltweite Unterschiede bei Messen

Einen massgeblichen Wandel der Messelandschaft hat auch Jens Thiemer in den vergangenen Jahren beobachtet: «Besucher wollen nicht mehr in Hallen mit monothematischen Inhalten eingepfercht werden», sagt der Markenchef bei BMW. «Hybride Plattformen, die verschiedene Themen zeigen und unterschiedliche Erlebnisse miteinander kombinieren, sind für Besucher viel interessanter.»

Es gebe aber grosse regionale Unterschiede: Chinesische Automessen wie in Peking oder Shanghai erreichen nach wie vor ein Millionen-Publikum. «BMW muss als Marke versuchen, je nach Inhalt die relevante Plattform zu finden, um unsere Botschaften zu den richtigen Zielgruppen zu transportieren», sagt Jens Thiemer.

Kunst des Autobaus auf Kunstmessen

Einige Hersteller unterstützen daher in den USA und in Europa alternative Veranstaltungen. Dazu zählen unter anderem die Art Basel Miami. Auf dieser Kunstmesse hat BMW den Concept XM und Mercedes eine Studie eines Maybach-SUV gezeigt. Und im Rahmen der Kunstmesse Frieze LA hat BMW eine auf 99 Exemplare ausgelegte Sonderedition vom M850i des amerikanischen Künstlers Jeff Koons präsentiert.

«Je exklusiver und expressiver die Modelle sind, wie der BMW M850i Jeff Koons, desto expressiver und exklusiver müssen auch die Orte sein, an denen sie präsentiert werden», sagt Jens Thiemer.

Bei der Klassiker-Veranstaltung Amelia Island Concours d'Elegance in Florida stellte BMW im März den neuen 8er und den M8 vor. Neben klassischen, seltenen und teuren Autos integrierte BMW seinen Stand dezent auf einem Golfplatz. «Bei solchen Events begegnen wir sehr spezifischen Interessengruppen», sagt er.

Tech-Messen erweitern den Auftritt der Hersteller

Auch auf Digital- und Tech-Messen wie South by Southwest (SXSW) in Austin, Texas, der Consumer Electronics Show (CES) in Las Vegas oder dem Web Summit in Lissabon gilt: Hier erreichen Autohersteller ein anderes Publikum als früher auf klassischen Automessen.

Die SXSW vereint Festivals, Konferenzen und Fachausstellungen in den Bereichen Musik, Film und interaktive Medien und zieht vor allem ein junges Publikum an. VW setzte hier den neuen elektrischen ID.Buzz medienwirksam als Shuttle-Fahrzeug ein. Porsche präsentierte sich beim Kreativfestival mit einem Stand und Studien.

Die Mailänder Möbelmesse wiederum bietet schon seit vielen Jahren diversen Autoherstellern eine Plattform für ihre Produkte.

Der Hersteller kommt zum Zuschauer

«Premiumhersteller suchen sich lieber ein Umfeld mit einem interessanten Publikum, um ihre Neuheiten zu zeigen und ihre Botschaften zu vermitteln», sagt Professor Bratzel. Nicht der Zuschauer kommt zu einer Automesse, sondern der Autohersteller zum Zuschauer - und damit zum vielleicht späteren Kunden.

«Dabei können neue Kunden akquiriert werden, die sonst wenig Bezug zu einem Auto haben», sagt Stefan Bratzel. Veranstaltungen wie Art Basel Miami, CES in Las Vegas, Gamescom in Köln, SXSW in Houston oder der Concorso Eleganza in Amelia Island seien für Premiumhersteller ideale Orte, um ihre hochpreisigen Fahrzeuge einer bestimmten Kundengruppe näher zu bringen. Es gehe nicht mehr um Leistung und Grösse, sondern um innere Werte wie Vernetzung und Nachhaltigkeit.

Neue Konzepte für alte Messen

Auch in Europa finden neue Konzepte Anwendung. Bei der IAA Mobility in München 2021 war der für einige attraktivste Teil nicht in den Messehallen zu sehen, sondern im Open Space in der Innenstadt. Das waren im Grunde viele kleinere Stände an prominenten Plätzen. «Der Open Space der IAA besass keinen Messe-Charakter, sondern war ein urbanes Erlebnis. Das hat viele Besucher angezogen», sagt Thiemer.

Nach Vorbild der Apple-Entwicklerkonferenz hat BMW vor drei Jahren mit der BMW NextGen ein eigenes Format am Standort in München entwickelt. Dort können Besucher Produkte, Technik- und Designthemen analog und digital erleben. Die Ausstellung soll demnächst in andere Weltregionen auf Reise gehen und einer breiten Öffentlichkeit gezeigt werden. BMW will in Zukunft weiter an physischen, digitalen und hybriden Veranstaltungen festhalten. «Der Trend geht hin zu mehr Fahrerlebnis», sagt Jens Thiemer.

Alle Hersteller müssen sich neu orientieren, um zu zeigen, dass der Wandel tatsächlich stattfindet. «Der Rahmen muss aber zur Marke und zum Produkt passen. Es geht schliesslich bei teuren Produkten auch um Status und Emotionen», sagt Prof. Bratzel. Auch auf Hausmessen oder bei temporären Installationen lassen sich Informationen transportieren. «Hersteller müssen Orte finden, wo sich das Auto in der Gesellschaft einordnet und nicht dominiert wie bisher», sagt er.

So engagiert sich Porsche schon seit Jahren bei Rennveranstaltungen und bindet die Porsche-Community ein. Mercedes-Benz plant eine dialog- und erlebnisorientierte Präsenz, die neben Kunden, Interessierten und Fans der Marke auch neue Zielgruppen berücksichtigen.

Digitalisierung und die sozialen Medien

Jochen Sengpiehl, Marketing-Chef bei Volkswagen, sieht insgesamt eine weltweite Veränderung im Markt, nicht nur bei der Darstellung von Produkten und Unternehmen. Die Mediennutzung habe sich geändert, dazu die Autonutzung und die Digitalisierung. Darauf reagiere auch VW.

«Klassische Automessen kommen für uns eher nicht mehr in Frage, da wir dort nicht mehr das Publikum erreichen, das wir ansprechen wollen, ausgenommen bei Verkaufsmessen wie in China und den USA», sagt Jochen Sengpiehl. Eine reine Leistungsshow, wo nur Autos gezeigt werden, sei zudem nicht mehr zeitgemäss.

Die Botschaft soll über das reine Produkt Auto hinausgehen

Vielmehr möchte VW Botschaften transportieren und das ganz Ökosystem der Mobilität erklären. «Für uns stehen Inhalte und Botschaften im Vordergrund, die wir gemeinsam mit der Kommunikation für unsere Community aufbereiten, und nicht einfach ein schicker Messestand», sagt Sengpiehl.

Eine grosse Rolle spielen dabei die Inhalte und Botschaften, die Hersteller wie VW über ihre eigenen Kanäle in den sozialen Medien verbreiten. Aber VW hat auch eigene Veranstaltungen, bei denen den Zuschauern Themen wie Nachhaltigkeit oder autonomes Fahren erklärt werden, durchgeführt, wie die Volkswagen Convention in Berlin.

«Interessant werden Hybridveranstaltungen sein, bei denen Botschaften und Infos digital ins Netz weltweit übertragen werden können, wir aber dennoch Besucher vor Ort unsere Autos physisch zeigen können», sagt Sengpiehl. Das werde ein Trend. Erleben sei einfach besser als nur anschauen.

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