Bald werden in Deutschland die ersten Prozesse aufgrund von Impfschäden stattfinden. Doch es ist schwierig, diese eindeutig zu beweisen.
Impfschäden
Impfschäden benötigen einen eindeutigen kausalen Zusammenhang, um anerkannt zu werden. - keystone
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Das Wichtigste in Kürze

  • Dass es durch die Corona-Impfstoffe zu Impfschäden kommen kann, ist klar bewiesen.
  • Doch diese in Einzelfällen festzustellen, erweist sich schwierig.
  • Dafür müssen kausale Zusammenhänge statistisch bewiesen werden.

Im Laufe der letzten Jahre wurde immer wieder über Impfschäden berichtet, die anscheinend durch Corona-Impfungen ausgelöst wurden: So litten beispielsweise einige junge Menschen an einer Herzmuskelentzündung, die zu einer lebenslangen Herzschwäche führen kann.

Unzählige Menschen statteten ihrem Arzt nach der Impfung einen Besuch ab, um einen Impfschaden zu melden. Oftmals wurde das nicht ernstgenommen. Doch die deutsche SPD ruderte nun von diesem Standpunkt zurück: Nun existiert die sogenannte «Post-Vac-Sprechstunde», bei der Geschädigte bei einer Klage auf Schadenersatz oder Schmerzensgeld unterstützt werden.

Im Detail hat es das Thema aber in sich: Es gibt Missverständnisse, Unschärfen, bewusste Irreführung und juristische Fallstricke. Der Knackpunkt ist die Kausalität bei den Impfschäden. Die wichtigsten Fragen und Antworten:

Worum geht es in den Prozessen?

Der mutmasslich erste Zivilprozess steht Ende April im Frankfurt an. Es geht um Schadenersatz und Schmerzensgeld. Die Klage richtet sich gegen den Hersteller Biontech.

Die Klägerin behauptet, durch die Covid-19-Impfung einen Herzschaden davongetragen zu haben. Die Frau, die nach Angaben ihres Anwalts selbst in einem medizinischen Beruf arbeitet, will unbekannt bleiben.

Zwei Grosskanzleien vertreten nach eigenen Angaben eine dreistellige Zahl von Menschen vor Gericht. Beklagt werden Hersteller verschiedener in Deutschland eingesetzter Impfstoffe wegen Impfschäden.

Für Covid-19-Impfstoffe gelten im Prinzip dieselben Haftungsregeln wie für andere Arzneimittel, etwa nach dem Arzneimittelrecht oder dem Produkthaftungsgesetz. Der Hersteller kann zur Verantwortung gezogen werden, wenn etwa ein Produktionsfehler vorliegt.

Wird das Arzneimittel beispielsweise fehlerhaft verabreicht, haftet die impfende Person. Knackpunkt ist die Kausalität: Ist der Schaden ursächlich auf die Impfung zurückzuführen?

Was sagen die Hersteller zu Impfschäden?

Der Mainzer Impfstoffhersteller Biontech betont mit Blick auf die anstehenden Prozesse, dass bisher kein kausaler Zusammenhang festgestellt werden konnte. Zumindest in den von ihnen geprüften Fällen konnte keine gesundheitliche Beeinträchtigung durch die Impfung Corminaty nachgewiesen werden.

«Wir nehmen unsere Verantwortung als Impfstoffhersteller sehr ernst», sagte eine Sprecherin der Deutschen Presse-Agentur dpa. Biontech prüfe sorgfältig jeden Fall, in dem Ansprüche gegenüber Biontech geltend gemacht werden.

Voraussetzung sei allerdings, dass die Anwälte genügend Unterlagen über die Impfschäden vorlegen. «Bei der Bewertung des Falls können wir uns allein auf die medizinischen Fakten stützen, um zu evaluieren, ob ein kausaler Zusammenhang besteht oder nicht. Genau daran fehlt es leider sehr häufig.»

Was sind Impfschäden überhaupt?

Die Begriffe gehen oft durcheinander. Da ist zum einen die «Impfreaktion». Das sind typische Beschwerden wie Rötungen, Schwellungen oder Schmerzen an der Einstichstelle. Auch Fieber, Kopf- und Gliederschmerzen gelten als normal, sie sind Ausdruck der erwünschten Auseinandersetzung des Immunsystems mit dem Impfstoff.

Als «Impfkomplikation» sieht das für die Sicherheit von Impfstoffen zuständige Paul-Ehrlich-Institut (PEI) eine nach der Impfung auftretende unerwünschte Reaktion. Sie steht erstens in einem ursächlichen Zusammenhang mit der Impfung und zweitens geht sie über eine Impfreaktionen hinaus. «Impfschaden» meint im engeren Sinne «die gesundheitliche und wirtschaftliche Folge» dieser Komplikation.

Impfschäden
Unter anderem steht Pfizer-Biontech an der Anklagebank wegen Impfschäden. - Keystone

«Schwerwiegende Nebenwirkungen» sind in Paragraf 4 des Arzneimittelgesetzes definiert – als Impffolgen, «die tödlich oder lebensbedrohend sind, eine stationäre Behandlung oder Verlängerung einer stationären Behandlung erforderlich machen, zu bleibender oder schwerwiegender Behinderung, Invalidität, kongenitalen Anomalien oder Geburtsfehlern führen».

Welche Impfschäden sind bekannt?

Das PEI veröffentlicht regelmässig «Sicherheitsberichte». Darin sind folgende schwere Impfkomplikationen aufgelistet: die Herzkrankheit Myo-/Perikarditis, die im Gehirn auftretende Sinusvenenthrombose und weitere Blutgerinnsel. In der Liste stehen ebenfalls Gesichtslähmungen, eine Muskelschwäche namens Guillain-Barré-Syndrom und der Hörschaden Tinnitus.

Sie alle sind den PEI-Daten zufolge «selten» (ein Fall pro 10'000 bis 1000 Impfungen) oder «sehr selten» (weniger als Fall pro 10'000 Impfungen).

Bis Ende Juni 2022 gab es 120 Fälle, bei denen es eventuell einen kausalen Zusammenhang zwischen einem Todesfall und der Corona-Impfung gab. Diese Zahlen vermittelt der jüngste Sicherheitsbericht. Laut PEI ist die Zahl der Todesfälle 30 Tage nach einer Corona-Impfung aber nicht häufiger als im statistischen Durchschnitt.

Wie viele Verdachtsfälle wurden gemeldet?

Das PEI zählt auch die gemeldeten Verdachtsfälle. Ob sich der Verdacht später erhärtet, geht aus dieser Statistik nicht hervor. Dem Institut wurden bis Mitte vergangenen Jahres 323'684 Verdachtsfälle von Nebenwirkungen und Impfkomplikationen gemeldet.

Seit Beginn der Impfungen wurden laut Robert Koch-Institut insgesamt 183 Millionen Einzelimpfungen zum Schutz vor Covid-19 verabreicht. Damit betrug die Melderate für alle Impfstoffe zusammen 1,8 Meldungen pro 1000 Impfdosen. Für Verdachtsfälle schwerwiegender Nebenwirkungen und Impfkomplikationen sinken diese Daten auf 0,3 Meldungen pro 1000 Impfdosen. Die Zahl liegt also im Promillebereich.

Wie sind dramatische Einzelschicksale einzuordnen?

Medien berichten immer wieder über dramatische Einzelschicksale. Das «heute-journal» zeigte zum Beispiel in einem Beitrag eine jugendliche ehemalige Leistungssportlerin: Nach der zweiten Dosis der Corona-Impfung musste sie um ihr Leben kämpfen und sitzt jetzt im Rollstuhl.

«Fälle wie in dem Beitrag sind aber nach aktueller Datenlage so selten, dass sie nicht als statistische Häufung erfasst sind», erklärte Leif Erik Sander der «Zeit». Er ist Impfstoffforscher und Leiter der Klinik für Infektiologie an der Berliner Charité. Solche extremen Folgen könnten in Einzelfällen von Impfschäden vorkommen.

Wenn es eine Häufung solcher schweren Komplikationen gäbe, sagte Sander, wäre dies in den PEI-Daten. Bei weltweit mehr als 13 Milliarden verimpften Dosen wäre diese erst recht in internationalen Daten aufgefallen. Und das sei nicht der Fall.

Wird da was unter den Teppich gekehrt?

Gegner der Corona-Impfungen behaupten das. So wurde 2022 etwa unter Berufung auf die Kassenärztliche Bundesvereinigung Folgendes behauptet: Niedergelassene Ärzte hätten in ihren Abrechnungen 2,5 Millionen Mal Impfnebenwirkungen codiert. Damit hätte es in 1,5 Prozent aller Corona-Impfungen Probleme gegeben. Bei konventionellen Impfungen vor der mRMA-Technik habe dieser Wert bei 0,3 Prozent gelegen.

Faktenchecker kamen zu dem Schluss, dass hier unterschiedliche Dinge gleichgesetzt und falsche Schlüsse daraus gezogen wurden. Zum Beispiel wurden harmlose Impfreaktionen, die häufig sind, und echte Impfschäden, die sehr selten sind, in einen Topf geworfen. Das Schlagwort von den 2,5 Millionen Geschädigten durch die Corona-Impfungen hielt sich dennoch. Bei einem Wahlkreisbesuch wurde Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) diese Zahl an den Kopf geworfen.

Wurde bisher schon Menschen Geld zugesprochen?

Bei einigen Hundert Menschen wurden Versorgungsansprüche wegen Impfschäden bewilligt. Dabei geht es nicht um Schmerzensgeld oder Schadenersatz, sondern zum um Versorgungsleistungen. Zuständig sind die Versorgungsämter der Bundesländer.

Wenn sie den Antrag ablehnen, kann man beim Sozialgericht gegen die Entscheidung klagen. Auch hier geht es um dieselbe Frage: Trat der Schaden zufällig in zeitlicher Nähe zur Impfung auf oder wurde er ursächlich durch die Impfung verursacht?

Die «Frankfurter Allgemeinen Zeitung» (FAZ) recherchierte zu diesem Thema: Bis Mitte März 2023 sind in 13 der 16 Bundesländer 6600 Anträge auf Versorgungsleistungen wegen Impfschäden eingegangen. Die Zahl der von den Versorgungsämtern anerkannten Corona-Impfschäden lag den Recherchen zufolge zuletzt bei 284. «In den 13 Ländern kommt ein anerkannter Corona-Impfschaden auf knapp 214'000 geimpfte Bürger», so die FAZ.

Wann ist eine Impfung ein Risiko?

Das PEI betont gebetsmühlenartig: «Unerwünschte Reaktionen [stünden] oftmals im zeitlichen, nicht aber unbedingt im ursächlichen Zusammenhang mit einer Impfung.» Das in einem konkreten Einzelfall nachzuweisen oder zu widerlegen ist die eine Sache. Die andere ist, das Risiko für Impfschäden für die Allgemeinheit zu quantifizieren.

Dabei helfen Statistiken, wie oft bestimmte Krankheiten in einer bestimmten Bevölkerungsgruppe in einem bestimmten Zeitfenster auftreten. Sie sind die Vergleichsgrösse für die gemeldeten unerwünschten Ereignisse nach einer Impfung.

In manchen Fällen gibt es dann eine signifikant höhere Anzahl an Verdachtsmeldungen für ein Ereignis nach einer Impfung. Wenn dies statistisch auffällig ist, spricht das PEI von einem «Risikosignal». Hier könnte also eine Gefahr auf Impfschäden lauern.

Was ist Post Vac?

Analog zu Long- oder Post Covid hat sich der Begriff Post Vac für Beschwerden nach einer Impfung etabliert. Medizinisch definiert ist das Krankheitsbild nicht. Im Allgemeinen sind damit Beschwerden gemeint, wie sie auch nach einer Covid-Infektion auftreten können.

Das Universitätsklinikum Marburg hat im Rahmen seiner Covid-Ambulanz eine Post-Vac-Sprechstunde ins Leben gerufen. «Wir haben jeden Tag Hunderte Anfragen zum Post-Vac-Syndrom», sagte der Leiter der Ambulanz, Prof. Bernhard Schieffer, der dpa. «Wie viele Verdachtsfälle sich am Ende bewahrheiten, kann man bei der ersten Kontaktaufnahme nicht sagen.»

Nimmt sich die Ambulanz eines Post Vac-Verdachts an, muss nicht nur geprüft werden, ob es tatsächlich einen ursächlichen Zusammenhang gibt. Wichtig ist auch zu unterscheiden, ob der Patient nur geimpft ist oder auch infiziert war. Dafür wird laut Schieffer ein Test eingesetzt: Er kann die Antikörper gegen das Virus und die Antikörper gegen das Spike-Protein des Impfstoffs unterscheiden.

Wie reagiert die Politik?

Gesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) hat Hilfen für Menschen mit Langzeitschäden einer Corona-Infektion oder -Impfung zugesagt. Sowohl die Folgen von Long Covid als auch von Post Vac – also Impfschäden – sollen untersucht werden. Auch die Versorgung der Betroffenen soll verbessert werden, so Lauterbach im März im ZDF-«heute journal».

Laut des Politikers müssten die Impfschäden schneller anerkannt werden. Kommentatoren werteten das als 180-Grad-Wende des Ministers, der zuvor die Unbedenklichkeit der Corona-Impfstoffe betont hatte.

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