Impfstoff: Merkel und EU gegen Freigabe von Patenten
Das Wichtigste in Kürze
- Die Europäische Union sieht im US-Vorstoss zur Freigabe von Patenten für Corona-Impfstoffe keine «Wunderlösung» für ärmere Länder.
Vielmehr wirbt sie vor allem um die rasche Aufhebung von Exportbeschränkungen, die die Ausfuhr solcher Präparate verhindern.
Dies erklärte EU-Ratschef Charles Michel am Samstag beim EU-Gipfel im portugiesischen Porto. Auch Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) sprach sich nach dem Gipfel klar gegen eine Aufweichung des Patentschutzes aus. «Ich habe hier noch einmal deutlich gemacht, dass ich nicht glaube, dass die Freigabe von Patenten die Lösung ist, um mehr Menschen Impfstoff zur Verfügung zu stellen», sagte sie am Samstag in Berlin. «Ich glaube, dass wir die Kreativität und die Innovationskraft der Unternehmen brauchen.»
Dazu gehöre der Patentschutz. «Für mich ist sozusagen die Infragestellung des Patentschutzes hier nicht der Weg, der uns zu mehr Impfstoff und besserem Impfstoff führt», sagte Merkel.
Seit Tagen tobt eine politische Debatte um die Lockerung der Rechte am geistigen Eigentum, die ärmere Länder seit langem fordern und die US-Präsident Joe Biden diese Woche überraschend unterstützte. Auch Papst Franziskus sprach sich für die Aussetzung von Impfstoffpatenten aus. Anders als in vielen Industriestaaten wie den USA oder Deutschland sind in ärmeren Ländern erst sehr wenige Menschen gegen Covid-19 geimpft. Bei Freigabe der Patente könnten auch andere Hersteller ohne Lizenzgebühren produzieren. Dagegen stemmen sich die Pharmafirmen, die die Rechte besitzen.
Das bekräftigte am Samstag auch der Mainzer Hersteller Biontech, bot aber Preisvorteile für arme Länder. Länder mit niedrigem oder unterem mittleren Einkommen würden «zu einem nicht gewinnorientierten Preis» versorgt, sicherte eine Sprecherin zu. Patente seien «nicht der begrenzende Faktor für die Produktion oder Versorgung mit unserem Impfstoff». Die Herstellung sei komplex. Wenn Anforderungen nicht erfüllt seien, könnten Qualität, Sicherheit und Wirksamkeit leiden. Biontech vertreibt zusammen mit dem US-Konzern Pfizer einen der wichtigsten Impfstoffe.
Die 27 EU-Staaten hatten am Freitagabend über Bidens Vorstoss beraten. Die EU ist nach eigenen Angaben derzeit die einzige demokratische Region, die in grossem Massstab Corona-Impfstoff exportiert. Mehr als 200 Millionen Dosen seien aus der EU ausgeführt worden - in etwa dieselbe Liefermenge wie innerhalb der Union. Die USA behalten dort produzierten Impfstoff hingegen vorrangig selbst. Biden hatte Ende April bekräftigt, dass zunächst jeder Amerikaner Zugang haben solle.
Der französische Präsident Emmanuel Macron sagte, Problem seien nicht fehlende Patente, sondern Produktion und Exportschranken. Patentrechte sollten nur dann ausgesetzt werden, wenn diese die Versorgung der ärmsten Länder einschränken.
Im Zentrum des EU-Gipfels, an dem Merkel per Videoschalte teilnahm, standen eigentlich die Stärkung sozialer Rechte und das Bekenntnis zu einem gerechten Aufschwung mit guten Jobs nach der Corona-Krise. Dazu hatten die EU-Staaten am Freitag mit Gewerkschaften und Arbeitgeberverbänden eine feierliche Verpflichtungserklärung unterzeichnet.
Darin bekennen sich die Beteiligten zu konkreten Zielen, um die soziale Lage bis 2030 spürbar zu verbessern. Die Beschäftigungsquote soll steigen, mehr Arbeitnehmer sollen fortgebildet und Armut soll reduziert werden. Am Samstag stellten sich die Staats- und Regierungschefs in einer eigenen «Erklärung von Porto» ebenfalls grundsätzlich hinter diese Ziele.
Am Nachmittag schalteten sich die Staats- und Regierungschefs dann in einem Videogipfel mit dem indischen Ministerpräsidenten Narendra Modi zusammen. Dabei wurde der Neustart von Verhandlungen über ein Handels- und Investitionsabkommen vereinbart. Zudem sagte die EU den Schulterschluss mit Indien im Kampf gegen Covid-19 zu. «Wir liefern Ausrüstung an das indische Volk und arbeiten daran, die Impfstoffproduktion zu steigern», schrieb Michel auf Twitter.
Die Corona-Lage in Indien ist dramatisch. Am Samstag meldeten die Behörden erstmals mehr als 4000 Corona-Tote binnen 24 Stunden und wieder mehr als 400.000 Neuinfektionen.
In Porto ging es auch erneut um die EU-Beziehungen zu Russland. Tschechiens Ministerpräsident Andrej Babis forderte nach eigenen Angaben die übrigen EU-Staaten auf, dass sie alle «die Ausweisung von zumindest einem russischen Diplomaten» erwägen sollten. Nach tschechischen Geheimdienstermittlungen sollen russische Agenten in die Explosion eines Munitionslagers mit zwei Todesopfern 2014 im tschechischen Vrbetice verwickelt gewesen sein. Moskau bestreitet dies. Tschechien und Russland haben gegenseitig schon Dutzende Diplomaten ausgewiesen.