Parallel zur Klimakrise gibt es eine Biodiversitätskrise: Viele Tier- und Pflanzenarten sind vom Aussterben bedroht. Auf einem Gipfel soll nun dagegen vorgegangen werden, die Erwartungen sind gemischt.
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Ein Tagpfauenauge sitzt auf einer Sonnenblume. - Sina Schuldt/dpa

Die Hoffnung ist gross: Nicht weniger als einen «Paris-Moment für den Artenschutz» erhoffe sie sich vom Weltnaturgipfel im kanadischen Montreal, sagt Elizabeth Maruma Mrema, die Chefin der UN-Biodiversitätskonvention.

In Paris hatten sich 2015 die Teilnehmer der UN-Klimakonferenz darauf geeinigt, die Erderhitzung im Vergleich zur vorindustriellen Zeit möglichst auf 1,5 Grad Celsius zu begrenzen. Das gilt bis heute als grosser Durchbruch, auch wenn das Ziel in weiter Ferne ist.

Der 15. Weltnaturgipfel beginnt offiziell morgen und ist bis zum 19. Dezember angesetzt. Eine Eröffnungszeremonie unter anderem mit Kanadas Premierminister Justin Trudeau und UN-Generalsekretär António Guterres war bereits für den Abend (21.15 deutscher Zeit) geplant.

«Ehrgeizig und transformativ»

Von dem Gipfel erhoffen sich die Organisatoren, Wissenschaftler und Vertreter von Nichtregierungsorganisationen nun ähnliches wie von Paris 2015: Ein richtungsweisendes globales Abkommen für den Artenschutz. «Ehrgeizig und transformativ» müsse es sein, fordert Mrema – denn es gehe um nicht weniger als das Überleben der Menschheit. «Es wird nicht leicht, es wird harte Arbeit, aber es ist entscheidend, um die Zukunft der Menschheit auf diesem Planeten sicherzustellen.»

Deutsche Wissenschaftler und Vertreter von Nichtregierungsorganisationen forderten im Vorfeld der Konferenz einen grundlegenden Wandel im Wirtschaftssystem. Ziel sei es, eine Form des Wirtschaftens zu etablieren, die im Einklang mit der Natur stehe und die Kosten des Artenverlusts abbilde, hiess es in der «Frankfurter Erklärung».

Eines der Hauptziele der Konferenz ist es, mindestens 30 Prozent der weltweiten Landes-und Meeresflächen bis 2030 unter Schutz zu stellen. Nach Ansicht einiger deutscher Experten ist es aber fraglich, ob das erreicht werden kann. «Ich denke, wir werden das nicht hinkriegen», sagt etwa Thomas Brey vom Alfred-Wegener-Institut in Bremerhaven mit Blick auf die Meeresflächen. Er sieht Widerstände vor allem aus Asien und aus Russland. Derzeit sind laut Experten etwa sieben Prozent der Meere geschützt.

«Unsere Welt schreit nach Veränderung»

Eine wichtige Rolle bei den anstehenden Verhandlungen spielt auch eine solide Finanzgrundlage für den globalen Artenschutz.

Das Artenschutz-Abkommen werde dringend gebraucht, sagt Mrema. «Unsere Welt schreit nach Veränderung. Der derzeitige Zustand der Biodiversität ist schlimm. 90 Prozent der Ökosysteme weltweit sind verändert worden, eine Million Arten sind vom Aussterben bedroht. Unser Planet steckt in der Krise.»

Wir erlebten derzeit das «grösste Artensterben seit der Dinosaurierzeit», allerdings sei es diesmal wissenschaftlich belegt ein menschengetriebener Prozess, sagt auch Heike Vesper vom Naturschutzbund WWF Deutschland. «Die biologische Vielfalt ist aber die Grundlage für unser Überleben und auch für unsere Wirtschaft.»

So viel hänge von der Biodiversität ab, zum Beispiel grosse Teile unserer Nahrung, Rohstoffe, sauberes Wasser, saubere Luft und viele Medikamente. In den vergangenen 50 Jahren habe sich die Weltbevölkerung verdoppelt, die Wirtschaft vervierfacht und der Welthandel verzehnfacht. «Wir Menschen nehmen einfach mehr, als die Erde uns geben kann.» Christof Schenck, Träger des Deutschen Umweltpreises 2022 und Geschäftsführer der Frankfurter Zoologischen Gesellschaft, spricht in Hinblick auf die Artenvielfalt von einem «Massensterben».

«Gewisse Spannungen»

Ursprünglich hätte der 15. Weltnaturgipfel – der auch unter dem Kürzel «COP-15» läuft – schon 2020 in China stattfinden sollen, wurde dann aber wegen der anhaltenden pandemischen Lage dort verschoben und zerteilt. Der erste Verhandlungsteil fand im vergangenen Oktober hauptsächlich online in Kunming statt, der zweite nun in Montreal, allerdings weiter unter chinesischem Vorsitz. Zwischendurch gab es zahlreiche Vorbereitungstreffen auf verschiedenen Ebenen und an verschiedenen Orten.

Die Vorzeichen für Montreal sind durchwachsen: Schon im Vorfeld habe es «gewisse Spannungen», vor allem politisch-diplomatischer Natur zwischen der chinesischen Präsidentschaft und Teilnehmerstaaten gegeben, sagt Florian Titze vom WWF Deutschland. Eine vorbereitende Resolution für das Treffen wurde beispielsweise von der UN-Vollversammlung nicht wie eigentlich üblich im Konsens verabschiedet. Ausserdem lud die chinesische Präsidentschaft keine Staats- und Regierungschefs zu dem Gipfel ein – deswegen werden nun auch – zumindest offiziell – erstmal keine erwartet.

«Kommt offen und flexibel nach Montreal»

Immerhin UN-Generalsekretär António Guterres werde zum Auftakt aber anreisen, hiess es von den Vereinten Nationen. In einer Rede wolle Guterres betonen, wie wichtig es sei, «Frieden mit der Natur zu schliessen», hiess es.

«Kommt offen und flexibel nach Montreal, bereit dafür, einen Kompromiss zu schliessen», bittet Mrema, die Chefin der UN-Biodiversitätskonvention. Die nächste Herausforderung sei dann allerdings die Umsetzung. «Ein schönes Dokument, mit dem wir unsere Regale schmücken können» bringe gar nichts, sagt Mrema – und davor warnt auch Titze vom WWF: «Wir sind in der Vergangenheit immer an der Umsetzung gescheitert, nicht an den Zielen.»

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