«Blueliner Berger»: Celestini, Boucher und die Crux mit der Moral
Der Schweizer Trainer des FC Basel wechselt nach Russland – es folgt eine Welle der Empörung. Im Eishockey dagegen dominiert in der Russland-Frage Pragmatismus.

Kurz nach dem Doublegewinn mit dem FC Basel verabschiedete sich Fabio Celestini und nahm eine Offertedes ehemaligen Armeeklubs ZSKA Moskau an.
Die Reaktionen waren vernichtend, der «Blick» schrieb von «komplettem Irrsinn» und der «Tages-Anzeiger» titelte: «Fabio Celestini ist von allen guten Geistern verlassen.»

Es sind legitime Reaktionen, man kann einen Wechsel nach Russland im Jahr 2025 als moralische Bankrotterklärung werten, weil das Land unter dem Präsidenten Wladimir Putin seit mehreren Jahren Kriegstreiber ist. Die Frage ist nur, wo man die Grenze zieht.
Simpsons kurzes Gastspiel in Jaroslawl
Celestini ist nicht der einzige Schweizer, der dem Lockruf des Rubels erliegt. Der Fussball-Nationaltrainer Murat Yakin coachte einst Spartak Moskau.
Der frühere Eishockey-Nationalcoach Sean Simpson leitete für ein paar Wochen Lokomotiv Jaroslawl an, jenes Team, das mit dem Topskorer Alexander Radulow gerade die KHL gewonnen hat.

Sven Andrighetto stürmte für Awangard Omsk, Patrick Fischer für SKA St. Petersburg. Praktisch alle Sportvereine gehören staatlichen Betrieben oder regimefreundlichen Milliardären, bei denen man liebernicht grübelt, wie genau sie zu ihrem Vermögen gekommen sind.
In der eurozentrischen Wahrnehmung haben diese Fragen aber erst mit dem russischen Einfall in die Ukraine an Brisanz gewonnen.
Den Entscheidungsträgern im Schweizer Eishockey scheint der kollektive Aufruhr allerdings auffallend egal zu sein. Seit Beginn der russischen Invasion wechseln unablässig Spieler in die NL, die zuvor in der KHL engagiert waren.
Der SC Bern verpflichtete Adam Reideborn, die ZSC Lions Chase DeLeo. Ambrì hat gerade Chris Tierney und Nicolas Petan geholt. Zuvor waren es Kodie Curran und Jakob Lilja.

Der HCD-CEO Marc Gianola sagte dem «Tages-Anzeiger» im September 2023: «Die moralische Frage stellt sich für mich erst dann, wenn ein Spieler nach Kriegsbeginn in der KHL unterschreibt.»
Kurz darauf verpflichtete Davos mit Tomas Jurco und Joe Morrow zwei Spieler, die sich nach Kriegsbeginn KHL-Teams anschlossen. Moralische Fragen wichen innert wenigen Wochen jenem Pragmatismus, den längst fast alle NL-Klubs für sich entdeckt haben.
Agostino war bei Skelleftea unerwünscht
Zwar gab und gibt es hier und dort kritische Nachfragen und Einwände. Aber selten so harsche Proteste, wie Skelleftea sie 2023 erlebte, als der Klub den Amerikaner Kenny Agostino von Torpedo Nischni Nowgorod übernahm.
Sie waren so wuchtig, dass Skelleftea den Vertrag mit Agostino zwei Tage nach der Bekanntgabe wieder auflöste.

Gerade in Finnland und Schweden bleibt die Ablehnung gegenüber Spielern und Trainern, die seit 2022 in Russland gewirkt haben, gross. Aber in den meistenLigen ist ein russischer Stopp in der Vita nicht mehr als ein Achselzucken wert.
So wird das bei den 60 Kanadiern und 28 Amerikanern sein, die 2024/25 für KHL-Teams spielten. Beim Trainer Guy Boucher (ex-SCB und heute HK Awangard Omsk). Und irgendwann auch bei Fabio Celestini.
Im Profisport der Moderne muss man sich keine Illusionen darüber machen, dass Moral grossgeschrieben wird.
Über den Autor Nicola Berger
Nicola Berger schreibt seit mehr als 15 Jahren über das Schweizer Eishockey – er tat das lange für die «Luzerner Zeitung». Und auch für Produkte, die es betrüblicherweise längst nicht mehr gibt: «The Hockeyweek», «Eishockey-Stars», «Top Hockey».
Seit 2013 ist er Reporter bei der NZZ und hat eine ausgeprägte Schwäche für Aussenseiter sowie aus der Zeit gefallene Stadien und Persönlichkeiten. Ein Königreich für ein Comeback von Claudio Neff.