Darum fährt auch «linke» Regierung harte Asyl-Linie
In Polen hat eine Mitte-Regierung von der rechten PiS übernommen. Dennoch verfolgt Warschau jetzt eine strenge Migrationspolitik. Ein Experte ordnet ein.
Das Wichtigste in Kürze
- Polen-Premier Donald Tusk plant ein härteres Vorgehen gegen Migranten.
- Ein Experte erklärt, weshalb auch die neue Regierung scheinbar rechte Politik betreibt.
- Warschau ist kein Einzelfall – es gibt einen klaren EU-Trend zu harter Migrationspolitik.
In Polen kam es Ende 2023 zu einem Machtwechsel. Die rechte Partei Prawo i Sprawiedliwosc (PiS) blieb zwar stärkste Kraft – konnte aber keine Koalition bilden. So übernahm eine neue Regierung um Donald Tusk.
Klar ist: Die Tusk-Regierung ist keine linke Regierung im klassischen Sinne. Es sind linke Parteien in der Koalition vertreten. Das gesamte Bündnis ist allerdings eher in der Mitte zu verorten. Es gilt aber in jedem Fall als linker und EU-freundlicher als das vorherige PiS-Kabinett.
Da scheint es auf den ersten Blick überraschend, dass Tusk nun eine harte Linie in der Migrationspolitik fahren will. Das Asylrecht soll nämlich vorübergehend ausgesetzt werden. Weshalb tut die neue «linkere» Regierung dies?
Tusk reagiert mit neuem Plan auf PiS-Kritik
Gegenüber Nau.ch erklärt Politologe Kai-Olaf Lang von der deutschen Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP): «Die Regierung Tusk verfolgt mit ihrer restriktiven Haltung in Sachen Migration mehrere Ziele.»
Einerseits gibt es innenpolitische Gründe für das Vorhaben. Tusk wolle zeigen, dass er in Sachen Zuwanderung und Grenzschutz nicht nachlässig sei. Die PiS hat dies nämlich den Regierungsparteien zuvor vorgeworfen.
Dazu kommt, dass Tusk so demonstrieren kann, dass die nationalen Interessen Polens für ihn Vorrang haben. Lang sagt: «Damit signalisiert er, auch wieder innenpolitisch, dass er sich nicht von EU-Regularien einschränken lassen will.» Die PiS bezeichnete den Regierungschef immer wieder als zu «nachgiebig» gegenüber Brüssel und Deutschland.
Ein letzter Grund, den Lang nennt, ist die aktuelle Situation an Polens Grenzen. «Es gibt ein echtes Problem an der Grenze zu Belarus», so der Experte. Denn das Regime um Präsident Alexander Lukaschenko schickt Migranten über die Grenzen, um EU und Nato zu destabilisieren. «Für Polen geht es hier also in erster Linie um eine Bedrohung und um Sicherheitspolitik», sagt Lang.
Dazu kommt, dass Polen in der EU nicht alleine ist – die Stimmung bezüglich Migration hat sich laut Lang verändert. «Innere Sicherheit und Aufnahmefähigkeit stehen im Vordergrund, humanitäre Aspekte werden nicht mehr so gross geschrieben wie früher.»
Finnland hat beispielsweise ähnliche Schritte unternommen wie Polen. Tusk argumentiere zudem, dass die Massnahme regional und zeitlich begrenzt sei. «Auf harten Widerstand aus der Europäischen Kommission und aus anderen Mitgliedstaaten ist Tusk daher nicht getroffen.» Einzig neue EU-Gelder für die Finanzierung der Grenzsicherheit habe der polnische Premier nicht aushandeln können.
Mitte-Parteien geraten wegen rechter Erfolge unter Druck
Der europäische Trend geht in eine klare Richtung. Auch Regierungen, die links oder in der Mitte zu verorten sind, äussern sich immer kritischer zur Migration. Hier nennt Experte Lang ebenfalls mehrere Gründe.
Einerseits hat der Kurswechsel mit den Wahlerfolgen von migrationskritischen Parteien zu tun. «Die Parteien der Mitte sehen, dass sie ohne einen Kurswechsel weiter an Zustimmung verlieren», so der Politologe.
Weiter sind in manchen Ländern die Aufnahmesysteme überlastet. Laut Lang geraten Gemeinden beispielsweise an ihre Grenzen. Dazu kommt der Aspekt der Sicherheit: «Schliesslich hat die Zunahme von Kriminalität, die im Zusammenhang insbesondere mit illegaler Migration steht, zu einer Änderung der bisherigen Politik geführt.»
Das Fazit von Lang: «Ob Parteien im klassischen Sinne eher ‹links› oder ‹rechts› sind, ist nicht mehr durchgängig entscheidend für die Haltung in Migrationsfragen.»
Der Trend ist in einem etwas anderen Kontext durchaus auch in der Schweiz zu beobachten. Die FDP hat etwa am Wochenende ein neues Migrationspapier präsentiert. Darin fordert sie ebenfalls ein strengeres Vorgehen.