Schwierigkeiten im sozialen Miteinander sind ein typisches Merkmal von Autismus. Laut Forschern kann dies an einer Fehlfunktion bestimmter Synapsen liegen.
Ein Mann mit Asperger-Syndrom, eine Variante des Autismus, steht ganz alleine an einer U-Bahn-Station.
Ein Mann mit Asperger-Syndrom, eine Variante des Autismus, steht ganz alleine an einer U-Bahn-Station. - Keystone
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Das Wichtigste in Kürze

  • Autismus kann an einer Fehlfunktion von Synapsen im Belohnungszentrum des Gehirns liegen.
  • Grund: Das Belohnungszentrum verstärkt die Motivation für bestimmte Verhaltensweisen.

In der Schweiz leidet mehr als ein Kind von 200 an einer Störung aus dem Autismus-Spektrum. Forschende der Universitäten Genf und Basel haben nun entdeckt, dass Defizite im Sozialverhalten bei Autismus mit einer zu schwachen Nervenzell-Kommunikation im Belohnungszentrum des Gehirns zusammenhängen. Davon berichten sie im Fachblatt «Nature Communications».

In allen Säugetieren stellt das Belohnungszentrum einen wichtigen Schaltkreis im Gehirn dar, der die Motivation für bestimmte Verhaltensweisen verstärkt. Verschiedene Studien haben bereits Hinweise geliefert, dass Fehlfunktionen in diesem Schaltkreis mit fehlender Motivation für soziale Interaktionen zusammenhängen, wie sie bei Autismus auftritt. Nur war bisher nicht bekannt, was genau auf Nervenzell-Ebene schiefläuft, schreibt die Uni Genf am Donnerstag in einer Mitteilung.

Im Belohnungszentrum spielen dopaminerge Nervenzellen eine Rolle, also Neurone, die auf den Botenstoff Dopamin reagieren. Bei diesen Zellen setzten die Forschende im Zuge von Versuchen mit Mäusen an. Bei den Versuchstieren war ein Gen namens «Neurologin 3» abgeschaltet worden. Dies sollte eine bei manchen Personen mit Autismus vorkommende Genmutation imitieren.

Weniger Interesse an Kontakt

Tatsächlich zeigten die Versuchsmäuse im Vergleich zu Kontrolltieren mit funktionstüchtigem Neurologin 3 deutlich weniger Interesse an sozialen Kontakten. Ein ähnliches Verhalten also, das auch im Zusammenhang mit Autismus stehe, schreibt die Uni Genf.

Im nächsten Schritt fokussierten die Forschenden auf die Kommunikation zwischen den Nervenzellen über Verknüpfungspunkte, Synapsen genannt. Aus früherer Forschung war bekannt, dass Neues im Zusammenhang mit sozialen Interaktionen zu einer Verstärkung der Nervenzell-Kommunikation führt. Dadurch wird das Interesse am sozialen Kontakt aufrechterhalten. Bei den Mäusen ohne Neurologin 3 fand diese synaptische Verstärkung jedoch nicht statt. Die Nervenzellen reagierten dadurch weniger auf einen neuen Reiz.

«Das gleiche synaptische Defizit haben wir auch in Mäusen mit einer anderen Genmutation beobachtet – im Shank-3-Gen – die ebenfalls häufig bei Autismus auftritt», erklärte die Genfer Studienautorin Camilla Bellone gemäss der Mitteilung. Die soziale Entwicklung werde somit aufgrund unvollständiger Ausreifung von Synapsen behindert.

Forschende haben bereits mehr als hundert Genmutation identifiziert, die mit autistischen Symptomen zusammenhängen, und viele davon betreffen die Funktion der Synapsen. Das erkläre, warum soziale Defizite im Zusammenhang mit Autismus so häufig seien, schreibt die Uni Genf.

Zielgenauere Therapien

Autismus umfasse eine solche Bandbreite von Symptomen, dass es unmöglich sei, allen Betroffenen mit der gleichen Behandlung zu helfen. «Um Therapien besser anzupassen, ist es wichtig, Verhaltensstörungen präzise auf Fehlfunktionen in Hirnschaltkreisen zurückzuführen und ihren genetischen Ursprung zu verstehen», betonte Peter Scheiffele von der Universität Basel.

Betroffene mit einer Synapsen-Fehlfunktion der dopaminergen Nervenzellen sollten somit gut auf Therapien ansprechen, die die Kommunikation dieser Nervenzellen unterstützt und anregt. Geht die Störung des Sozialverhaltens auf andere Schaltkreise des Gehirns zurück, würden diese Therapien jedoch nichts ausrichten.

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Camilla