ETH-Professor sieht Kernenergie als Lösung für Klimaproblem

Den Klimawandel wollen alle bremsen. Doch die Lösungen sind unterschiedlich. ETH-Professor Horst-Michael Prasser sieht die AKWs im Vorteil.

Jungfreisinnige stellen das AKW-Verbot infrage. - Keystone

Das Wichtigste in Kürze

  • Mit der Energiestrategie hat sich die Schweiz gegen den Bau von AKWs entschieden.
  • Geht es ums CO2, schneiden Kernkraftwerke aber sehr gut ab.
  • Horst-Michael Prasser ist Professor für nukleare Energie und sieht Potenzial in AKWs.

Nau.ch: Hitzig wird drüber diskutiert, wie man den Klimawandel bremsen kann. Verfechter der Atomkraft argumentieren mit CO2-Neutralität. Was halten Sie davon?

Horst-Michael Prasser: Kernenergie ist nicht CO2-neutral. In der Uranmine laufen viele Anlagen und Fahrzeuge mit fossilen Treibstoffen. Das Containment, also die Betonhülle des Kernkraftwerks, besteht aus Beton, bei dessen Herstellung CO2 freigesetzt wird. Zudem braucht Urananreicherung Strom. Aber: Die Kernkraftwerke haben einen sehr grossen energetischen Output bezogen auf die eingesetzten Material- und Brennstoffmengen. Pro erzeugte Kilowattstunde sind es deshalb nur noch wenige Gramm CO2, die zu Buche stehen. Kernenergie, Wasserkraft und Windenergie liegen bei den CO2-Emissionen ähnlich niedrig.

Nau.ch: Sie sagen also, man soll für den Klimaschutz mehr auf Atomenergie setzen?

Horst-Michael Prasser: Wird Kernenergie durch erneuerbare Quellen ersetzt, erreicht man im Klimaschutz gar nichts. Wenn Kohle- oder Gaskraftwerke durch Kernenergie ersetzt werden, reduziert man die CO2-Emissionen pro Kilowattstunde auf etwa einen Hundertstel. Entsprechend gehen einige Länder den Weg des Neubaus von Kernkraftwerken, um ihre Energieversorgung von CO2-Emissionen abzukoppeln. Da es nicht genügend Stromspeicher gibt und meiner Meinung nach auch in Zukunft nicht geben wird, bleiben fossil betriebene Kraftwerke als Backup unumgänglich.

Nau.ch: Es ist also nicht realistisch, Atomkraft komplett mit erneuerbaren Energien zu ersetzten?

Horst-Michael Prasser: Das geht schon, wie das Beispiel Deutschland zeigt. Meiner Erkenntnis nach kann man aber nicht gleichzeitig aus den fossilen Energiequellen aussteigen. In der Schweiz deutet es sich immer mehr an, dass man ohne Gaskraftwerke zu bauen mit der Energiewende nicht über die Runden kommen wird. Alternativ wird auch von Importen gesprochen.

Horst-Michael Prasser ist Professor für nukleare Energie an der ETH Zürich. Die Abschaltung des AKW Mühleberg hat für ihn nicht nur Vorteile. - zVg

Nau.ch: Mit Annahme der Energiestrategie 2050 hat das Stimmvolk den Atomausstieg beschlossen. War das ihrer Meinung nach voreilig?

Horst-Michael Prasser: Von Eile kann keine Rede sein. Der Ausstieg der Schweiz aus der Kernenergie besteht zunächst einmal im Weiterbetrieb der bestehenden Anlagen. Dafür besteht Akzeptanz in der Mehrheit. Wieso also nicht für den Neubau von Anlagen, die noch erheblich sicherer sind, als die heute vorhandenen? Das legt die Vermutung nahe, dass anders abgestimmt worden wäre, wenn die Förderung der Erneuerbaren und das Verbot von neuen Kernkraftwerken nicht in einem Gesetz gekoppelt worden wären.

Nau.ch: Der Reaktor-Unfall in Fukushima hat Ängste geschürt. Diese konnte die AKW-Lobby der Bevölkerung offenbar nicht nehmen.

Horst-Michael Prasser: Schon die gravierenden sicherheitstechnischen Unterschiede zwischen den havarierten Reaktoren in Fukushima und den Anlagen in der Schweiz wurden im politischen Diskurs um das neue Energiegesetz nicht hinterfragt. Die Schweizer Anlagen haben gebunkerte Notstandssysteme, die einen Station Blackout bei einer Überflutung verhindert hätten. Für Neubauanlagen wurden passive Sicherheitssysteme entwickelt, die ganz ohne Notstrom funktionieren. Solche Anlagen sind seit der Jahrtausendwende verfügbar und hätten gebaut werden können. Beides hätte die Kernschmelzen in Fukushima verhindert.

Ein Zwischenlager für Atommüll. - dpa

Nau.ch: Das Problem mit dem Atommüll bleibt, oder?

Horst-Michael Prasser: Der Abfall kann nicht neutralisiert werden. Man kann aber die Lebensdauer einiger besonders langlebiger Bestandteile verkürzen. Es bleibt immer stark radioaktiver Abfall zurück. Unter eine Einschlusszeit von etwa 1000 Jahren kommt man auf keinen Fall. Es braucht also immer ein Tiefenlager.

Nau.ch: Die Bevölkerung traut dem aber nicht.

Horst-Michael Prasser: Das Tiefenlager ist technisch machbar. Es wird nur oft nicht geglaubt, dass das so ist. Für chemisch-toxische Abfälle glaubt die Öffentlichkeit eher, dass sie sicher sind – obwohl die Giftstoffe nicht mit der Zeit zerfallen. Tiefenlager für chemisch-toxischen Abfall hingegen werden sehr wohl akzeptiert. Es gibt sie in Deutschland sogar in einem Salzstock.

*Horst-Michael Prasser hat einen Lehrstuhl bei der ETH Zürich. Dieser wird von den Schweizer Kernkraftwerken mitfinanziert.