Grossbritannien beginnt mit Corona-Impfungen

Per Notzulassung hat Grossbritannien dem sehnlich erwarteten Corona-Impfstoff von Biontech und Pfizer die Freigabe erteilt - nun geht es los.

Flächendeckend impfen: Der britische Premierminister Boris Johnson spricht von einem «riesigen Schritt vorwärts». Foto: John Sibley/PA Wire/dpa - dpa-infocom GmbH

Das Wichtigste in Kürze

  • Kurz vor dem endgültigen Brexit beginnt Grossbritannien mit den Corona-Impfungen.
  • Boris Johnson lässt seine Bevölkerung als erster EU-Staat durchimpfen.
  • Begonnen wird mit den Risikogruppen und beim Pflegepersonal.

Per Notzulassung hat Grossbritannien letzte Woche dem Corona-Impfstoff von Biontech und Pfizer die Freigabe erteilt - jetzt geht es Schlag auf Schlag. Vor allen anderen EU-Staaten beginnt Grossbritannien heute Dienstag mit flächendeckenden Impfungen gegen das Coronavirus. Und dies, obwohl der Austritt aus der EU so kurz bevor steht, wie noch nie.

Zuerst sollen über 80-Jährige, Mitarbeiter und Bewohner in Pflegeheimen sowie besonders gefährdetes medizinisches Personal das Mittel erhalten. Dieses stammt vom Mainzer Hersteller Biontech und seines US-Partners Pfizer.

Der britische Premierminister Boris Johnson sprach von einem «riesigen Schritt vorwärts». Dieser begann schon am frühen Morgen.

90-Jährige erhält erste Impfung – danach folgt William Shakespeare

Im Fokus der Welt-Premiere: Eine 90-jährige Frau aus Nordirland, welche den ersten zugelassenen Corona-Impfstoff weltweit erhält. Sie wurde im Universitätskrankenhaus in Coventry geimpft.

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Twitter/@itvnews - Die erste Britin (90) wird in der englischen Stadt Coventry wird geimpft.

Wie «BBC» schreibt, handelt es sich um Margaret Keenan, welche nächste Woche 91 wird. Sie zeigt sich sichtlich erfreut: «Ich fühle mich so privilegiert!» Die Impfung sei «das beste frühe Geburtstagsgeschenk, dass ich mir wünschen könnte». Nun könne sie im neuen Jahr endlich wieder Zeit mit der Familie und Freunden verbringen, «nachdem ich im alten Jahr meist alleine war».

Das Spitalpersonal applaudiert Margaret Keenan, nachdem die 90-Jährige als erste Person weltweit den zugelassenen Corona-Impfstoff erhalten hat. - AP

Keenan arbeitete in einem Juwellier-Laden und wurde erst vor vier Jahren pensioniert. Sie hat eine Tochter, einen Sohn und vier Grosskinder. In 21 Tagen wird die 90-Jährige erneut geimpft, um möglichst effektiv vor dem Coronavirus geschützt zu sein.

Ihre Landsleute ruft die Pensionierte dazu auf, sich ebenfalls impfen zu lassen: «Wenn ich sie mit 90 bekommen kann, können Sie es auch.»

Der zweite Corona-Geimpfte trägt hingegen einen besonderen Namen: William Shakespeare! Und tatsächlich stammt der 81-Jährige aus derselben Grafschaft Warwickshire wie der bekannte Poet.

«Bill» William Shakespeare (81) erhielt als weltweit zweite Person den zugelassenen Impfstoff gegen das Coronavirus von Pfizer-Biontech. - AP

Besonders emotional zeigt sich am heutigen Morgen der britische Gesundheitsminister Matt Hancock. Dieser fängt im Live-TV von «Good Morning Britain» an zu heulen, als er die Aufnahmen der ersten Geimpften sieht.

«Es war ein solch hartes Jahr für so viele Menschen und hier zeigt William Shakespeare, dass wir mit dem Leben weitermachen können», schluchzt der Politiker. «Ich bin stolz, ein Brite zu sein!»

Trotzdem mahnt der Gesundheitsminister, es würden noch Monate vergehen, bis genug Briten gegen das Coronavirus geimpft sein werden. Es gelte weiterhin, sich an die Regeln zu halten.

Ein Drittel kann geimpft werden

50 Kliniken sollen als Impfzentren dienen. Die Behörden zeigten sich bereit: «Alle Teile des Vereinigten Königreichs haben Dosen mit dem Corona-Impfstoff erhalten», schrieb Gesundheitsminister Matt Hancock bei Twitter.

Der Premierminister Grossbritanniens, Boris Johnson. (Archivbild) - Keystone

Wie die Vizechefin des nationalen Gesundheitsdiensts NHS, Saffron Cordery, sagte, sollen bis zum Jahresende vier Millionen Dosen eintreffen. Das würde Impfungen für zwei Millionen Menschen bedeuten, da pro Person zwei Dosen für den vollen Schutz notwendig sind. Insgesamt hat das Land 40 Millionen Dosen bestellt, damit können 20 Millionen Briten geimpft werden. Das ist etwas weniger als ein Drittel der Bevölkerung.

Für die meisten Menschen werde es jedoch noch weit bis ins neue Jahr dauern, bis sie geimpft werden könnten. Ein Regierungssprecher sagte, dass der Grossteil der schutzbedürftigen Menschen im Januar oder Februar geimpft werde. Die Behörden betonten, der Impfstoff sei «sicher und effektiv».

Impfkarte als Nachweis

Premierminister Johnson rief alle Menschen, die Anspruch auf eine Impfung haben, dazu auf, sich auch wirklich impfen zu lassen. Thronfolger Prinz Charles dankte allen, die an der Entwicklung des Impfstoffes beteiligt waren. Dank des Mittels könnten die Menschen nun mit neuer Hoffnung nach vorne schauen, sagte er.

Gesundheitsexpertin Helen Donovan sagte der BBC, das grösste Risiko liege in der Impf-Strategie. Denn Geimpfte müssen rund drei Wochen nach dem ersten Termin auch die zweite Dosis verabreicht bekommen. Dabei soll eine Impfkarte als Nachweis helfen, die gleichzeitig eine Erinnerung an den zweiten Impftermin ist. Grössere Impfzentren - etwa in Fussballstadien - sollen erst öffnen, wenn mehr Impfstoff zur Verfügung steht.

Der Impfstoff von Biontech und Pfizer gegen das Coronavirus ist in Produktion. - Pfizer Inc.

Die logistische Herausforderung ist gross, weil das Mittel bei minus 70 Grad Celsius gekühlt werden muss. Die britische Regierung will Medienberichten zufolge das in Belgien produzierte Präparat notfalls mit Militärflugzeugen einfliegen. Ein Regierungssprecher wollte das nicht bestätigen, sagte aber: «Das Militär wird eine wichtige Rolle spielen bei der enormen logistischen Herausforderung.»

In der vergangenen Woche war Grossbritannien vorgeprescht und hatte früher als alle EU-Staaten per Notfallzulassung dem Impfstoff eine Freigabe erteilt.

Letzte Runde im Brexit

Mit einem Treffen wollten Boris Johnson und EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen den Brexit-Handelspakt doch noch über die Ziellinie bringen. Johnson werde in den nächsten Tagen nach Brüssel reisen. Dies teilte die Kommission am Montagabend mit. Damit geht die schier endlose Zitterpartie um das Abkommen in die vorerst letzte Runde.

Die EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen. (Archivbild) - dpa

Mehr als eine Stunde telefonierten von der Leyen und Johnson am Montag, dann gaben sie die Linie vor. «Die Bedingungen für eine Einigung sind wegen Differenzen bei entscheidenden Punkten noch nicht gegeben», hiess es darin. «Wir haben unsere Chefunterhändler gebeten, eine Übersicht über die bleibenden Differenzen vorzubereiten. Damit diese persönlich in den nächsten Tagen besprochen werden können.»

Die Unterhändler streiten seit Monaten über immer dieselben Punkte: Fischerei, faire Wettbewerbsbedingungen und Regeln zur Ahndung von Verstössen gegen das Abkommen.