Die Aufräumarbeiten beim HSV haben nach dem erneuten Aus im Aufstiegskampf der 2. Bundesliga begonnen. Die To-do-Liste von Sportvorstand Jonas Boldt ist lang. Doch auch er steht auf dem Prüfstand.
Horst Hrubesch und der HSV vergaben in Osnabrück die letzte Aufstiegschance. Foto: Friso Gentsch/dpa
Horst Hrubesch und der HSV vergaben in Osnabrück die letzte Aufstiegschance. Foto: Friso Gentsch/dpa - dpa-infocom GmbH

Das Wichtigste in Kürze

  • Schon wieder schlägt für den Hamburger SV die Stunde Null.
Ad

Kein Trainer, keine taugliche Mannschaft, wenig Geld - nach dem dritten gescheiterten Anlauf auf die Fussball-Bundesliga fehlt dem hanseatischen Traditionsclub mehr denn je eine verheissungsvolle Perspektive.

«Wir werden definitiv Luft holen und einen neuen Anlauf nehmen», kündigte Sportvorstand Jonas Boldt unmittelbar nach der entscheidenden 2:3-Peinlichkeit beim Abstiegskandidaten VfL Osnabrück an.

Vor allem der 39-Jährige selbst ist nun gefordert. Seit dem 24. Mai 2019 ist er beim HSV für den Sportbereich verantwortlich. Der Erfolg ist bisher überschaubar. Zwei der drei vergeblichen Rückkehrversuche der Hamburger seit ihrem Abstieg 2018 hat er mitzuverantworten. Boldt spricht immer gern von «Entwicklung». Nimmt man die reinen Ergebnisse, geht die Entwicklung in die falsche Richtung. Vereine mit weit geringeren Möglichkeiten und weniger hochkarätig besetzten Kadern wie Tabellenführer VfL Bochum, Nordrivale Holstein Kiel und die SpVgg Greuther Fürth sind vorbeigezogen.

«Auch wenn die Enttäuschung sehr gross ist, werde ich genug Energie haben, an vorderster Front voranzugehen», sagte Boldt im NDR. Infrage gestellt fühlt er sich nicht: «Ich spüre enorme Rückendeckung, sowohl im Aufsichtsrat als auch im Verein und in der Stadt.»

Auch seine letzte Massnahme brachte keinen Erfolg mehr: Die von ihm in der Endphase gerufene Club-Legende Horst Hrubesch konnte eine abermals verkorkste Saison nicht mehr retten. Der 70 Jahre alte Aushilfstrainer hatte das Missvergnügen, ganz nah das unerklärliche Versagen von HSV-Spielern zu erleben. Da wurde sogar Menschenfänger Hrubesch unwirsch.

«Ich bin eigentlich jemand, der immer für seine Spieler steht und für seine Spieler alles macht und ich erwarte einfach, dass man auch zurückzahlt. Dass man sich einfach mal hinterfragt: Ist das wirklich alles?», sagte er dem NDR und gab zu: «Das ist mir im Moment noch ein Rätsel.» Am Montag griff Hrubesch durch und verbannte Jeremy Dudziak aus dem Kader für das letzte Saisonspiel am Sonntag gegen Eintracht Braunschweig. Der Mittelfeldspieler habe sich «an einfache teaminterne Regeln nicht gehalten», wie der Verein mitteilte.

Hrubesch wird froh sein, nach dem letzten Saisonspiel wieder auf seinen Posten als Direktor des Nachwuchsleistungszentrums zurückzukehren - und versuchen, an einer Zukunft mit Talenten zu basteln.

Boldt darf sich indes mit den Trümmer- und Aufräumarbeiten im Hier und Jetzt befassen. Spieler, die im entscheidenden Moment versagen, ein falsches Selbstverständnis, das der HSV in die erste Liga gehört, und ein fehlender Coach - Boldt hat viele Baustellen.

Vor allem die Trainerfrage muss schnell geklärt werden. Und der Schuss muss diesmal sitzen. Doch was für ein Typ kann aus dem unaufsteigbaren Haufen wieder ein aufsteigbares Team machen? Schon zwei von Boldts Auserwählten scheiterten: der erfahrene Dieter Hecking (56) gab am Ende der Vorsaison auf, der unverbrauchte Daniel Thioune (46) musste bei seinem zweiten Profijob Anfang Mai gehen.

«Wir werden einen auswählen, der den Weg der Entwicklung weitergeht, mit hungrigen Spielern. Das ist die einzig sinnvolle Lösung», sagte Boldt. Die «Bild»-Zeitung brachte Tobias Schweinsteiger (39), älterer Bruder von 2014-Weltmeister Bastian Schweinsteiger und Assistent zu Heckings Zeiten beim HSV, ins Spiel. Auch der ehemalige Holstein-Coach Tim Walter wird im Volkspark als Kandidat gehandelt.

Und auch der Kader muss umgebaut werden. Der Wechsel von Stürmer Simon Terodde (33) zum künftigen Ligarivalen FC Schalke 04 steht schon fest. Der gebürtige Hamburger und aktuelle Zweitliga-Toptorjäger Serdar Dursun von Darmstadt 98, der am Montag seinen Weggang bekanntgab, aber seinen neuen Club noch nicht verriet, gilt als Wunschkandidat. Doch auch auf anderen Positionen besteht dringender Handlungsbedarf. Vor allem Charakter ist gefragt: Boldt bei Sky: «Man muss noch genauer hinschauen, wer dazu bereit ist, die Situation anzunehmen.»

Allerdings sind die finanziellen Mittel schon seit langem knapp. Corona und die fehlenden Zuschauereinnahmen durch die Geisterspiele machen die Lage nicht besser. Nur der Verkauf von Talenten wie Verteidiger Josha Vagnoman (20) könnte den Spielraum vergrössern.

Der HSV hat sich lange auf alten Erfolgen ausgeruht. Doch der Ruhm der Vergangenheit ist genau das: Vergangenheit. Die Gegenwart sieht anders aus: der HSV ist ein normaler Zweitligist - die Zukunft: ungewiss.

Ad
Ad

Mehr zum Thema:

Bastian SchweinsteigerDieter HeckingVfL BochumBundesligaSchalkeTrainerVerkaufEnergieCoronavirusLigaHSV