Vor 25 Jahren wurde das Wohlgroth Areal geräumt
Das Wichtigste in Kürze
- Am 23. November 1993 wurde das Zürcher Wohgroth-Areal geräumt.
- Mit über zwei Jahren war das die bisher längste Hausbesetzung in der Schweiz gewesen.
- Heute stehen auf dem Areal in Bahnhofsnähe statt Graffiti-besprayte Wände Bürogebäude.
Zürich bei Tagesanbruch. Ein Heer von Streifen- und Mannschaftswagen spuckt hunderte Polizisten aus. Sirenen heulen. Wasserwerfer und Feuerwehrwagen fahren auf. Hubschrauber knattern durch das Morgenrot. Bagger werden in Position gebracht. Die Sanität folgt auf dem Fusse – mit Verletzten wird gerechnet. Aus offenen Fenstern wummert Rockmusik über die angespannte Szenerie.
Exakt 25 Jahre ist es her, dass die Zürcher Polizei das besetzte Wohlgroth-Areal räumen liess. Davor waren die fünf Gebäude der Wohlgroth AG, direkt hinter dem Zürcher HB gelegen, während zwei Jahren besetzt gewesen. Nie zuvor hatte es in der Schweiz eine längere Hausbesetzung gegeben, als jene an der Josefstrasse 35.
Das besetzte Wohlgroth-Areal
Wer in den Neunzigern nach Zürich einfuhr, wurde mit einem gigantischen Graffiti im SBB-Stil begrüsst. Statt «Zürich», verkündete die gesprayte Ortsmarke allerdings «Zureich».
Die Besetzer hatten die alten Fabrikgebäude der Wohltroth AG geputzt und bewohnbar gemacht. Über 100 überwiegend junge, sozialistisch geprägte Menschen zogen ein. Aus grauen Fabrikhallen wurden kunterbunte Leinwände, auf denen Anti-Kapitalistische Slogans prangten. Wo einst Gaszähler hergestellt worden waren, gab es nun eine Notschlafstelle, Kino, Wohnraum, Bibliothek und die «Volxküche».
Mitten in Zürich war etwas entstanden, dass seines Gleichen im kleinen Masse heute am ehesten mit der Berner Reitschule findet. Ein Soziotop für all jene, denen die Gesellschaft die Luft zum atmen nahm.
Doch die Gesellschaft braucht Platz und Geld. Das Gelände an bester Lage konnte nicht besetzt bleiben, es musste genutzt werden, Gewinn abwerfen. Damit nicht kaputt geht, was innerhalb kürzester Zeit gesprossen war, bot die Oerlikon-Bührle-Immobilien AG, der das Gelände gehörte, den Hausbesetzern allerdings einen Umzug in eine Fabrik im Seebach an.
Das Wohlgroth-Areal heute
Weil die Besetzer allerdings befanden: «Zu wenig zentral, kein Wohnraum – nein, diesen Tausch gehen wir nicht ein», beantragte Oerlikon-Bührle schliesslich die Räumung. Diese fand am Vormittag 23. November 1993 reibungslos statt. Erst am Nachmittag zogen vermummte erst skandierend, dann randalierend durch die Stadt. 39 Personen wurden verhaftet, ein Schaden von einer halben Million verursacht.
Heute, 25 Jahre später, erinnert nichts an den neuen, einheitlichen Wohn-, Büro- und Gewerberäumen mehr daran, dass hier einst die Anarchie blühte. Nur ein kleiner Zusatz im Zürcher Gesetz hat die Wohlgroth Besetzung hinterlassen: Um keine Einnahmen zu verpassen, hatte der Stadtrat nach der Räumung beschlossen, dass Strom- und Wasserleitungen zu besetzen Häusern sofort gekappt werden dürfen.