Mehrere Opfer von fürsorgerischen Zwangsmassnahmen wehren sich gegen die Selbstbestimmungsinitative. Die Kündigung der Menschenrechte wäre ein Hohn für sie.
Selbstbestimmungsinitiative: Walter Emmisberger, ehem. Verdingkind, im Interview. - Nau
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Das Wichtigste in Kürze

  • Zwei ehemals administrativ Versorgte haben der SVP-Initiative den Kampf angesagt.
  • Die Initiative ermögliche wiederholte Behördenwillkür wie damals etwa gegen Verdingkinder.

Sie wurden in Heime gesteckt, zwangssterilisiert, sexuell missbraucht und für Medikamententests benutzt: Opfer von fürsorgerischen Zwangsmassnahmen und Verdingkinder - Zehntausende waren in der Schweiz betroffen. Jetzt wehren sie sich gegen die Selbstbestimmungsinitiative der SVP.

Furcht vor wiederholter Behördenwillkür

Die Gefahr bestehe, dass die Menschenrechte durch die Selbstbestimmungsinitiative verloren gehen, so Walter Emmisberger, der als Kind missbraucht wurde. «Man würde wieder das gleiche machen wie bei uns: Kinder und Jugendliche wurden ohne gerichtlichen Entscheid ins Gefängnis gesteckt!» Emmisberger erinnert an ein düsteres Kapitel der Schweizer Geschichte. Erst dieses Jahr wurden 9000 Gesuche für einen Solidaritätsbeitrag beim Bund eingereicht.

Emmisberger ist im Gefängnis geboren, an ihm wurden Medikamente getestet, er wurde zu Kinderarbeit gezwungen. «Was uns passiert ist, darf keiner Generation mehr passieren!», begründet Emmisberger sein Engagement gegen die Initiative der SVP.

Dank EMRK wurden fürsorgerische Zwangsmassnahmen abgeschafft

1967 verbrachte Ursula Biondi als 17-jährige ein Jahr lang als sogenannte administrativ Versorgte ohne Gerichtsurteil in der Frauenstrafanstalt Hindelbank, weil sie unehelich schwanger wurde. Zehntausende wurden in der Schweiz gegen ihren Willen, ohne richterliches Urteil und ohne Rekursmöglichkeit weggesperrt.

Jetzt ist sie in den Abstimmungskampf gestiegen: «Erst durch die EMRK erhielten Minderheiten in der Schweiz einen wirkungsvollen Schutz», argumentiert Biondi.

Dank dem Beitritt zur Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK) von 1974 und den Urteilen des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR) sei die Administrativversorgung in den 1980er Jahren in der Schweiz abgeschafft worden.

«Wer künftig ähnliche Missbräuche durch Schweizer Behörden vermeiden will, kann die Selbstbestimmungsinitiative der SVP unmöglich befürworten!», sagt Biondi.

Emmisberger und Biondi sind keine Einzelkämpfer. Walter Zwahlen , der Präsident vom «Netzwerk-Verdingt» bestätigt, man stehe hinter dem Engagement der Beiden gegen die Selbstbestimmungsinitiative. Im Anbetracht des Leides, welche viele Verdingkinder erfahren haben, sei es ein Hohn und juristisch höchst fragwürdig, Rechte zum Schutz von einzelnen abzuschaffen.

Ursula Biondi mit dem SBI-Nein Komitee auf dem Helvetiaplatz (2. von rechts). Mit auf dem Bild Nationalräte Fabian Molina (SP) und Angelo Barille (SP) (1. u 2. von Links).
Ursula Biondi mit dem SBI-Nein Komitee auf dem Helvetiaplatz (2. von rechts). Mit auf dem Bild Nationalräte Fabian Molina (SP) und Angelo Barille (SP) (1. u 2. von Links).
Ursula Biondi im Bundeshaus mit Bundesrätin Simonetta Sommaruga.
Ursula Biondi im Bundeshaus mit Bundesrätin Simonetta Sommaruga.
Mit diesem Bild mobilisiert Walter Emmisberger auf Facebook gegen die Selbstbestimmungsinitiative.
Mit diesem Bild mobilisiert Walter Emmisberger auf Facebook gegen die Selbstbestimmungsinitiative.
Walter Emmisberger wurde fremdplatziert - der glückliche Eindruck trügt.
Walter Emmisberger wurde fremdplatziert - der glückliche Eindruck trügt.
Verdingkind
Ein Bild eines Kindes, das zur Adoption freigegeben wurde, liegt in einem Umschlag in den Akten der Vormundschaftsbehoerde im Stadtarchiv der Stadt Bern.
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