Die Schweizer Menschenrechts-Richterin hat wenig Lust, sich kritischen Fragen zu stellen. Dabei wäre Helen Kellers Stimme gerade jetzt von zentraler Bedeutung.
Professorin Helen Keller ist die Schweizer Vertreterin am Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte in Strassburg.
Professorin Helen Keller ist die Schweizer Vertreterin am Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte in Strassburg. - Keystone
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Das Wichtigste in Kürze

  • Helen Keller kennt sich als EGMR-Richter bestens mit schweizerischem und EU-Recht aus.
  • Mit kritischen Fragen tut sich die Professorin der Uni Zürich allerdings schwer.

Helen Keller ist im Abstimmungskampf zur Selbstbestimmungsinitiative eine der wichtigsten und vor allem kompetentesten Personen. Die Rechtsprofessorin der Universität Zürich ist die Schweizer Vertreterin am Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) in Strassburg.

Niemand sonst im Land hat derart tiefe Einblicke in die Funktionsweise des Rechts in Europa und der Schweiz wie die 54-jährige Zürcherin. Doch die dezidierte Gegnerin des SVP-Anliegens hält sich zurück. Mehr noch: Sie verschanzt sich regelrecht.

Denn abgesehen von einem grossen Interview im «SonntagsBlick» und einem Abstecher zu «Schawinski» erscheint sie in diesen entscheidenden Wochen kaum in der Öffentlichkeit. Daran ist sie nicht unschuldig.

Dem Schweizer Fernsehen wollte sie bereits im Frühling nur unter strikten Bedingungen ein Interview geben. SRF lehnte dies mit Verweis auf seine publizistischen Leitlinien ab. Das öffentlich-rechtliche Fernsehen durfte nicht einmal einen öffentlichen Vortrag der Richterin filmen.

Gestrichene Fragen und Kontroll-Bedürfnis

Diese Woche versuchte es das Team von Nau.ch, Keller für ein Interview vor der Kamera zu gewinnen. Dazu gab die Professorin auch grünes Licht – unter strengen Bedingungen. So verlangte die Völkerrechtsprofessorin alle Fragen vorab und erklärte, dass gewisse Fragen – etwa nach hängigen Fällen – «tabu» seien. Zusätzlich knüpfte sie das Interview an die Vorgabe, dass sie den gesamten Beitrag vor der Publikation visionieren darf.

Das ist im Umgang mit Journalisten höchst ungewöhnlich. Medienschaffende dürfen im Normalfall selbst Bundesräte grundsätzlich alles fragen. Sie riskieren mit «frechen» oder heiklen Fragen halt einen verärgerten Pressesprecher oder ein «Kein Kommentar» des Politikers.

Aufgrund der Brisanz des Themas und der Rolle Kellers kam die Redaktion überein, die Bedingungen zu schlucken – ihr aber im Interview die Frage zu stellen, warum sie Medien die Bedingungen eines Gesprächs diktieren will.

Und: Ob das nicht eine Einschränkung der Pressefreiheit darstellt, die auch von der Europäischen Menschenrechtskonvention garantiert wird. Die Rückmeldung folgte rasch. Beide Fragen zur Arbeit von Journalisten wurden von Keller «gestrichen».

Auf dem Team-Foto der Website des Lehrstuhls für Öffentliches Recht, Europa- und Völkerrecht Universität Zürich posiert Laura Zimmermann (ganz rechts) nach wie vor mit ex-Chefin Helen Keller.
Auf dem Team-Foto der Website des Lehrstuhls für Öffentliches Recht, Europa- und Völkerrecht Universität Zürich posiert Laura Zimmermann (ganz rechts) nach wie vor mit ex-Chefin Helen Keller. - rwi.uzh.ch

Ebenso nicht beantworten will die Richterin die Frage, ob sie die SVP ausbremsen wolle, ob es sinnvoll sei, wenn sich Richter zur Initiative äussern – und wie sie zur Operation Libero und derer Co-Präsidentin Laura Zimmermann steht. Diese war bis im August dieses Jahres Kellers Assistentin und ist mittlerweile zum nationalen Aushängeschild der Gegnerschaft geworden.

Keller könnte Aufklärung betreiben

Die Redaktion entschied daraufhin, das Interview unter Kellers Bedingungen zu führen, aber zumindest transparent zu machen, dass der Reporter nicht alle sich aufdrängenden Fragen stellen durfte.

Das teilte er der Menschenrechtsrichterin mit, doch auch das wollte Keller nicht tolerieren und zog ihre Zusage zum Gespräch zurück. Schliesslich habe man sich «nicht mal über die Fragen einigen können.»

Fakt ist: Kellers Haltung zur wichtigen Abstimmung vom 25. November interessiert das Land brennend. Um sich eine Meinung zur Selbstbestimmungs-Initiative zu bilden, würde es hunderttausenden Stimmbürgerinnen und Stimmbürgern helfen, die Funktionsweise des Europäischen Gerichtshof und das Zusammenspiel von schweizerischem und internationalem Recht besser zu verstehen. Dass die kompetenteste Person in dieser Debatte kritische Fragen derart vehement abblockt, ist schade. Und könnte sich Ende November rächen.

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