Der Bund möchte sich im Notfall an der Transitgaslinie zwischen Deutschland und Italien bedienen. Manche Energiepolitiker heissen das gut, andere schweigen.
Gas Bund Girod Imark
Der Bund will sich im Notfall an Gas bedienen, das in der Transitleitung von Deutschland nach Italien fliesst. Die beiden Energiepolitiker Bastien Girod (links) und Christian Imark haben unt - Keystone
Ad

Das Wichtigste in Kürze

  • Im Ernstfall dürfte es hierzulande im Winter aufgrund des Ukraine-Kriegs an Gas mangeln.
  • Deshalb will der Bund im Falle einer Mangellage für Italien bestimmtes Gas abzwacken.
  • Selbst Energiepolitiker der SVP üben an dieser Strategie keine laute Kritik.

Müssen wir im Winter frieren? Der Ukraine-Krieg und der daraus resultierende Gasmangel beschäftigt Europa. Mitgliedsstaaten der Europäischen Union können zusammen arbeiten, die Schweiz steht weitestgehend alleine.

Simonetta Sommaruga Energiekrise
Bundesrätin Simonetta Sommaruga am Treffen der deutschsprachigen Umweltministerinnen und -minister. Sommaruga steht aktuell wegen der Energiekrise unter Druck. - Keystone

Daher versucht der Bund, Solidaritätsabkommen mit Nachbarländern zu schliessen, was angesichts der angespannten Lage schwierig ist. Deutschland und Italien wollen ihre Gas-Exporte stark minimieren.

Doch der Bundesrat hat ein Ass im Ärmel: Die Transitleitung, die Italien mit Gas aus Deutschland versorgt, läuft quer durch die Schweiz. Dank dieser Pipeline kam auch die Schweiz ab den 1970ern an genügend Erdgas, um sich selbst zu versorgen.

Transitgasleitung Schweiz Italien
Die Transitgasleitung zwischen den Nordeuropa und Italien, die die Schweiz durchquert, wurde am 20. April 1974 in Betrieb genommen.
Transitgasleitung Schweiz
Dank der Transitleitung konnte auch die Schweiz vom Erdgas aus Nordeuropa profitieren.
Transitgasleitung Sörenberg
Mit der Heiligen Barbara im Arm arbeiten am 11. Juni 2001 zwei Männer im Tunnel nahe Sörenberg LU, in welchem sich die Transitgasleitung befindet.

In einem Vertrag mit der italienischen Regierung hat der Bund vor Jahren eine Notfallklausel eingebaut. Sollte es zu einer schweren Mangellage kommen, könne die Schweiz das Gas für sich beanspruchen. Dann hätte Italien nichts davon. Energieministerin Simonetta Sommaruga benützt laut einem Bericht der «Sonntagszeitung» diese Klausel, um Druck auf Rom zu machen.

«Putin ist der Feind, nicht die EU»

Diese Strategie sorgt in Italien gemäss Quellen des «Tamedia»-Blatts für Empörung. Ist die Vorgehensweise von Sommaruga klug? Nau.ch hat drei Energiepolitiker gefragt.

Bastien Girod (Grüne/ZH) antwortet differenziert. «Dass wir die Pipeline als Pfand einsetzen, ist schon richtig», sagt er. «Das muss aber geschickt geschehen und nicht als Drohung rüberkommen.»

Bastien Girod Grüne Nationalrat
Bastien Girod (Grüne/ZH) ist Doktor für Umweltnaturwissenschaftler und Privatdozent an der ETH Zürich. - Keystone

Was aber sicher nicht geschickt sei, so der ETH-Privatdozent, «ist beim EU-Gas-Sparprogramm nicht mitzumachen». Und dann auch noch bekanntzumachen, man werde notfalls die Transitleitung anzapfen. «Wir müssen mit der EU zusammenarbeiten, nicht gegen sie», fordert Girod.

Der Grünen-Nationalrat plädiert für Einigung: «Putin ist der Feind, nicht die EU. Zusammen kommen wir besser durch den Winter.»

Ähnlich ertönt es bei Barbara Schaffner, GLP-Nationalrätin und ebenfalls Zürcherin. «Primär finde ich es wichtig, dass sich die Schweiz solidarisch zeigt mit der EU», sagt die Nationalrätin. Auch sie unterstütze die Forderungen nach Gaseinsparungen, weil so der EU gezeigt werde, dass sich die Schweiz ebenfalls anstrenge. «Da fehlen bisher eine klare Kommunikation des Bundesrates und dazugehörende Massnahmen», bemängelt Schaffner.

Barbara Schaffner GLP
Barbara Schaffner ist seit 2019 Nationalrätin für die GLP und Mitglied der Kommission für Verkehr und Fernmeldewesen. - Keystone

Aber: «Wenn sich die Fronten verhärten, darf auch die Schweiz Zähne zeigen und auf die vertraglich festgelegten Rechte beharren.» Der Bund habe sich nebst dem Durchleitungsrecht auch andere Optionen zur Gaslieferung und -speicherung geschaffen. Es gehe also nicht darum, «italienisches» Gas zu beanspruchen, so Schaffner.

SVP-Imark schiebt Verantwortung an Sommaruga

Kommissionskollege Christian Imark (SO) hingegen antwortet ganz auf SVP-Linie. Ob es richtig wäre, die Gasleitung anzuzapfen, müsse Sommaruga beantworten: «Es ist ihre Politik, die uns in diese Situation gebracht hat.»

Christian Imark SVP
Christian Imark (SVP/SO) während einer Debatte im Nationalratssaal, Juni 2022. - Keystone

Der aktuelle Streit zwischen Italien und der Schweiz zeige, dass die Energiestrategie des Bundes nicht krisenresistent sei, so Imark weiter. «Frau Sommaruga hat die falsche Politik von Frau Leuthard fortgeführt und damit die aktuelle Krise wesentlich mitverschuldet», kritisiert er.

Befürchten Sie im Winter eine Gasmangellage?

Die SP-Bundesrätin reite das Land «mit ihrem Aktivismus immer weiter ins Chaos». Imark wettert: «Ich sehe nicht, wie die Landesversorgung mit einer so ungestüm agierenden Bundesrätin wieder in Einklang gebracht werden soll.»

Ad
Ad

Mehr zum Thema:

Simonetta SommarugaSonntagszeitungBastien GirodUkraine KriegNationalratBundesratRegierungPipelineTamediaGrüneKriegGLPSVPSPEU