Der Bestseller-Roman «Dunkelblum» führt seine Leserinnen und Leser ins österreichische Burgenland und zeigt auf, warum Vergangenheit nie vergangen ist.
Eva Menasse: Der Roman «Dunkelblum» macht Täter und ihre Nachbarn sichtbar. Foto: Soeren Stache/dpa-Zentralbild/dpa
Eva Menasse: Der Roman «Dunkelblum» macht Täter und ihre Nachbarn sichtbar. Foto: Soeren Stache/dpa-Zentralbild/dpa - dpa-infocom GmbH

Das Wichtigste in Kürze

  • Die Orte in der Welt von «Dunkelblum» finden sich übersichtlich auf einer Karte im Buchdeckel.
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Sehr unübersichtlich ist das Seelenleben der Bewohner in dieser fiktiven österreichischen Kleinstadt.

Doch die Gesamtschau der von Eva Menasse in ihrem Bestseller-Roman entworfenen Psychogramme gibt eine Ahnung, warum so viele so lange geschwiegen haben über die Verbrechen der Nazis.

Als die Autorin im März 2019 zur Mainzer Stadtschreiberin gekürt wurde, kündigte sie an, dass sie am Rhein an einem neuen Roman schreiben wolle, über ein historisches Thema in Österreich. In der Stadtschreiberwohnung am Mainzer Marktplatz erklärte sie: «Ich muss immer weg sein, um von Österreich zu schreiben.»

Was Mainz mit dem Burgenland gemeinsam hat, ist der Wein, und der spielt in dem Roman immer wieder eine Rolle. Aber nicht nur Reben ranken sich, auch Brennnesseln, Haselsträucher, Brombeeren und Holunder. Diese haben den jüdischen Friedhof von Dunkelblum überwachsen, «in ihrer gefühllosen, chlorophyllsüchtigen Wucht».

Dann aber kommen dort junge Freiwillige zusammen - «irgendwelche langhaarige Studenten» - und stoppen mit Gartenscheren, Sägen und Schaufeln «die unendlich langsame Zerstörungskraft der Vegetation». So legen sie das erste Grab frei, mit Angehörigen der Familie Tüffer. Und das Hotel Tüffer liegt auf der Karte von Dunkelblum ganz im Zentrum. Einst hatte es jüdische Besitzer, die gezwungen wurden, das Hotel abzugeben und zu fliehen.

«Tüffer - hat das was mit uns zu tun», fragte die Kellnerin des Hotels, «und behielt am Ende des Satzes einen Moment lang den Mund offen.»

Dieses Erstaunen beim langsamen Wiederentdecken der lange versteckten Nazivergangenheit ist das eigentliche Thema des Romans. Im Zentrum steht ein zunächst nur in Andeutungen sichtbar werdendes Verbrechen im Wald. Menasse erinnert damit an Gräueltaten wie das Massaker von Rechnitz, das wie Dunkelblum im Burgenland liegt - dort wurden im März 1945 mindestens 180 ungarisch-jüdische Zwangsarbeiter ermordet. Auch Literatur-Nobelpreisträgerin Elfriede Jelinek hat sich in ihrem Theaterstück «Rechnitz (Der Würgeengel)» damit beschäftigt.

Das Verschweigen ermöglichte den Bewohnern von Dunkelblum in der Nachkriegszeit ein «kleines Konsumentenglück», schliesslich waren sie nach und nach «in körperschonende Angestelltenexistenzen aufgestiegen». So hatten denn auch die armen und die reichen «Dunkelblumer eines gemeinsam: «jeder ein dickes Auto». Bisweilen derart bissig, meist aber entlarvend nüchtern beschreibt Eva Menasse, wie das Vergangene immer gegenwärtiger wird. Das liegt auch an den mitteleuropäischen Wirren im Sommer 1989, als DDR-Bürger über die nahe ungarische Grenze nach Österreich fliehen.

Und es liegt an einem Skelettfund auf einer Wiese, der viele Fragen aufwirft und schliesslich die Medien auf Dunkelblum aufmerksam macht. Ihre Recherchen bringen schnell zumindest einen Teil der Vergangenheit ans Licht, denn - wie ein Gemeinderatsmitglied sagt - «wo man in Dunkelblum mit dem Fingernagel kratzt, kommt einem eine Schandtat entgegen».

Der Roman macht Täter und ihre Nachbarn sichtbar, das ganze Panorama menschlicher Möglichkeiten zwischen Vertuschen und Aufklären, zwischen Gruppendruck und Dagegenhalten. So zeigt denn auch die Schlussszene des Romans ein Altarbild vom letzten Abendmahl, mit einem leidenden Christus und «gefiederten Teufelchen ... in hübschen Wämsern und mit nackten, menschlichen Gesichtern».

Eva Menasse: Dunkelblum, Kiepenheuer & Witsch, 523 S., 25,00 Euro, ISBN: 978-3-462-04790-5

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