Freunde statt Familie, Jungs neben Mädchen: Die neue Café-Szene in Kabul bietet jungen Leuten kleine Oasen des Lichts mit Internet - und eine Zuflucht für jene, deren Leben in die traditionellen Schablonen nicht mehr passt.
Humajun Sadran vor seinem neuen Café-Restaurant «Burger Shop» im Viertel Taimani. Foto: Christine-Felice Röhrs
Humajun Sadran vor seinem neuen Café-Restaurant «Burger Shop» im Viertel Taimani. Foto: Christine-Felice Röhrs - dpa-infocom GmbH
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Das Wichtigste in Kürze

  • Lächelnd wispert sich ein junges Paar über die gemeinsame Tasse Kaffee etwas zu.

Die Köpfe stecken näher beieinander, als viele es schicklich fänden im muslimisch-konservativen Land.

An der Wand hängen abstrakte Gemälde und nicht Teppiche, das Licht fällt sanft aus Lampen, die jemand liebevoll von innen golden angepinselt hat, und nicht grell aus den sonst so beliebten Neonröhren.

Für Berlin wäre dies gar kein so besonderer Ort. Für Kabul, Hauptstadt von Afghanistan, ist er geradezu revolutionär. Der «Burger Shop» an der Taimani-Strasse ist eines von ein paar Dutzend neuen Cafés in einer Stadt, in der sich junge Leute bisher fast nur im Familienrahmen begegnen konnten.

Der Wirt hier ist Humajun Sadran (39), gross, graubärtig, Pilotenbrille und Lederjacke. Sadran ist so etwas wie der Grossmeister der Unterhaltung in Kabul. Früher, als noch Tausende Ausländer von Botschaften, NGOs oder UN hier lebten, gründete er ein Nachtlebenprojekt nach dem anderen. Seine Tanzpartys waren legendär. Aber die Ausländer sind weg, weil die Sicherheitslage wieder so schlecht geworden ist. Jetzt sind seine Kunden fast nur Afghanen.

«Noch vor ein paar Jahren wäre der Burger Shop als afghanisches Café nicht möglich gewesen», sagt Sadran. Die Kunden hätten das Geld nicht gehabt und die «Offenheit im Kopf» wäre auch nicht da gewesen. Wenn Sadran auf seine Kunden schaut, dann sieht er nach Jahrzehnten von Krieg und bitterer Armut zum ersten Mal eine kleine afghanische Mittelschicht entstehen.

Eine ganze Generation von jungen Afghanen sei da herangewachsen, die studiert und ein wenig von der Welt gesehen hätten, sagt Sadran. Nachdem die Ausländer weg waren, seien sie aufgerückt in die leitenden Positionen in NGOs oder als Berater der Regierung. Sie hätten nun Gehälter von um die 1500 Dollar, mit denen seine Burger für 350 Afghani (vier Euro) keine Unmöglichkeit mehr seien.

Afghanistan hat mehr als 30 Millionen Einwohner. Die Café-Szene beschränkt sich weitgehend auf die Hauptstadt und fast ausschliesslich auf Kunden im Alter zwischen 18 und 30. Einige - wie das schicke «Cupcake» - sehen aus, als wollte da jemand Starbucks abkupfern. Die Studenten, die das «451» betreiben, hatten wiederum so wenig Geld, dass sie kreativ werden mussten, mit Zeitungsseiten an den Wänden statt Kunst. Auf der Karte steht nicht viel, aber auf einer Tafel werden Gitarrenstunden angeboten. An einer Pinnwand hinterlassen die Gäste sich Notizen. Freundschaften, Liebschaften, Lerngruppen - das Café als Geburtshelfer eines neuen Wir-Gefühls.

Die Gastro-Projekte sind Nischen. Zufluchtsorte für den Bruchteil einer Generation, die irgendwo zwischen Jugend-Emanzipation und der traditionellen Ehrerbietung für die Stammesältesten steckt, zwischen den ersten paar Tausend Karrierefrauen und der Beschränkung von Mädchen aufs Haus. In all diesen Cafés sitzen Mädchen neben Jungen, ohne verheiratet zu sein - was draussen im Land mancherorts Grund zur Steinigung wäre und selbst in Kabul noch oft genug Empörung auslöst.

«Einige von uns haben heute eine gewisse Freiheit, aber ausser den Cafés gibt es noch kaum Orte, um sie zu leben. Besonders für Frauen», sagt Sahra Nasemi (27), die an einem Frühlingsmorgen im «Simple» sitzt, einem bunt gestrichenen Café mit selbst gebauten hellhölzernen Tischen und Bänken. «Es gibt nur wenige Parks, und die sind voller Müll und Männer.» Fitnessstudios oder andere Sportclubs seien auch meist nicht offen für Frauen. Die alten Teehäuser sowieso nicht.

Nasemi lebt ein Leben, das in die traditionelle Schablone nicht mehr passt. Sie ist geschieden, arbeitet Vollzeit als Journalistin und lebt allein. Um sieben Uhr morgens geht sie zum Englischkurs, danach zur Arbeit. Zum Kochen hat sie keine Zeit, sie kommt ins «Simple» für Eier und eine Kanne Tee. 170 Afghani (zwei Euro) kostet sie das. Gratis bekommt sie eine zweite Familie. Eine von Gleichgesinnten.

Ein junger Architekt in Jeans und Wollmütze am Nebentisch sagt: «Ich kann den anderen hier vertrauen.» Er meint: darauf vertrauen, dass sie sein Leben in der eng vernetzten afghanischen Gesellschaft, in der es vielen darauf ankommt, was «die anderen» denken, nicht als seltsam oder verwerflich abtun. Der Architekt hat keine Stelle gefunden. Er entwickelt nun Online-Tutorien für junge Leute, die etwas Neues lernen wollen, und stellt sie ins Internet. Seine Familie findet nicht, dass das ein ordentlicher Beruf ist.

Der Architekt klappt seinen Laptop auf und will seine Seite vorführen, da fällt im Stadtviertel mal wieder der Strom aus. Viele Heime liegen jetzt im Dunkeln. Dann rattert draussen ein kleiner Generator los. Das Café wird zur Oase des Lichts.

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