«Unter Mangobäumen» von Damaris Lüthi ist ein Antikriegsfilm
Im Film «Unter Mangobäumen» zeigt Damaris Lüthi die Perspektive von Frauen im Sri-Lanka-Bürgerkrieg, wo die Grenze zwischen Täterinnen und Opfern verschwimmt.

Im Bürgerkrieg in Sri Lanka hat sich die Zivilbevölkerung unter Mangobäumen verschanzt. Auch deshalb gibt die Regisseurin Damaris Lüthi ihrem Dokumentarfilm diesen Titel. In «Unter Mangobäumen» erzählt sie aus der Perspektive von Frauen von Täterinnen und Opfern – und davon, dass diese Grenze verschwimmt.
Der Bürgerkrieg in Sri Lanka währte von 1983 bis 2009 und forderte geschätzte 80'000 bis 100’000 Todesopfer. Bedeutend mehr Menschen wurden vertrieben und über die ganze Welt verstreut.
Ungefähr 50’000 kamen in die Schweiz. Weshalb also trägt ein Dokumentarfilm, der von den Erlebnissen verschiedener Frauen in dem Konflikt erzählt, einen solch idyllischen Titel: «Unter Mangobäumen»?
Titel «Unter Mangobäumen»: Symbol für Schulunterricht
«Es war unser Arbeitstitel. Ich habe immer ein wenig damit gehadert», erzählt Regisseurin Damaris Lüthi im Gespräch mit der Nachrichtenagentur Keystone-SDA. Eine Traumatherapeutin habe ihr 2010, also kurz nach dem Ende des Konfliktes, erzählt, wie der Schulunterricht in vielen Gegenden Sri Lankas nur noch unter Mangobäumen stattfinden konnte.
Weil alle Schulgebäude im Krieg zerstört worden waren. «Das Bild ist mir all die Jahre während der Arbeit am Film geblieben.»
Später erfuhr Lüthi von einer tamilischen Freundin, dass sich die Zivilbevölkerung stets unter Mangobäumen verschanzt hatte, weil deren Blätter einen guten Sichtschutz nach oben boten. «Da wusste ich, dass ich den Titel so lassen kann.»
Fokus auf Frauen
«Unter Mangobäumen», der am 20. Mai in den Deutschschweizer Kinos startet, ist jedoch keine übliche Kriegsdokumentation. Der Film beschränkt sich konsequent auf eine Perspektive. Nicht etwa auf die einer einzelnen Kriegspartei – im Film kommen sowohl die tamilische, die singhalesische als auch die muslimische Seite zu Wort.
Sondern auf jene von Frauen. Egal, ob Kämpferinnen, zwangsrekrutierte Soldatinnen, unbeteiligte Zivilistinnen oder Vertriebene. Opfer des Krieges sind sie alle.
«Film über Opfer und Täterinnen»
Damaris Lüthi, von Haus aus Ethnologin, verzichtet mit wenigen Ausnahmen darauf, den Konflikt zu erklären. Nur das Allernötigste vermittelt sie auf Texttafeln. Stattdessen konzentriert sie sich auf das Kleine, auf die Mikroebene des Krieges.
«Es ist ein Film über Opfer und Täterinnen. Und darüber, wie sich das verwischt. Insbesondere auf der Ebene der unteren Mittelschicht und der Unterschicht gibt es eigentlich nur noch Opfer.»
Das gilt auch für die ehemaligen Kämpferinnen der Tamil Tigers, die im Film porträtiert werden. Zahlreiche von ihnen wurden zwangsrekrutiert. Und dass Frauen im Krieg generell viel grösseren Risiken ausgesetzt sind als Männer, macht insbesondere der Schluss des Films deutlich.
Allen Seiten gleich viel Raum geben
Da erinnern sich Überlebende an die Schlussphase des Kriegs, als nach dem Sieg der singhalesischen Regierungstruppen über die Tigers zahlreiche Kriegsverbrechen an den eingekesselten tamilischen Kämpferinnen und Zivilistinnen verübt wurden. Vieles davon ist bis heute nicht aufgearbeitet worden.
Dass bei einem solchen Projekt immer auch die Frage nach der Parteinahme aufkommt, ist Damaris Lüthi bewusst. Sie hätte gerne allen Seiten gleich viel Raum gegeben. Im Film sprechen jetzt drei Tamilinnen, eine Singhalesin und eine Muslimin.
Ursprünglich habe Lüthi einen Film über die tamilischen Opfer des Kriegs machen wollen. «Bei der Recherche habe ich dann festgestellt, dass es auf allen Seiten viel mehr Opfer gab, als ich ursprünglich dachte.» Sie sei zwar sehr mit den Tamilinnen verbunden und habe auch viel zu ihrer Kultur geforscht, aber sie wolle bestimmt nicht Partei für eine der Kriegsseiten ergreifen, auch nicht für die Tigers.
Film behandelt universelle Themen
Obwohl die tamilische Seite im Film etwas stärker vertreten ist, lässt sich dem Film kaum Parteilichkeit vorwerfen. Das zeigt sich vielleicht auch daran, dass am Ende keine der Parteien ganz zufrieden damit sei, wie Lüthi sagt. «Auf singhalesischer Seite hätte man sich mehr Protagonistinnen von ihrer Seite gewünscht, während die tamilische Seite Mühe mit dem Thema der Zwangsrekrutierung hatte.»
Unter anderem wegen einem pandemiebedingten Drehunterbruch und einem langen Schnittprozess war die Entstehungszeit des Filmes relativ lang. Das Ende des Sri Lankischen Bürgerkriegs liegt bereits 15 Jahre zurück und ungefähr zehn neue Kriege beanspruchen mittlerweile die allgemeine Aufmerksamkeit. Doch die Themen, die der Film behandelt, sind universell.
Lüthi: Frauen leiden am meisten
In fast jedem Krieg gehe es am Ende hauptsächlich um Landkarten – also darum, wer welches Gebiet beherrsche. In fast jedem Krieg leidet die Zivilbevölkerung und insbesondere die Frauen leiden am meisten. Manchmal, meint Lüthi zu den Gemeinsamkeiten zwischen Sri Lanka und anderen Konflikten, gehe es um Ressourcen, wie in Kaschmir oder auch in der Ukraine, und manchmal gehe es um Religion oder Sprache, wie in Sri Lanka.
«Aber am Ende geht es fast immer um Grenzziehungen.» Auf der Ebene, die sie interessiere – jener der betroffenen Zivilbevölkerung – spielen diese aber kaum eine Rolle. Am Ende sei «Unter Mangobäumen» für sie «ganz klar ein Antikriegsfilm».
Auch wenn der Überfall auf die Ukraine die Frage nach dem Sinn des Kriegs grundsätzlich komplizierter und sie etwas ratlos gemacht habe, sei das wichtigste Gefühl, das sie mit ihrem Film vermitteln wolle, jenes, «dass vom Krieg nur die Mächtigen profitieren; für Zivilisten und Soldatinnen, egal auf welcher Seite, bedeutet er nur Zerstörung».*
*Dieser Text von Dominic Schmid, Keystone-SDA, wurde mithilfe der Gottlieb und Hans Vogt-Stiftung realisiert.