Film-Porträt einer Frau im Kampf gegen den Schuldenberg
Eine alleinerziehende Mutter in der Schweiz kämpft gegen hohe Schulden – ihr Porträt im Dokumentarfilm «Nathalie».

Der Dokumentarfilm «Nathalie» blickt auf eine Frau in der Schweiz, die in die Schuldenspirale geraten ist – und für die Aufgeben keine Option ist: witzig und berührend.
«Ich will kein Sozialfall sein», sagt Nathalie. Sie ist Mitte 50, alleinerziehende Mutter von zwei Kindern, und sie hat hohe Schulden. Die Regisseurin Tamara Milosevic widmet ihr mit dem nach ihr benannten Schweizer Dokumentarfilm ein Porträt.
Nathalies Energie packt sofort
«Schon bei unserer ersten Begegnung war für mich klar: über Nathalie muss man einen Film machen», sagt Milosevic im Gespräch mit der Nachrichtenagentur Keystone-SDA. Sie ist Regisseurin und Produzentin bei der Recycled TV in Bern. Nathalies Energie, Direktheit und ihr trockener Humor hätten sie sofort gepackt und ihre unerschütterliche Art, einfach weiterzumachen, egal was komme, hätte sie beeindruckt.
Milosevic erzählt gerne von starken Frauen in der Schweiz. Nathalie hat sie bei den Dreharbeiten zu ihrem Film «Naïma» kennengelernt – ebenfalls das Porträt einer Frau. Naïma Serroukh engagiert sich in Biel gegen religiöse Radikalisierung.
Ein Porträt voller Facetten
Nathalie ist ein Mensch mit vielen Facetten, mit einer bewegenden Biografie und einer nicht einfachen Familienkonstellation. Der Film «Nathalie» startet am 04. September in den Deutschschweizer Kinos; er ist nach «Naïma» (2019) der zweite Teil einer geplanten Trilogie über ungewöhnliche Frauenbiografien. «Ich will zeigen, was sie alle verbindet: kämpfen, fallen, aufstehen, weitergehen», sagt die Regisseurin.
Im Dokumentarfilm lässt Nathalie viel Nähe zu. Sie exponiert sich. Es sei, so Milosevic, nicht schwierig gewesen, sie zu überzeugen.
«Sie hat rasch zugesagt. Doch so schnell hat sie immer wieder auch abgesagt», sagt die Regisseurin und lacht. «Aber sie gab mir ihr Wort, dass wir das Projekt gemeinsam durchziehen. Auf Nathalies Wort ist Verlass.»
Schuldenfreiheit – Ein ferner Traum?
Bei ihrer Filmarbeit zeigt sich Milosevic offen für alle Formen, die zur Erzählung beitragen, formal und inhaltlich. Inszenierung habe genauso Platz wie Improvisation.
Anders als in Österreich oder Deutschland, wo Menschen nach einigen Jahren am Existenzminimum schuldenfrei neu starten könnten, gäbe es in der Schweiz für die meisten Menschen keinen Weg aus den Schulden, so Milosevic. «Sie bleiben oft ein Leben lang am Existenzminimum hängen.»
In der Schweiz überhaupt über Schulden zu sprechen, sei nahezu ein Tabu. Und Schulden zu haben, gelte schnell als persönliches Versagen. «Doch so einfach ist es nicht», sagt die Regisseurin. Vor allem für Frauen nicht. Viele würden mit Teilzeitjobs, unbezahlter Care-Arbeit und Verantwortung für andere jonglieren.
«Da braucht es oft nicht viel – eine Trennung, ein Krankheitsfall oder ein Jobverlust – und man steckt mitten in einer Abwärtsspirale.» Oft gerate man durch Lebensumstände in die Schuldenfalle und nicht durch ein Fehlverhalten.
Kino als Ort der Solidarität und des Nachdenkens
«Nathalie» ist ein Dokument, das berührt und beeindruckt. Der Film weist über ein einzelnes Leben hinaus und stellt die viel grössere Frage: Wie solidarisch ist unsere Gesellschaft wirklich?
Tamara Milosevic zeigt sich überzeugt, dass das Kino die Kraft hat, Menschen zu berühren, zum Nachdenken zu bringen – und manchmal auch etwas in Bewegung zu setzen. «Wer ins Kino geht, will sich einlassen. Will tiefer tauchen. Ich glaube, es ist unsere Aufgabe als Filmschaffende, wieder stärker über Kino zu sprechen und zu fragen, wie es relevanter und attraktiver werden kann.»
Ein Film, der nachwirkt und Fragen offenlässt
«Nathalie» jedenfalls hallt nach, begleitet über den Kinobesuch hinaus. Der Film zeigt, wie schwierig es sein kann, Vertrauen zuzulassen. Er zeigt, wie tief Verletzungen sitzen können. Und er macht deutlich, dass jedes Leben seine eigene Tragik hat.
Dabei mag sich manche Kinobesucherin, mancher Kinobesucher die Frage stellen, wie es Nathalie heute geht. Sie habe wieder mehr Aufträge, sagt Tamara Milosevic. Sie arbeite, aber ihr Alltag bleibe fordernd. Der Tod des Vaters ihrer Kinder, die Krankheit ihres Sohnes, das alles verlange ihr viel ab. Im Film sagt sie jedoch: «Ich kämpfe bis am Ende.»*
*Dieser Text von Raphael Amstutz, Keystone-SDA, wurde mithilfe der Gottlieb und Hans Vogt-Stiftung realisiert.