47. Solothurner Literaturtage: vom Roman zum Drehbuch
Stoffwechsel heisst die Veranstaltungsreihe, mit der die Solothurner Literaturtage und Solothurner Filmtage zusammenarbeiten. Damit sollen Literaturadaptionen für den Film gefördert werden.

Die 47. Solothurner Literaturtage (vom 30. Mai bis zum 1. Juni) schlagen den Bogen zum Film. Unter dem Titel «Stoffwechsel» sind Veranstaltungen in Zusammenarbeit mit den Solothurner Filmtagen geplant. Vor diesem Hintergrund hat die Nachrichtenagentur Keystone-SDA den Dozenten und Regisseur Stefan Jäger gefragt, wann filmische Umsetzungen von Romanen gelingen.
Ein Satz ist in der Filmbranche regelmässig zu hören: «Dieser Roman ist unverfilmbar.» Grundsätzlich könne jede Vorlage verfilmt werden, entgegnet Stefan Jäger. Er ist Majorleiter der Drehbuchabteilung im Filmdepartement der Zürcher Hochschule der Künste (ZHdK) und selber Regisseur und Produzent.
Es hänge von zahlreichen Faktoren ab, wie schwierig Verfilmungen von Romanen sind: Erzählperspektive, Anzahl Figuren, Verschachtelungen, Verortung und Seitenzahl, zählt Jäger auf. Da die meisten Spielfilme 90 bis 120 Minuten dauern, sei «bei umfangreichen literarischen Vorlagen eine starke Reduktion nötig».
Ein Dozent habe einmal gesagt, es gehe darum, den Diamanten in einer Geschichte zu finden. «Das klingt zunächst einmal simpel», sagt Jäger, könne aber ungemein schwierig sein und mitunter Jahre dauern. Sei der Kern der Geschichte gefunden, liessen sich auch komplexe Stoffe überzeugend filmisch umsetzen.
«Eine zweischneidige Sache»
Manchmal gibt es auch das Gegenteil: zu wenig Stoff. Jäger hat das selber erlebt, als er «Schellen-Ursli» (2015) für die Leinwand adaptierte. Regie führte Xavier Koller. Die zentrale Handlung des Buchs – die Glockengeschichte – ist für einen Spielfilm zu kurz. Deshalb hat Jäger sie um wesentliche Teile ergänzt.
Ob ein Film gut werde, hänge nicht davon ab, ob die Vorlage ein Erfolgsroman sei oder ein original entwickelter, neuer Stoff, so der Dozent. «Erfolgsromane auf die Leinwand zu bringen, ist ausserdem eine zweischneidige Sache.» Auf der einen Seite sei da die sogenannte intellectual property (IP), also das geistige Eigentum.
Damit sind Ideen, Figuren oder Geschichten gemeint, die sich bereits erfolgreich etabliert haben. Bekannte Beispiele sind das Marvel-Universum oder «The Lord of the Rings». Der Teppich zum Erfolg sei da bereits ausgelegt, so Jäger. Marketingkosten könnten gespart werden, manche Filme seien geradezu Selbstläufer.
In Europa habe der Produzent Bernd Eichinger dieses Geschäft beherrscht. Er kaufte die Rechte von Weltliteratur – «Die unendliche Geschichte» (1984), «Der Name der Rose» (1986) oder «Last Exit to Brooklyn» (1989) – und machte daraus Kinoerfolge. Gleichzeitig bestehe bei IP-Filmen die Schwierigkeit, die Balance zwischen Werktreue und Originalität zu halten, damit möglichst viele Menschen erreicht und möglichst wenige Fans enttäuscht würden.
Auch wenn sich seine Studierenden durchaus für Romanverfilmungen interessieren würden, käme es aus finanziellen Gründen kaum je zu einer Umsetzung: «Die Option an einem Roman zu erwerben oder gar die Rechte zu kaufen, ist im Studium unrealistisch.»
Deshalb ist Jäger froh um Intitutionen wie den Kulturfonds der Société suisse des auteurs, der das Verfassen von Drehbüchern für Spielfilme und Serien, denen ein bestehendes literarisches Werk zugrunde liegt, bis vor Kurzem mit einem Geldbeitrag gefördert hat. Als Beispiele nennt er «Stiller» von Stefan Haupt, der Mitte Oktober in die Kinos kommen soll, oder den Film «Das Licht hinter den Bergen», der auf dem gleichnamigen Roman von Thomas Röthlisberger basiert, derzeit in Entwicklung ist und zu dem Jäger selber das Drehbuch schreibt.
«A Minecraft Movie» als schlechtes Beispiel
Neben dem finanziellen Aspekt sieht Stefan Jäger eine weitere Hürde: «Die Schweiz ist weiterhin ein Land der Autorenfilmer» – von Filmschaffende also, die die Drehbücher zu ihren Werken selber schreiben. «Die Drehbuchautorinnen und -autoren haben hierzulande keine Lobby und werden, anders als zum Beispiel in den USA, sehr stiefmütterlich behandelt.»
Er wolle über diese Tatsache aber nicht lamentieren, so der ZHdK-Dozent, sondern bilde viel lieber neue Drehbuchautorinnen und -autoren aus. Dass die Produktion von Serien immer wichtiger werde, sei positiv für den Berufsstand, sagt Jäger. «Bei Serien ist die Regie nicht mehr das zentrale Element, sondern jene Menschen, die die Geschichte schreiben.»
Fragt man Stefan Jäger nach einem besonders gelungenen Beispiel einer Literaturverfilmung, nennt er «Dr Goalie bin ig» (2014) von Sabine Boss. «Wie der Sound von Pedro Lenz umgesetzt wird, ist schlicht grossartig.»
Und ein schlechtes Beispiel? Stefan Jäger zögert nicht: «A Minecraft Movie» (2025). Der Film basiere auf einem Game, das über 100 Millionen von Menschen spielen und das als eines der einflussreichsten gelte. Da sollte eigentlich nichts schiefgehen. Doch: «Die Umsetzung lässt mich ratlos.»*
*Dieser Text von Raphael Amstutz, Keystone-SDA, wurde mithilfe der Gottlieb und Hans Vogt-Stiftung realisiert.