Mit wenig zufrieden
Wohnen und arbeiten unter einem Dach – das macht Christoph Lerch in seiner Liegenschaft an der Schützengütlistrasse.

Der eindrucksvolle, denkmalgeschützte Bau beim Bahnübergang zur Schützengütlistrasse fällt einem mit seinem Glockendach direkt ins Auge. Das Haus wurde von Bauunternehmer Ernst Stucki als Geschäftshaus geplant und gebaut.
«Das muss um 1912 herum gewesen sein. Wahrscheinlich in Etappen, denn es stehen verschiedene Jahreszahlen am Haus», steigt Christoph Lerch ins Gespräch ein. Lerch, der ursprünglich aus Frauenfeld kommt, erstand das Haus 1982 über eine weit entfernte Verwandte, der Schwiegertochter von Stuckateur Stucki, beziehungsweise der Frau von Baumeister Stucki.
«Eigentlich wollten meine Frau und ich zu diesem Zeitpunkt auswandern, um für ein Hilfswerk zu arbeiten. Es war bereits alles in die Wege geleitet», erzählt der 60-Jährige. In dem halben Jahr wo das Paar dann auf das Visum wartete, wurde das Haus frei. Da haben sich die Eheleute gegen das Auswandern und für das Haus entschieden.
«Und prompt kam zwei Wochen später die Auswandererlaubnis», erinnert sich Lerch, überzeugt davon, dass es so kommen musste.
Renovationen selber machen
Vor dem Einzug der Lerchs stand das Haus leer. «Vor allem der oberste Stock war nicht bewohnbar», sagt der Schreiner, der glücklicherweise viele Renovationen selber machen kann. Überhaupt gibt es in einer so grossen Liegenschaft immer etwas zu tun.
«Wie in allen Lebensbereichen», zieht Lerch den Vergleich. Die Gewerberäumlichkeiten im hinteren Teil des Hauses nutzt Christoph Lerch seit 26 Jahren als Schreinerwerkstatt.
Unter einem Dach zu wohnen und arbeiten war für ihn immer ein Vorteil. «Gerade als meine beiden Kinder noch klein waren, wussten sie immer wo ich war», sagt er. Mittlerweile sind die Kinder ausgezogen und seine Ex-Frau bewohnt die mittlere Wohnung in der Liegenschaft.
Er selber hat sich ein Zimmer im Parterre eingerichtet. «Mir reicht das. Ich habe hier alles was ich brauche», sagt er. Bei der Frage nach dem Lieblingsplatz muss er nicht lange überlegen: «Die Werkstatt.» Für ihn sei Arbeiten eine Freude, ein Geschenk.
Der Rundgang führt weiter in den weitläufigen Garten. Vorbei an einer idyllischen Grotte mit kleinem Teich, welche Stucki damals nach einem Italienurlaub bauen liess. Das Haus weist noch weitere Einzigartigkeiten auf.
Es hat beispielsweise eine eigene Wasserversorgung und nebst der ersten Tiefgarage, ein Grossteil des Gartens ist unterkellert, auch einer der ersten Aufzüge in Bischofszell. «Die Vorbesitzer hatten auf der oberen Terrasse viele Pflanzen, die zur Überwinterung in den Keller mussten. Das war nur mit einem Aufzug zu bewerkstelligen », erklärt der Eigentümer.
Heute ist der Aufzug nicht mehr in Betrieb und dient in allen Geschossen als Einbauschrank.
Grosser grüner Drache
In der verwinkelten Werkstatt von Christoph Lerch entstehen alle Arten von Möbelstücken. «Am liebsten mache ich aber spezielle Anfertigungen. Das, was nicht alle machen», schwärmt er.
Angefangen hat alles an der Mustermesse in Basel. Sein Können hat sich herumgesprochen, sodass seine Kunden heute von überall her kommen. «Ich habe für eine Kundin aus Düsseldorf ein Massivholzbett aus Mondholz gemacht, welches metall- und leimfrei war. Ein solches hat sie in ganz Deutschland nirgends finden können.»
Obwohl er es nicht gerne hört, könnte Lerch durchaus als Künstler bezeichnet werden. In seiner Schaffensstätte hängt zurzeit ein riesengrosser grüner Drachen, den Lerch für einen Kunden fertigt. Das hat nichts mehr mit einem einfachen Möbelstück zu tun.
«Ich bin Schreiner. Aber ich mache alles mit einer so grossen Freude», sagt er. «Alles fängt bei mir mit einem Modell an.» Das kommt daher, weil er stets Mühe hatte, seine Ideen in Worte zu fassen. Das Modell habe dann für ihn gesprochen.
Offerten und Rechnungen schreibt der 60-Jährige auch heute noch von Hand. Und das nicht, weil er der heutigen Technik nicht traut. «Ich beherrsche das Zehn-Finger-System nicht und habe aus einer Schwäche, eine Stärke gemacht.» Denn das «von Hand schreiben» ist zu einem Markenzeichen geworden.
Salben und Vorträge
Ein schönes Zuhause wäre für den Schreiner früher vor allem ein Rückzugsort gewesen. «Ich war sehr introvertiert, ich lebte gerne zurückgezogen.» Das habe sich heute geändert, sagt er. Er geniesse es, einen Schwatz mit «diesem und jenem» zu halten.
Wenn er nicht in seiner Werkstatt ist, stellt Christoph Lerch Salben her. Unter anderen die Lärchenharzsalbe, ein Heilmittel gegen Furchen und Schnittverletzungen, für welche er das Harz selber gewinnt. Das Salbenrezept hat ihm eine langjährige Kundin vermacht.
«Eigentlich wollte ich das Rezept nicht ausprobieren. Zu gross war der Respekt, diese nicht gleich gut hinzubekommen.» Gerne hält Christoph Lerch auch Vorträge über Holz. Sein Lieblingsholz ist übrigens die Ulme. Warum? Weil sie sein Lebensthema verkörpert...