Die Zeiten sind rauer geworden - auch für die Besucherinnen und Besucher der St. Galler Gassenküche. Das niederschwellige Angebot der Stiftung Suchthilfe im ehemaligen Restaurant Walfisch war während der Corona-Krise «nötiger denn je».
Bettler
Auf den Basler Strassen wird mehr gebettelt (Symbolbild) - Nau

Das sagt Regine Rust, Geschäftsleiterin der Stiftung Suchthilfe St. Gallen, gegenüber der Nachrichtenagentur Keystone-SDA. Es ist Montagmorgen, kurz nach 10 Uhr, an der Linsebühlstrasse 82. Das Wetter ist garstig und nass. Drinnen in der warmen Gassenküche sitzen neben Rust auch noch Mithat Foster, Leiter der Gassenküche, und Patrick Schneider, regelmässiger «GK»-Gast, am Tisch.

Sie blicken auf «stürmische Zeiten» zurück. «Das vergangene Jahr war Coronamässig sehr belastend», sagt Rust. Alkohol- und drogenabhängige Menschen, die am Rande der Gesellschaft leben, treffe die Isolation besonders hart. «Für sie ist die Gassenküche mehr denn je ein unverzichtbarer Zufluchtsort.» Die Armut habe zugenommen. Auch in St. Gallen gebe es immer mehr Menschen, die unter dem Existenzminimum lebten.

In einer Stunde treffen die ersten Gäste ein. Rund 30 Mittagessen gehen jeden Tag über die Theke. 60 bis 80 Einzelpersonen - vorwiegend Männer - finden in der Gassenküche für ein paar Stunden eine Gemeinschaft. «Den ganzen Tag nur zu Hause zu hocken und sich abkapseln, das ist kein Leben», sagt Patrick Schneider. Mit 14 Jahren begann er zu kiffen. Zwei Jahre später nahm er auch harte Drogen. Bald war er auf das Dealen angewiesen.

Ein Bauwagen hinter dem Waaghaus bot ab 1987 im Winter den ersten geschützten Raum für Randständige. Nach neun Jahren im Bauwagen oder Container eröffnete die Gassenküche die Saison im Jahr 1996 in einer Liegenschaft im Zentrum. Vor 20 Jahren zog der Betrieb ins Linsebühl-Quartier. Damals schaffte es Patrick Steiner, «aus dem Beschaffungsstress rauszukommen». Seither ist er im Morphinprogramm.

Der 49-Jährige ist ein Frühaufsteher. Um 7.30 Uhr stand er bereits vor der Türe des «Kathi». Im Katharinenhof, einem ehemaligen Szenelokal für Drogenabhängige, befindet sich seit über 20 Jahren der «Blaue Engel». Er versorgt Menschen mit Suchtproblemen mit sauberem Injektionsmaterial, warmen Getränken und Beratung rund um Sucht und Gesundheit.

«Wir hatten grosse Angst, dass einer unserer Besucher aufgrund von Vorerkrankungen am Coronavirus stirbt», sagt Regine Rust. Es habe aber fast keine Corona-Fälle gegeben. Alle Mitarbeitenden der Gassenküche hätten sich aus Solidarität impfen lassen. Bei den Gästen betrage die Impfquote rund 70 Prozent.

Auch dank strikten Schutzmassnahmen und personellem Mehraufwand sei es gelungen, den Betrieb aufrecht zu erhalten. Während des Lockdowns musste das Angebot angepasst werden. Die Gassenküche stellte auf Take-away um.

«Die Gassenküche und ihre Gäste sind krisenfest», stellt Rust fest. Rückhalt bekommt der Betrieb auch von den vielen Spenderinnen und Spendern. Die Solidarität mit Menschen am Rand der Gesellschaft sei in St. Gallen grösser als in anonymen Grossstädten. Auch an diesem Tag setzt sich das Mittagsmenu aus Sachspenden zusammen. Es gibt Wienerli und Nudeln.

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