Ein Teil der Panzersperre im Raum Hülften musste dem Schwing- und Älplerfest in Pratteln weichen. Die Wiederherstellung des Geländes ist umstritten.
Naturschutz
Keine freudige Stimmung nach dem Schwingfest bei Dölf Brodbeck aus Binningen. - Onlinereports
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Das Wichtigste in Kürze

  • Für das letztjährige Eidgenössische Schwing- und Älplerfest mussten Panzersperren weichen.
  • Die meisten armierten «Haifischzähne»wurden nach Fest-Ende wieder an ihren Platz gesetzt.
  • Der Wiederaufbau der Panzersperren ist jedoch nicht allen sorgfältig genug gemacht.

Wir stehen an jener Stelle, an der sich letzten August Hunderttausende an den Kämpfen des Eidgenössischen Schwing- und Älplerfests amüsierten. Mal eine Joggerin, sonst aber weit und breit kein Mensch.

Die Tribünen sind längst abgeräumt, keine Spur mehr von Sägemehl, der Rückbau ist abgeschlossen. Im Gebiet Hülften zwischen Pratteln und Frenkendorf ist wieder flaches, landwirtschaftlich genutztes Gelände. Es wirkt friedlich.

Doch bei Dölf Brodbeck aus Binningen mag keine freudige Stimmung aufkommen. «Ich stamme aus einer alten Soldatenfamilie», schildert er während wir der Bahnlinie entlang zum Objekt marschieren, das ihm in seinem heutigen Zustand fast das Herz bricht.

Der 80-jährige Elektroingenieur, der lange Jahre als Freisinniger im Landrat sass, hat 1500 Diensttage absolviert und war Oberstleutnant im Stab der Grenzbrigade 4. Deren 12'000 Mann waren in der Nordwestschweiz die für die Verteidigung des Gürtels zwischen Stein im Fricktal und dem solothurnischen Kleinlützel zuständig. Dazu gehörten auch die Jura-Übergänge ins Mittelland.

«System Hülften» national bedeutend

Nichts dokumentiert heute die damalige schweizerische Wehrbereitschaft gegen die nationalsozialistische Bedrohung markanter als die «Grenzbefestigung Liestal-Hülften»: Insbesondere die Panzersperre war so markant, dass das Verteidungsdepartement sie im Jahr 2002 als ein «System von nationaler Bedeutung» inventarisierte. Sie hatte das einzige Ziel, ein Eindringen nationalsozialistischer Panzerverbände zu verhindern.

Das Gespräch mit Dölf Brodbeck wird sehr schnell zur Geschichts-Lektion in Heimatkunde der Vorkriegsjahre. Und sehr schnell wird klar, mit wieviel Verteidigungswillen, strategischer Überlegung und Aufwand die damaligen Armee-Planer mit der 1937 vom Bund beschlossenen Grenzbefestigung am Unterlauf der Ergolz ans Werk gingen.

Hat Ihnen das Eidgenössische Schwing- und Älplerfest in Pratteln gefallen?

Nicht weniger als 62 früher streng geheime Waffenstellungen sind in diesem Raum belegt, zwei Drittel von ihnen sind heute, wenn auch teils nur in Fragmenten, noch erkennbar, weiss Dölf Brodbeck. Sie boten Maschinengewehren und der Panzerabwehr Schutz, dienten als Personenunterstände, Kommandoposten oder Munitionsmagazine.

Panzersperre war einen Kilometer lang

Eine dieser exponiertesten Stellungen ist der als Bauernobjekt getarnte und heute im Auftrag des Kantons von der Infanterie-Vereinigung betreute Hauptbunker Hülften in unmittelbarer Nähe des Hülftenhofs. Am augenfälligsten ist heute noch ein Teil der einst tausend Meter langen, von Genietruppen gebauten und aus 300 Neun-Tonnen-Blöcken bestehenden Panzersperre. Sie reichte vom Prattler Gebiet «Buholz» westlich über die Ergolz bis in den Raum «Riedacher» auf Füllinsdörfer Bann – für damalige Tanks unüberwindbar, sagt Dölf Brodbeck.

Haifischzähne
Die armierten «Haifischzähne» (Volksmund) wurden nach Fest-Ende wieder an ihren ursprünglichen Platz zurückversetzt. - Onlinereports

Diese Sperre – allmählich zu einer Hecke verwachsen, aber in den Herbst- und Wintermonaten gut erkennbar – ist Offizier Brodbeck als eindrückliches Zeugnis der Militär- und Gesellschaftsgeschichte besonders ans Herz gewachsen. Vom Fussweg entlang der SBB-Linie aus ist sie derzeit besonders gut sichtbar.

Zwar mussten Teile der Befestigung vorübergehend dem Schwing- und Älpler-Schauplatz weichen, doch die meisten verbliebenen armierten «Haifischzähne» (Volksmund) wurden nach Fest-Ende wieder an ihren ursprünglichen Platz zurückversetzt. Vom Hülftenhof-Bunker aus bietet sich gerade eine prächtige Aussicht auf das nahegelegene Anschauungsobjekt.

Das Problem: Die Aufschüttungen

Trotzdem hat die Infanterie-Vereinigung damit jetzt ein Problem. Denn die Leitung des letztjährigen Folklore-Festes hatte die Auflage, die für den Aufbau von Tribünen und Sportplatz nötige Hecken-Rodung gemäss dem Natur- und Heimatschutzgesetz rückgängig zu machen – sprich: neu aufzuforsten. Sie beauftragte in Absprache mit der Bürgergemeinde Pratteln als Landeigentümerin das Therwiler Naturschutzbüro «MerNatur» mit der Wiederherstellung der Bepflanzung.

Seit kurzem säumen 670 einheimische Sträucher und fünf Bäume die Tanksperre. Zwischen mehreren Betonelementen wurden aber auch mit Sand angereicherte Ast- und Steinhaufen aufgeschüttet.

«Mit Hecken können wir leben, aber mit diesen Haufen, die aussehen wie eine Bauschutt-Deponie werden wir nun abgestraft», beklagt sich Offizier Brodbeck und hält fest: «Das ist eine Respektlosigkeit vor Zeugen einer gefahrvollen Zeit.»

Mit säuberlich angelegten Ast- und Steinhaufen wie sie bei den Bohrtürmen in Salina Raurica zu sehen sind, hätte er sich abfinden können.

Grund des Ärgers in diesem sozusagen verbalen Schlussgang: Nach Meinung der Infanteristen werde die während mindestens fünf laubfreien Monaten sichtbare Kontur der «Haifischzahn»-Reihe durch die Aufschüttungen an fast einem Dutzend Stellen «verwischt», was an Publikumsführungen den authentischen Eindruck entstelle.

«Artenreicher und strukturell wertvoller»

«MerNatur»-Geschäftsführer Lukas Merkelbach hält die historische Sichtweise der Infanterie-Vereinigung für «nachvollziehbar», nicht aber ihre Kritik am Bepflanzungskonzept. Die frühere Hecke entlang der Sperre sei «spontan entstanden, weshalb weniger wertvolle Arten wie Hartriegel, Ahorn, Esche und Brombeeren vorherrschend waren».

Seine Firma aber habe sich im Sinne der Biodiversität zum Ziel gesetzt, «die neue Hecke artenreicher sowie strukturell wertvoller auszugestalten als die vorher bestehende».

Merkelbach ist überzeugt, dass im belaubten Zustand nach einigen Jahren von den Panzersperren, aber auch von den meisten Haufen-Strukturen «nur noch wenig zu sehen und somit auch der Auftrag der Hecken-Revitalisierung erfüllt sein» werde.

Nach seiner Wahrnehmung habe man sich mit den Vertretern der Infanterie-Vereinigung «auch in diesem Punkt besprochen und war sich zu jeder Zeit einig». Merkelbach betont, die Planung sei auf die Forderungen der Infanterie-Vereinigung eingegangen, «vor allem, was die vollständige Wiederherstellung der lückenlosen Panzersperre anging». Auch seien an ihrem Ost-Ende wunschgemäss einige Zahne nicht bepflanzt worden.

Anblick kann irritieren

Unser Augenschein vor Ort zeigt, dass einige Aufschüttungen tatsächlich das Auge jener Betrachter irritieren kann, die es in der Landschaft – und vielleicht auch im Garten – gern «sauber» haben.

Der grüne Prattler Gemeinderat Philipp Schoch, damaliger Leiter der ESAF-Stabsstelle «Nachhaltigkeit», verweist gegenüber OnlineReports darauf, dass es sich beim jetzigen Zustand um eine «Momentaufnahme» handle, räumt aber ein: «Es sieht jetzt schon komisch aus.» Doch schon in einigen Jahren werde die Sperre überwachsen sein.

Schoch weiter: «Diese Hecke ist beim Kanton angemeldet und wir waren verpflichtet, sie wiederherzustellen.» Merkelbach sei, was Biodiversität betreffe, «der Beste in der Region», die Sperren-Hecke werde «ökologisch absolut top».

Auch neue Pflanzen-Arten sind vorgerückt

Die Prattler Sperre hatte Anfang der vierziger Jahre den Zweck, aus dem Osten durch den Niederrhein Richtung Inner-Schweiz vorrückende Nazi-Truppen abzuwehren. Wodurch sich – wenn auch aus anderer Richtung – eine unerwartete Parallele mit dem Heckenstreit ergibt.

Denn in der Pflanzenauswahl wurden laut Merkelbach «auch Arten wie die Steinweichsel und Feld-Ulme eingesetzt, deren nacheiszeitliche Einwanderungsgeschichte in den Raum Basel erst über die Burgunderpforte und anschliessend über die Oberrheinebene erfolgt ist». Sie seien «typisch für die Region Basel und damit eine Bereicherung der Biodiversität».

Zum Autor: Dieser Artikel wurde zuerst im Basler Newsportal OnlineReports.ch publiziert. Autor Peter Knechtli gilt als Pionier des Online-Journalismus. Er gründete OnlineReports vor 25 Jahren. Per 1. Juli gibt er das Unternehmen an zwei jüngere Kräfte weiter (Alessandra Paone und Jan Amsler).

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