Der grüne Nationalrat Felix Wettstein spricht in seiner Rede an der 1.Mai-Feier 2022 in Olten über Arbeit und Gesundheit. Ein Gastkommentar.
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Felix Wettstein, Nationalrat Grüne - Keystone
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In seiner Rede vom 1. Mai 2022 spricht Felix Wettstein über Gesundheit und Arbeit:

Der 1. Mai ist die richtige Gelegenheit, um uns zu fragen, was eigentlich gesund ist an unserer Art zu arbeiten und was vielleicht nicht gesund ist. Wir werden beim Arbeiten immer produktiver: Zwischen 2010 und 2020 ist die Arbeitsproduktivität um fast zehn Prozent gestiegen.

Die Löhne sind in dieser Zeit in den meisten Jobs praktisch gleich geblieben. Die Arbeitszeit hat nicht abgenommen. Im Gegenteil gibt es etliche Branchen, in denen wieder länger gearbeitet wird. Wir arbeiten gleich lang wie früher, wenn nicht noch länger. Wir verdienen nicht mehr, aber wir sind immer produktiver und stehen unter Druck, dass wir in der gleichen Zeit immer mehr liefern sollten.

Zum Teil machen wir uns diesen Druck selber - zum Teil lastet der Erwartungsdruck auf uns. Das ist nicht gut für die Gesundheit. Es gibt drei andere Gründe, warum wir Arbeit und Gesundheit genauer unter die Lupe nehmen sollten: Sinnerfüllung, Nachtarbeit, und Homeoffice.

Sinnstiftende Aufgaben halten gesund

Menschen, die eine Aufgabe im Leben haben, die ihnen eine hohe Zufriedenheit verschafft und die den Sinn in ihrer Tätigkeit erleben - sie sind länger gesund. Sie leben länger, sind kommunikativer, geselliger, und werden weniger krank. Es ist nicht nur die Berufsarbeit, die uns einen Sinn gibt. Auch ein Ehrenamt oder eine familiäre Aufgabe kann sinnstiftend sein.

Allerdings erfahren viele von uns den Lebenssinn nach wie vor in der Lohnarbeit - oder eben gerade nicht. Darum sollten wir genauer darüber nachdenken, welche Arbeiten regelmässig in ihrer Bedeutung unterschätzt werden. Das sind Branchen wie Reinigung, Abfallbeseitigung, Überwachung, Logistik, Transport, aber auch Verkauf, Onlineverkauf, Gastgewerbe, Hotellerie und Restaurants.

Zusammengezählt haben diese Branchen inzwischen sehr viele Angestellte, auch in unserer Region, wenn wir zum Beispiel ans Gäu mit seinen Logistikzentren denken. Menschen in diesen Aufgabenfeldern haben ein übermässig grosses Risiko zu erkranken, nicht bis 65 arbeiten zu können – und schon gar nicht noch länger.

Nachtarbeit gilt als Risiko für Gesundheit

Ich weiss nicht, was ihr für ein Bild vor Augen habt, wenn ihr an Nacht- und Schichtarbeit denkt. Viele Leute haben immer noch das Bild vom Industriearbeiter vor sich, der im Mehrschichtbetrieb auch während der Nacht Metall giesst oder Maschinen bedient. Es gibt diese Aufgaben schon noch, aber sie sind relativ selten.

Andere Arbeiten sind in den letzten Jahren in die Nacht hinein verlegt worden. Das bedeutet für viele unregelmässige Arbeitszeiten und Abend- und Nachtarbeit. Die Läden sind länger offen, die Beizen ebenfalls. Der öffentliche Verkehr hat fast nie mehr Pause.

Die Polizei muss in der Nacht mehr Präsenz zeigen. Bauarbeiten muss man in der Nacht durchführen. Journalistinnen müssen nicht nur die Zeitung füllen, sondern auch das Internetportal. Pakete müssen gerüstet und zur Auslieferung parat gemacht werden - mit dem Online-Handel steigt Nachtarbeit an.

Das gilt natürlich auch für alle Pflegeberufe, die bei vielen ins Bewusstsein gerückt sind. Trotz allem ist es ist für die Gesundheit ein Risiko, unregelmässig arbeiten zu müssen, je länger je mehr auch am Abend oder zu fast jeder Nachtzeit. Und wenn wir genau hinschauen, sind es wiederum dieselben Berufe, die am meisten betroffen sind.

Homeooffice verleitet zu ständiger Verfügbarkeit

Homeoffice wird als neuer Segen gefeiert. Es hat Vorteile, wenn ich vielleicht einen oder zwei Tage pro Woche von zuhause aus arbeiten kann. Es ist besser für die Umwelt, vielleicht fürs soziale Zusammenleben und für das Gefühl, seinen Alltag selber bestimmen zu können. Das ist der Gesundheitsvorteil.

Allerdings ist dieser Vorteil wacklig. Warum? Mich macht es misstrauisch, wenn Kaderleute und Verwaltungsratspräsidenten in den höchsten Tönen von den Chancen des Homeoffice schwärmen. Die grosse Gefahr ist die Entgrenzung. Die grenzenlose Verfügbarkeit ist verlockend.

Schon piepst das Handy wieder, weil der Chef noch etwas will. Er wird ungeduldig, wenn ich ein paar Stunden nicht antworte. Manchmal gilt auch hier: Ich baue mir diesen Druck selber auf und habe selber das Gefühl, ich müsse jederzeit für fast alles zu haben sein. Das ist nicht gesund. Unser Arbeitsgesetz muss sicherstellen, dass auch in Zeiten von Homeoffice klare Regeln gelten, wann und wie lange jemand arbeitet. Der Gesundheit zuliebe.

Was im Arbeitsgesetz steht, was in den Arbeitsverträgen steht, wie die Arbeitsplanung gemacht wird, ob ihr für eure Arbeit nicht nur einen fairen Lohn, sondern auch Wertschätzung bekommt: Das ist für eure Gesundheit mindestens so wichtig wie Früchte und Gemüse essen oder ab und zu joggen. Nein – es ist wichtiger.

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Felix Wettstein ist Nationalrat der Grünen Solothurn.

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