22 Kindern bietet die Institution Amitola ein Zuhause. Ein Einblick in den Alltag des Neuendörfer Kinderheims.
Kinderheim Amitola Neuendorf
Christa Misteli hat das Kinderheim Amitola im Haus ihrer Grosseltern gegründet und wohnt selbst noch immer dort. - Nau
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Zwei Mädchen rennen lachend hintereinander her, eine Jungs-Gruppe streitet um die erste Abfahrt auf der Kinderrutsche, ein weiterer zeigt seiner Betreuerin eine Schürfwunde auf der Schulter, welcher er sich wohl beim Spielen zugezogen hat.

Es ist ein ganz normaler Nachmittag im Garten des Kinderheims Amitola in Neuendorf. Viele der Pflegekinder sind noch in der Schule, die anderen toben sich in und um das Wohnhaus aus.

Amitola Neuendorf: Wenn das Heim zum Zuhause wird
Im grossen Garten können sich die 22 Kinder austoben. Neben einem Spielplatz können die Kids im Sommer im Pool baden. - Nau

Christa Misteli hat das Kinderheim vor 22 Jahren im Haus ihrer Grosseltern gegründet, bot damals als ehemaligen Lehrerin zwei Pflegekindern ein Zuhause an. Heute leben 22 Buben und Mädchen in den drei Wohngruppen.

Zwei davon befinden sich im Hauptgebäude, eine in der nur wenige Meter entfernten Wohnung. «Langsam wird es eng hier», lacht die Heimleiterin. Deshalb soll schon bald ein weiteres Wohngebäude auf der gegenüberliegenden Wiese entstehen.

Die Kinder im Amitola sind zwischen eineinhalb und 15 Jahre alt. Sie sind nach Neuendorf gekommen, weil ihre Eltern nicht in der Lage sind, ihre Kinder selbst zu betreuen.

Neuendorf Amitola Kinderheim
Die Kinder sollen sich bei Amitola wie zu Hause fühlen. Dank der gleichaltrigen Kinder entwickeln sich oftmals enge Freundschaften, erklärt Christa Misteli. - Nau

Amitola hat eine kantonale Bewilligung. Das Heim wird im Falle von Beiständen angefragt und arbeitet mit der Kesb zusammen. Wer wie lange im Heim bleibt, wann und ob die Kinder zur Familie zurückkehren können, wird von der Behörde entschieden.

Über 2'000 Stellenprozent

Es blieb nicht lange bei den anfänglichen zwei Pflegekinder. Rasch waren vier Plätze belegt, danach wurde die Nachfrage immer grösser. «Irgendwann waren wir keine Grossfamilie mehr, sondern eine Institution», so Misteli.

In den ersten Jahren hat sie das Kinderheim alleine betreut, heute arbeiten 40 Angestellte, von SozialpädagogInnen und KinderbetreuerInnen bis hin zum Reinigungs- und Küchenpersonal im Wohnheim. Dies sind über 2'000 Stellenprozent.

Die Heimleiterin arbeitet seit sieben Jahren nicht mehr in der Betreuung, sondern erledigt die Administration sowie die Abklärungen und Kontakte zu den Behörden.

Regelmässiger Austausch mit Eltern wichtig

Trotz der schwierigen Familienverhältnisse steht der Grossteil der Kinder in regelmässigem Kontakt mit ihren Eltern, wie die Heimleiterin erklärt: «Eine gute Zusammenarbeit ist uns sehr wichtig. Wir pflegen diesen Austausch intensiv.»

Wenn immer möglich gehen die Kinder am Wochenende nach Hause. Einige Mütter kommen mehrmals wöchentlich zu Besuch.

Neuendorf Amitola Kinderheim
Im Wohnzimmer treffen sich Gross und Klein nach der Schule zum gemeinsamen Austausch. - Nau

Auch versucht Amitola, das Verhältnis nach einem Kontaktabbruch wiederherzustellen. «Dieses ist für die Entwicklung eines Kindes von grosser Bedeutung. Trotz der Umstände darf man nicht vergessen, dass die Eltern die wichtigsten Bezugspersonen bleiben.» Die Vereinbarung, wann und wie oft Kontakt bestehen kann, ist ebenfalls über den Beistand oder die Kesb geregelt.

Amitola führt eine eigene Schule

Die meisten der Pflegekinder besuchen den Kindergarten und die öffentliche Schule in Neuendorf. Aber auch an der HPS oder in der regionalen Kleinklasse in Herbetswil sind einige der Kids untergebracht.

Die schwierigen Verhältnisse und traumatische Lebenserfahrungen machen es jedoch nicht jedem Pflegekind möglich, den Anschluss an einer öffentlichen Schule zu finden. Oftmals sei der Rucksack, welche die Kinder mitbringen, extrem prägend. Das Lernen steht im Hintergrund, die Kinder haben ganz andere Gedanken im Kopf, erklärt Misteli.

Dies ist auch der Grund, weshalb Amitola im vergangenen Jahr eine eigene Schule gegründet hat: «Jedes Kind hat das Recht auf Bildung und muss unterrichtet werden.»

Amitola Kinderheim Neuendorf
Die Kinderzimmer sind aus verschiedenen Möbeln eingerichtet. Einige stammen von Spenden, andere von Hausräumungen etc. - Nau

Momentan besteht die hauseigene Schule aus einer Klasse: «Vier Erstklass-Buben haben den öffentlichen Kindergarten nicht geschafft. Diese werden nun hier unterrichtet.»

Die bestehende Klasse zu vergrössern, ist für die Heimleiterin durchaus eine Option. Auch eine zweite Klasse wäre für sie denkbar. Amitola versucht jedoch, die Kinder, wenn immer möglich, zuerst in die öffentliche Schule einzuschleusen.

Unterstützung in der Aufarbeitung und Therapie erhalten die Pflegekinder von zwei Kinder- und Jugendpsychologinnen. Der Grossteil der Kinder besucht deren Sprechstunden regelmässig.

Die Kinder vom Amitola sollen möglichst ähnlich aufwachsen wie in einer normalen Familie. Dies gelingt vor allem durch Alltagsstrukturen und klare Abläufe: «Jedes Kind hat sein Tagesprogramm, vom Aufstehen bis nur Nachtruhe. Diese sind in einem Heim mit 22 Kids sicher noch etwas strukturierter, als in einer fünfköpfigen Familie.»

Amitola Kinderheim Neuendorf
In der Küche steht bereits das frisch gebackene Brot fürs Abendessen bereit. Gekocht wird von Angestellten. - Nau

Hausaufgaben machen, gemeinsam Essen, Ämtli erledigen – dennoch sind die Betreuer und Betreuerinnen kein Mami- oder Papi-Ersatz:

«Wir erklären den Kindern, in welchem Verhältnis wir zu ihnen stehen und weshalb sie nicht bei ihren Eltern wohnen können. Dennoch geben wir ihnen das Gefühl von Geborgenheit und Liebe, welches sie von einer Bezugsperson brauchen.»

Coronazeit brachte «gewisse Ruhe»

Im Lockdown hat das Kinderheim für sieben Wochen geschlossen und damit auch keinen Besuch von Familienmitgliedern empfangen.

«Die Anweisungen des Bundes bezüglich Massnahmen gegenüber Kinderheimen liessen viel Interpretationsspielraum, was die Betreuung und Regelung nicht ganz einfach gemacht hat. Am Anfang wussten wir nicht, was wir dürfen und was nicht.»

Kinderheim Amitola Neuendorf
2019 wurde das neue Gartenhaus mit der Brätelstelle eingeweiht. - Nau

Auch die Situation im Heim selbst war speziell: «Keine Schule, Heimunterricht und Beschäftigung für 22 Kinder waren aufwendig, haben aber auch eine Ruhe gebracht. Durch das tolle Wetter haben wir viel Zeit im Freien verbracht.»

Sommerferien auf dem Hasliberg

Bald stehen die fünfwöchigen Sommerferien an. Viele Kinder verbringen die erste Woche bei den Eltern, manche bleiben die ganze Zeit über in Neuendorf. «Wir werden viel Zeit draussen verbringen, spielen, in den Wald oder in die Badi gehen.» Einige nehmen am Sommerlager der Jubla Neuendorf teil.

Die dritte Woche verbringt das Amitola seit vielen Jahren auf dem Hasliberg: «Wir haben drei Ferienhäuser, kochen gemeinsam und geniessen die Natur. Es sind jeweils sehr spontane, unkomplizierte Ferien

Das Highlight im nächsten Jahr steht bereits: 2021 schlägt Amitola abermals sein Zirkuszelt hinter dem Wohnhaus auf und lädt die Neuendörfer Bevölkerung zu einer Show an zwei Wochenenden ein.

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