Die Schweiz muss eine im Ausland vollzogene Streichung des Geschlechtseintrags einer Person anerkennen. Dies hat das Aargauer Obergericht in einem Beschwerdefall entschieden. Die Streichung verstösst gemäss Gericht nicht gegen die Schweizer Rechtsordnung.
Obergericht Aargau
Aargauer Obergericht in Aarau. (Archivbild) - Keystone
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Die Schweiz muss eine im Ausland vollzogene Streichung des Geschlechtseintrags einer Person anerkennen. Dies hat das Aargauer Obergericht in einem Beschwerdefall entschieden. Die Streichung verstösst gemäss Gericht nicht gegen die Schweizer Rechtsordnung.

Die schweizerischen Person mit Heimatort im Kanton Aargau hatte im April 2019 vor dem Standesamt Mitte von Berlin die Streichung der Geschlechtsangabe im deutschen Personeneintrag erklärt. Gleichzeitig wurde der Vorname geändert.

Keine expliziten Vorgaben

Über die Schweizer Botschaft in Berlin wurde die Erklärung an das Aargauer Departement Volkswirtschaft und Inneres (DVI) weitergeleitet. Das DVI informierte die Person, dem Antrag um Streichung der Geschlechtsangaben im schweizerischen Personenstandsregister könne nicht entsprochen werden. Die Änderung des Vornamens wurde jedoch anerkannt.

Gegen die entsprechende Verfügung reichte die Person beim Obergericht des Kantons Aargau eine Beschwerde ein. Das Obergericht gab in diesem konkreten Fall der beschwerdeführenden Person nun recht. Dies geht aus der Urteilsbegründung hervor, die am Montag von der Organisation Transgender Network Switzerland (TGNS) veröffentlicht wurde.

Das Obergericht hält in den Erwägungen fest, dass im schweizerischen Personenstandsregister weder die Eintragung eines dritten Geschlechts noch der Verzicht auf eine Geschlechtsangaben explizit vorgesehen seien.

Dies könne jedoch nicht darüber hinwegtäuschen, dass die Binarität des amtlichen Geschlechts zunehmend in Frage gestellt werde. Darauf deute auch der Umstand hin, dass in der Verwaltung offenbar bereits daran gearbeitet werde, die Abbildung nicht-binärerer Geschlechtseinträge ausländischer Register in schweizerischen Registern zu ermöglichen.

Ein «historischer Entscheid»

Der Verzicht auf die Angabe des Geschlechts im Personenstandsregister sei mit den hiesigen rechtlichen und ethischen Werturteilen nicht schlechthin unvereinbar und führe nicht zu einer unerträglichen Verletzung des einheimischen Rechtsgefühls, führt das Obergericht weiter aus. Konkret stelle die Eintragung keine offensichtliche Verletzung des Ordre public (vorherrschende Rechtsordnung) dar.

Der Entscheid betrifft einzig die Anerkennung eines im Ausland gestrichenen Geschlechtseintrages. Zur Möglichkeit, den Geschlechtseintrag ohne Entscheid aus dem Ausland streichen zu lassen, äussert sich das Obergericht nicht. Der Entscheid des Obergerichts vom 29. März ist noch nicht rechtskräftig und kann beim Bundesgericht angefochten werden.

Von einem «historischen Entscheid» spricht die Organisation Transgender Network Switzerland, welche die beschwerdeführende Person juristisch beriet. Erstmals habe ein Schweizer Gericht die Existenz nicht-binärer Menschen anerkannt.

Der Beschwerdeentscheid zeige auf, dass das binäre Geschlechtermodell ausgedient habe. Die Schweizer Register müssten an die gesellschaftliche Realität angepasst werden. Vom Bund werde erwartet, dass er die notwendigen Schritte an die Hand nehme.

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