Die Reuss entzweit die enge Urner Talebene. Zwar gibt es Brücken, doch am Flussufer auf der Grenze zwischen Silenen und Erstfeld führt ein anderer Weg über das Wasser: Eine über hundertjährige Drahtseilbahn, angetrieben von Hand.
Alois Frei kurbelt sich in Erstfeld voran mit der letzten Drahtseilbahn, die über die Reuss führt.
Alois Frei kurbelt sich in Erstfeld voran mit der letzten Drahtseilbahn, die über die Reuss führt. - sda - KEYSTONE/URS FLUEELER
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Das Wichtigste in Kürze

  • Schwimmen könne er ein wenig, versichert Alois Frei.

Aber ins kalte Reusswasser fallen möchte er doch lieber nicht, sagt der 82-Jährige und steigt in die Holzkiste, die hier vor seiner Haustür unter einem Verschlag an einem Seil hängt. Dann dreht er an einer Kurbel und die Kiste schwebt fast lautlos auf den grünen Fluss hinaus.

Die einzige Drahtseilbahn über die Reuss überwindet kaum Steigung. Doch mit der vor über hundert Jahren erbauten Verbindung hatte sich Freis Urgrossvater eine Abkürzung geschaffen. Er bewirtschaftete nämlich auf der anderen Flussseite einen Hof.

Statt auf der Gotthardstrasse knapp zwei Kilometer nach Erstfeld und auf der anderen Seite wieder zurückzufahren, gelangte er so in weniger als einer Minute über den Fluss. Die Bewilligung für den Bau hatte er bereits 1881 erhalten.

Wieso Hof und Haus vom Fluss getrennt waren, weiss sein Nachkomme Alois Frei heute nicht mehr genau. Vielleicht sei es wegen dessen Frau gewesen, die aus dem Haus am nördlichen Ufer stammte.

Auch als sein Vater noch Bauer war, sei dieser mehrmals täglich mit der Seilbahn über die Reuss gependelt. Er selber habe die Kurbel schon als Schulbub bedient, erinnert sich Frei.

Heute benutze er das Gefährt noch zwei- bis dreimal pro Woche. Zwar ist das Land verpachtet, doch die Apfel-, Birnen- und Kirschbäume pflegt Frei noch immer.

Mittlerweile trennt nicht mehr nur die Reuss das Tal bei Erstfeld. Zum Wasserrauschen gesellt sich der Autolärm von der Autobahn, die seit ihrem Bau ab den 1970er Jahren den Verkehr vom und zum Gotthard bringt. Nachdem er den Fluss überwunden hat, gelangt Alois Frei durch eine Unterführung der A2 zu seinen Obstbäumen.

Früher seien sie zu dritt oder zu viert mit der Bahn gefahren, sagt Frei, der ab der Mitte des Flusses mit Kurbeln anfangen muss. Denn die erste Hälfte der Strecke legt die Bahn wegen dem leicht durchhängenden Seil und dem Gewicht des Passagiers noch ohne Hilfe von Muskelkraft zurück.

Dann dreht Frei an der Handkurbel und bringt die Kiste scheinbar mühelos bis ans andere Ufer. Die Bahn hängt rund fünf Meter über der Wasseroberfläche. Wenn das Sommerhochwasser komme, dann traue sich nicht mehr jeder, auf die Bahn steigen.

Ein zulässiges Lastgewicht gibt es nicht. «Die Bahn ist privat, da fährt man auf eigene Verantwortung.» Er habe auch keine Konzession, sicher sei seine Bahn aber alleweil.

Einmal musste das offen gewobene 30er-Herkules-Seil aus Sicherheitsgründen ersetzt werden, den Holzboden habe er auch schon ausgebessert. Die Mechanik ist die selbe geblieben. «Es gab früher schon gescheite Leute», sagt Frei auf die Konstruktion angesprochen. Einmal jährlich schmiert er das Seil mit einem speziellen Mittel.

Rund hundert Meter von der Drahtseilbahnstation entfernt wurde für den Neat-Bau eine Zubringerbrücke installiert, über die heute Fussgänger die Reuss überqueren können. Dennoch fährt Frei lieber mit seiner Bahn. Sie sei halt auch ein Stück Nostalgie.

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