Immer mehr Unternehmen verabschieden sich von prächtigen Altbauten und ziehen in Vororte. Sogar vor Müllhalden wird nicht Halt gemacht.
Autoreifen
Der meiste Reifenabrieb landet als Mikrogummi am Strassenrand. - Pixabay
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Das Wichtigste in Kürze

  • Der Trend für Grossunternehmen ist der Wegzug von der Stadt.
  • In Mexiko-Stadt wurde ein Bankenviertel auf einer Müllkippe ausserhalb der Stadt gebaut.

Hauptversammlung bei Europas zweitgrösstem Autobauer PSA: Aktionäre kommen in einem schmucklosen Bürohaus in Rueil-Malmaison vor den Toren der französischen Hauptstadt zusammen. Der von Carlos Tavares geführte Hersteller mit Marken wie Peugeot, Citroën oder Opel verliess 2017 den traditionellen Sitz an der Pariser Avenue de la Grandé Armée. Kosten sparen und offene Arbeitsflächen schaffen, lautete das Motto. Das neue, gemietete Hauptquartier unweit einer Autobahn heisst schlicht «Centre de pilotage» – was sich in etwa mit «Steuerungszentrum» übersetzen lässt. 600 Mitarbeiter arbeiten dort, wie ein Sprecher berichtet. Ein historisches Gebäude im Zentrum der Hauptstadt oder ein Turm im futuristischen Geschäftsviertel La Défense? Für so manchen Konzern der Grande Nation sind das nicht die einzigen Möglichkeiten.

Bahnhersteller Alstom, der mit der Verkehrssparte von Siemens zusammengehen will, wird von der industriell geprägten Vorstadt Saint-Ouen aus gesteuert – im Norden der französischen Hauptstadt gab es früher einmal eine Fabrik des Konzerns. «Hohe Immobilienpreise und begrenzte räumliche Kapazitäten zwingen Unternehmen immer häufiger, sich nach kostengünstigen Alternativen umzusehen», erklärt Jörn Bousselmi, Hauptgeschäftsführer der Deutsch-Französischen Industrie- und Handelskammer in Paris, was oft hinter Umzügen in weniger repräsentative Räumlichkeiten steckt.

Verbindung via Autobahn

Auch in der südamerikanischen Metropole Buenos Aires wandern immer mehr Unternehmen ab. Es sind vor allem grosse Banken und ausländische Internetkonzerne wie Google oder Oracle, die der City noch die Treue halten. Bei anderen Unternehmen ist die Nordzone von Buenos Aires beliebt. Per Autobahn ist sie mit dem Stadtzentrum verbunden.

Es ist dort nicht unbedingt schick. Doch in unmittelbarer Nähe liegen Wohnviertel, in denen viele Angestellte und Manager leben. Der Autozulieferer Bosch oder der Ölkonzern Total haben nördlich der argentinischen Hauptstadt ihre Büros. Unlängst kam der US-Getränkehersteller Coca-Cola dazu – mit einem modernen, 15 Stockwerke hohen Vorzeigegebäude.

Und in Mexiko-Stadt, an der Prachtstrasse Paseo de la Reforma, reiht sich ein Banken-Wolkenkratzer an den nächsten. Doch die derzeit angesagteste Geschäftsgegend, das Viertel Santa Fe, befindet sich etwa 14 Kilometer vom Zentrum entfernt – auf einer ehemaligen Müllkippe. Es beheimatet neben Unternehmenssitzen und mehreren Universitätsgebäuden die grösste Shopping-Mall des lateinamerikanischen Landes.

Zurück zu den Wurzeln

Bis in die 1970er Jahre hinein diente das Areal als Müllhalde, bevor es durch einen Entwicklungsplan zunächst zu einer Wohn- und später zur Geschäftsgegend wurde. Bis 2020 soll das Viertel an den öffentlichen Nahverkehr angebunden werden – momentan dauert die Autofahrt vom Stadtzentrum nach Santa Fe noch gut eineinhalb Stunden.

In Deutschland verliess der Stahlkonzern ThyssenKrupp schon 2010 Düsseldorf und kehrte ins «bodenständige» Ruhrgebiet zurück, auf das historische Krupp-Gelände am Rande der Essener Innenstadt. «Back to the roots» – Zurück zu den Wurzeln – lautete die Devise. Der neue Standort war aber alles andere als eine Billiglösung. Schon der erste Bauabschnitt kostete rund 300 Millionen Euro.

Die Deutsche Börse AG kehrte schon vor Jahren Frankfurt den Rücken und bezog im etwa fünf Kilometer entfernten Eschborn ein Gebäude mit Glasfassade. Das Unternehmen spart so nach damaligen Angaben jährlich etwa 70 Millionen Franken Gewerbesteuer ein.

Betont repräsentativ

Und der Zahlungsabwickler und Dax-Neuling Wirecard sitzt ziemlich unscheinbar im Münchner Vorort Aschheim. Doch das ist noch lange nicht die Regel in der bayerischen Landeshauptstadt, in der viele Unternehmen noch betont repräsentativ residieren: Der Versicherer Allianz hat seine Zentrale am Englischen Garten, die Münchener Rückversicherung sitzt in einem prachtvollen Palais – und der Siemens-Sitz ist in der Altstadt nahe der Feldherrnhalle zu finden.

Und wie sieht es in den USA aus? Zumindest in New York sind repräsentative Firmensitze in teuren Gegenden weiterhin die Regel. Die grösste US-Bank JPMorgan Chase gab erst im Februar Pläne für den Bau eines noch grösseren Hauptquartiers an der berühmten Park Avenue bekannt. Rivale Goldman Sachs hat zwar einige Geschäfte in einen kleineren Büroturm in New Jersey (USA) ausgelagert, leistet sich jedoch auch eine schicke Zentrale am Battery Park, mit Blick auf die Freiheitsstatue.

Die Deutsche Bank will zwar ihr New Yorker Hauptquartier an der Wall Street verlassen. Die neue Adresse am Rande des Central Parks kann sich aber ebenfalls sehen lassen. Bei dem Industrieriesen General Electric kann von Stadtflucht ebenfalls nicht die Rede sein: Er verlegte seinen Hauptsitz erst kürzlich vom öden Fairfield im US-Bundesstaat Connecticut ins belebte Boston. Die Tech-Giganten an der Westküste setzen hingegen traditionell auf das Silicon Valley südlich von San Francisco, ein Standort zwar ausserhalb der berühmten Metropole, der allerdings längst selbst zum Zentrum der IT- und Technologiebranche geworden ist.

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