Eine brisante Frage in christlichen Kreisen: Ist Homosexualität für Gott okay? Unser Halleluja-Kolumnist forscht bei einer reformierten Pfarrerin nach.
Sam Urech
Sam Urech besucht die Freikirche FEG Wetzikon. - Fotograf: Sebastian Heeb
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Das Wichtigste in Kürze

  • Sam Urech aus dem Zürcher Oberland ist Halleluja-Kolumnist auf Nau.ch.
  • Den Autor erreichen Sie per E-Mail unter sam@hisam.ch.
  • Diesmal spricht er in seinem «Wort zum Freitag» mit einer Pfarrerin.

Normalerweise präsentiere ich Ihnen freitags gerne meine Meinung. Heute möchte ich jedoch einer sehr inspirierenden Person Fragen stellen. Ihr Name ist Priscilla Schwendimann, sie ist 28-Jährig und seit eineinhalb Jahren reformierte Pfarrerin in Zürich, aktuell im St. Peter.

Priscilla hat Ende Januar Schlagzeilen gemacht, als sie eine Beerdigung halten sollte, von der sie wusste, dass kein Besucher kommen wird. Niemand will Abschied nehmen? Diesen Gedanken ertrug die Zürcherin nicht und rief daher in den sozialen Medien dazu auf, der Trauerfeier beizuwohnen – etwa 20 Personen folgten ihrem Ruf.

Priscilla Schwendimann
Priscilla Schwendimann ist reformierte Pfarrerin im St. Peter. - zVg

Priscilla Schwendimann lebt seit bald neun Jahren in einer lesbischen Beziehung. Eine lesbische Pfarrerin? Geht das? Darf die das? Falls Sie meine Meinung zum Thema «Christsein und Homosexualität» wissen möchten, können Sie gerne hier klicken und lesen, was ich meinem schwulen Bruder wünsche.

Sam Urech: Und jetzt zu Dir, Priscilla: Ist es für Gott Okay, dass Du homosexuell bist?

Priscilla Schwendimann: Natürlich, sonst hätte Gott mich nicht so gemacht. Gott hat mich erschaffen, wie ich bin, als einzigartigen Mensch, den Gott über alles liebt.

Sam Urech: Gott hat Dich so erschaffen? Warum gibt es in der Bibel Stellen, die Homosexualität als Gräuel bezeichnen?

Priscilla Schwendimann: Es ist eine Frage der Bibelauslegung. Ich persönlich glaube, dass diese Stellen nichts mit meinem Verständnis von gleichgeschlechtlicher Liebe zu tun haben. Ein Beispiel: Im römischen Reich hatten viele wohlhabende Männer einen «Lustknaben». Also Männer, die sich an Buben vergriffen. Eine schreckliche Tat! Weiter geht es zum Beispiel bei der Geschichte von Lot und seinen Töchtern um eine Macht-Demonstration und um Missbrauch. Ist das zu vergleichen mit der Beziehung, die meine Frau und ich pflegen? Nein. Die Bibel nennt nicht explizit homophile Beziehungen und doch gibt es Texte, die als solche verstanden werden können. Nehmen wir Ruth und Naomi: Wie oft wird das Versprechen von Naomi an Ruth an Hochzeiten zitiert? Sehr oft. Diese werden nie als negativ bewertet.

Priscilla Schwendimann
Priscilla Schwendimann an der «Pride 2019» in Zürich. - zVg

Sam Urech: Was antwortest Du Menschen, die Dir vorwerfen, Du würdest die Bibel so interpretieren, wie es Dir gerade passt?

Priscilla Schwendimann: Interpretiert nicht jeder Mensch die Bibel wie er oder sie will? Ich bin mit einer wortwörtlichen Auslegung der Bibel aufgewachsen und musste trotzdem feststellen, dass jeder Mensch eine gefärbte Brille trägt. Das evangelikale Christentum, wie wir es heute kennen, ist nicht das Urchristentum sondern etwas älter als 200 Jahre. Das Verständnis von der Bibel hat sich im Laufe der Geschichte kontinuierlich verändert. Ich lese die Bibel im Blickwinkel des wichtigsten Gebots: Du sollst deinen Gott lieben (...) und deinen Nächsten wie dich selbst. Dazu gehört für mich, dass ich den Menschen sehe, wie Gott ihn erschaffen hat. Und nicht auf Fehlersuche gehe.

Sam Urech: Viele Christen diskutieren darüber, ob Homosexualität ein «Fehler» sei. Jesus hätte doch einfach mal erwähnen können, dass Gott damit kein Problem habe – warum tat er das nie?

Priscilla Schwendimann: Gegenfrage: Hätte es was gebracht? Jesus hat sich zum Beispiel so oft zum Thema Geld geäussert – doch kommt bei ethischen Fragen in der Kirche selten Geld zur Sprache. «Sie ist geizig? Geld bedeutet ihr alles? Kein Problem. Oh, sie ist lesbisch? Das geht gar nicht!» Und das, obwohl Jesus immer wieder knallhart formulierte, wie er über Geldsucht denkt. Ich glaube, das Thema Homosexualität war für Jesus einfach kein Thema, sich darüber zu äussern war unnötig – er hat jeden Menschen so angenommen, wie er ist.

Sam Urech: Das kriegen nicht alle Menschen so gut hin wie Jesus. Du sagst, dass Dein Coming Out schrecklich war. Was war so schrecklich?

Priscilla Schwendimann: Sehr vieles, sicher einmal das komplette Fallengelassen werden und die eigene Zerrissenheit. Es ist alleine Gottes Wirken und ein Wunder, dass ich mir nicht das Leben nahm. Wer Interesse an meiner Geschichte hat, kann gerne mein Video gucken.

Priscilla Schwendimanns Geschichte (Ausschnitt von 4 Minuten, den Rest gibts auf Youtube). - zVg

Sam Urech: Dein Coming Out hat viel gekostet. Warum ermutigst Du andere homosexuelle Christen trotzdem zum Outing?

Priscilla Schwendimann: Weil man die eigene Identität auf keinen Fall unterdrücken sollte. Denn am Ende ist es ein Teil meiner Identität. Irgendwann kommt doch alles hoch. Ich begleite Menschen seelsorgerlich, die ihre Homosexualität dreissig Jahre lang unterdrückt und in der Zwischenzeit Familie und Kinder haben. Da bricht viel auseinander. Darum würde ich jedem raten, sich so jung wie möglich zu outen. Zunächst sollte man sich aber selbst akzeptieren. Ich brauchte dafür leider sieben Jahre und hätte mir in dieser Zeit sehnlichst eine Pfarrperson gewünscht, die mir dabei geholfen hätte.

Sam Urech: Ist das ein Hauptgrund, warum Du Pfarrerin bist?

Priscilla Schwendimann: Ja. Ich will Mut machen und Aufklärungsarbeit leisten. Ich werde Menschen diesbezüglich niemals meine Bibelinterpretationen um die Ohren hauen, sondern ihnen einfach zuhören und zusprechen: Gott liebt auch dich ohne wenn und aber.

Sam Urech: Was rätst Du homosexuellen Christen, die sich outen möchten?

Priscilla Schwendimann: Ich rate jedem, sich vor dem Outing ein möglichst geschütztes Umfeld zu suchen. Hoffentlich ist es die eigene Familie, hoffentlich sind es Freunde. Ganz sicher ist es das Netzwerk «Zwischenraum», das sich um Christen kümmert, die nicht hetero sind.

Sam Urech: Obwohl Dich so viele Christen rund um Dein Coming Out verletzt haben, glaubst Du noch immer an den Gott der Bibel. Warum?

Priscilla Schwendimann: Gott hat mich festgehalten und ist an meiner Seite geblieben. Wenn ich nicht mehr konnte, hat mir Gott gezeigt, wie sehr er mich liebt. Zum Beispiel damit, dass mich Menschen ermutigten. Vor allem aber mit diesem tiefen Frieden in mir, der jeden Zweifel, jede Angst und jeden Schmerz bekämpft.

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