Martin Jucker: Ein Lob auf die Erntehelfenden aus dem Ausland!
«Erntehelfende nehmen keinen Schweizern den Arbeitsplatz weg.» Das Gegenteil sei der Fall, schreibt Martin Jucker in seiner Kolumne.

Das Wichtigste in Kürze
- Martin Jucker betreibt die bekannte «Jucker Farm» in Seegräben ZH.
- Auf Nau.ch schreibt Jucker regelmässig Kolumnen.
- Heute schreibt Jucker über die Erntehelfer und ein System der Widersprüche.
Die Menschen auf den Feldern verrichten eine anstrengende und wichtige Arbeit. Ohne sie gäbe es nichts auf dem Teller.
Ein Lob auf die fleissigen Erntehelfenden aus dem Ausland, die uns zu zahlbaren Nahrungsmitteln aus Schweizer Boden verhelfen.
Doch sobald wir von billigen Arbeitskräften reden, steht auch der Vorwurf der Ausnutzung im Raum. Ist das gerechtfertigt?
Vermeintlicher Widerspruch
Wer profitiert denn nun genau? Es ist richtig, dass Erntehelfende viel arbeiten, zu einem Lohn, den in der Schweiz kaum jemand akzeptieren würde.
Trotzdem verdienen die Leute auf dem Feld gut. Wie geht dieser vermeintliche Widerspruch auf?

Erntehelfende sind, wie es der Name schon sagt, nur zur Ernte hier. Meist sind das zwischen zwei und sechs Monate im Jahr. In dieser Zeit arbeiten sie viel. Sehr viel.
Denn: Sie wollen in den wenigen Monaten möglichst viel Geld verdienen.
Teile vom tiefen Lohn wird zur Seite gelegt
Während der Zeit in der Schweiz leben die Erntehelfenden sparsam und bekommen eine günstige Wohnung zur Verfügung gestellt. Oft bilden sie Wohngemeinschaften, dann wird es noch günstiger.
So sind die Leute, die meist aus Rumänien, Polen oder Ungarn kommen, nur minimal den Schweizer Lebenshaltungskosten ausgesetzt – und können auch bei dem verhältnismässig tiefen Lohn noch viel zur Seite legen.
Wegen der tieferen Kaufkraft im Heimatland ist dieses Geld dann viel mehr wert als hier in der Schweiz. So gibt es nicht wenige Erntehelfende im Team der «Jucker Farm», die mit ihrem Lohn ein Haus bauen konnten.
Aus Schweizer Perspektive ist der Lohn also sehr tief. Aus Perspektive der Erntehelfenden gibt es hier Arbeitsplätze, die ohne Ausbildung angetreten werden können – und einen sehr guten Lohn abwerfen.
Wer bereichert sich? Niemand!
Aber wer bereichert sich denn jetzt an diesen Löhnen? Sind es die Bauern? Gar die Detailhändler oder sogar der Staat? Die Realität ist einfach. Niemand.
Diese Löhne sind die Grundlage für das Preisniveau von arbeitsintensiven Produkten aus der Schweiz. Vor allem im Bereich Gemüse, Früchte und Beeren gibt es viele Kulturen, bei denen die Arbeitskosten der Ernte 50 Prozent oder mehr der gesamten Produktkosten ausmachen.
Damit gibt es nichts, was die Produktpreise mehr beeinflusst als die Löhne der Erntehelfenden.
Beim Spargel gibt es eine Faustregel, an der Sie sich orientieren können: Der reguläre Preis für ein Kilo Spargel im Laden widerspiegelt ungefähr den Stundenlohn der Arbeitskräfte auf dem Feld.
Spargeln verraten den Stundenlohn
Gibt’s den deutschen Spargel für 15 Franken oder den peruanischen für 8 Franken, erhalten die Erntehelferinnen und -helfer auch 15 respektive 8 Franken für ihre Arbeit.

Der Importspargel ist günstiger, weil jedes Land, das Agrargüter exportiert, Arbeitskräfte aus einer Kaufkraft-schwächeren Gegend anstellt.
Die Erntehelfenden ermöglichen uns also, nach Schweizer Standards zahlbare frische und gesunde Lebensmittel zu produzieren.
Dank Erntehelfenden können Betriebe wachsen
Sie nehmen hier auch niemandem die Arbeit weg, Das Gegenteil ist der Fall: Sie ermöglichen es hiesigen Betrieben zu wachsen und neue Stellen zu schaffen. Auf zehn Erntehelfende kommt bei uns eine festangestellte Kaderposition auf dem Hof dazu.
Wie auch immer wir politisch gesinnt sind, müssen wir diesen Menschen dankbar sein. Dankbar dafür, dass sie zu uns kommen und sie auch dementsprechend wertschätzen.
Politisch intelligente Rahmenbedingungen sind wichtig
Wir brauchen aber vor allem politisch intelligente Rahmenbedingungen. Jeder Landwirtschaftsbetrieb in der Schweiz darf Erntehelfende einstellen.
Er darf aber keinen Wohnraum für sie auf dem Hof bereitstellen.
Wir Bauern und Landwirtinnen mieten also günstigen Wohnraum in der Umgebung der Höfe. Das ganze Jahr wird so günstiger Wohnraum gemietet, der sonst den schwächsten der Gesellschaft zur Verfügung stehen würde.

Oft sind die Wohnungen dann nur wenige Monate im Jahr wirklich bewohnt. Das hört sich doch dumm an. Und es ist auch dumm.
Lösen könnte man das mit einer Anpassung in der Raumplanung und dem bäuerlichen Bodenrecht.
Da sich aber die Politik nicht auf Lösungen einigen kann, wird es so bleiben, dass Landwirtschaftsbetriebe dank Erntehelfenden aus dem Ausland günstige Frischprodukte produzieren können. Und dafür aber den Konsumenten und Konsumentinnen den günstigen Wohnraum wegnehmen müssen.
Zur Person: Martin Jucker ist gelernter Obstbauer und hat sich mit der «Jucker Farm» in Seegräben ZH über die Landesgrenzen hinweg einen Namen gemacht. Er steht für innovative, nachhaltige und unabhängige Landwirtschaft. 2014 wurde er zusammen mit seinem Bruder Beat, als bisher einziger Bauer, zum Schweizer Unternehmer des Jahres gewählt.