Weil Babyboomer bald Langzeitpflege brauchen, könnten die Gesundheitskosten stark ansteigen. Ein Gastbeitrag zum Finanzierungsproblem der Langzeitpflege.
Grichting
Thomas J. Grichting, Generalsekretär der Groupe Mutuel. - zVg

Das Wichtigste in Kürze

  • Die Finanzierung der Langzeitpflege wurde lange ignoriert, schreibt Thomas J. Grichting.
  • Der Generalsekretär der Groupe Mutuel fordert einen Kompromiss.
  • Ein Gastbeitrag zur Gesundheitspolitik.
Ad

2024 steht vor der Tür und mit ihr die erneut höheren Krankenkassenprämien, die die Haushalte in der Schweiz bereits stark belasten. Während die Politik sich noch mit halbfertigen Initiativen zu überbieten versucht, wie der Anstieg gebremst werden könnte, rollt jedoch bereits das nächste Finanzierungsproblem an: die Langzeitpflege.

Die geburtenstarken Jahrgänge der Babyboomer sind langsam im Rentenalter, die ersten gehen bereits auf die 80 zu und stehen vor dem Eintritt ins vierte Lebensalter. Für das Gesundheitssystem bedeutet dies vor allem eins: ein zunehmender Bedarf an Langzeitpflege. Neben der Frage, wer all diese Menschen pflegen soll, bereitet auch die Finanzierung der Langzeitpflege grosse Sorgen.

Babyboomer werden Pflegekosten verdoppeln

Alt-Nationalrat Heinz Brand nannte die Pflegekosten die «grösste finanzielle Zeitbombe im Gesundheitssystem», während deutsche Medien bereits von der «Pflege-Katastrophe» sprechen. Doch in der Schweiz wird diese Thematik bis anhin sowohl von der Bevölkerung als auch von der Bundespolitik sehr stiefmütterlich behandelt.

Die Demografie spricht allerdings eine klare Sprache. Gemäss Schätzungen des Bundesamts für Statistik verdoppelt sich die Anzahl der Seniorinnen und Senioren über 80 Jahre von 2020 bis ins Jahr 2050. Das Obsan schätzt, dass damit die Pflegeleistungen um mehr als 50% zunehmen werden.

Pfleger mit Seniorin
Die Langzeitpflege ist der grösste Streitpunkt, wenn es um die Finanzierung des Gesundheitswesens geht. - keystone

Trotzdem gerät die Finanzierung der Pflegeleistungen, die heute immer noch auf einem Kompromiss von 2011 basieren, um die Kosten zwischen Prämien- und Steuerzahler aufzuteilen, von allen Seiten unter Druck. Insbesondere die Kantone möchten gerne noch mehr Pflegekosten auf die Krankenversicherung abwälzen, indem die Langzeitpflege in EFAS integriert wird.

Gemäss Schätzungen von Santésuisse müssten die Prämienzahler bereits im Jahr 2035 (bei Einführung von EFAS im nächsten Jahr) knapp fünf Milliarden Franken an Zusatzkosten via Prämien finanzieren. Nur fünf Jahre später wären es bereits zehn Milliarden Franken jährlich. Nicht zu unterschätzen sind zudem politische Bestrebungen, die finanzielle Abgeltung der Angehörigenpflege gesetzlich zu verankern, was zu weiteren Mehrkosten im Bereich Langzeitpflege führen würde.

Neuer Kompromiss gesucht

Dazu kommt die Umsetzung der Pflegeinitiative, die es Pflegenden erlaubt, direkt Leistungen zu Lasten der OKP abzurechnen. Hier ist ebenfalls mit einem klaren Anstieg an Pflegekosten zu rechnen. Der zweite Teil der Umsetzung der Pflegeinitiative soll dazu die Arbeitsbedingungen verbessern und namentlich Lohnerhöhungen für kurzfristige Einsätze schaffen, was eine zusätzliche grosse Belastung für die OKP bedeutet.

krankenkasse
Die Krankenkassenprämien steigen 2024 um 8,7 Prozent. - keystone

Der bevorstehende, drastische Anstieg des Pflegebedarfs betrifft uns alle. In einer Zeit, in der Krankenkassenprämien für Mittelstandsfamilien bereits kaum tragbar sind, darf die Pflegefinanzierung das Haushaltsbudget jedoch nicht weiter belasten. Daher braucht es einerseits kostendämpfende und effizienzsteigernde Massnahmen, wie zum Beispiel eine verstärkte Nutzung von Telemedizin und digitalen Gesundheitsplattformen sowie präventive Massnahmen, um die Autonomie unserer älteren Mitmenschen zu fördern.

Gefällt Ihnen diesen Gastbeitrag?

Andererseits benötigen wir einen neuen sozialpolitischen Finanzierungskompromiss für die Langzeitpflege. Denn die Kapazitäten sind nicht unbegrenzt erweiterbar und die Schmerzgrenze der Finanzierung über die Krankenversicherung ist bald erreicht.

Zum Autor: Thomas J. Grichting ist Anwalt und Mitglied der Generaldirektion sowie Generalsekretär von Groupe Mutuel.

Ad
Ad

Mehr zum Thema:

PflegeinitiativeNationalratSantésuisseFranken