Zahlreiche Medienberichte verbreiteten Unwissen über die Gegebenheiten in Eritrea, schreibt SVP-Alt-Grossrätin Sabina Geissbühler-Strupler im Gastbeitrag.
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Im Gastbeitrag erklärt die Berner Alt-SVP-Grossrätin Sabina Geissbühler-Strupler, dass es in der Eritrea-Frage an Wissen mangle und schlägt konkrete Verbesserungen vor. (Symbolbild) - keystone

Das Wichtigste in Kürze

  • Alt-SVP-Grossrätin Sabina Geissbühler-Strupler reiste als Rucksacktouristin durch Eritrea.
  • Im Gastbeitrag erklärt sie ihre Perspektive auf das missverstandene Land in Ostafrika.
  • Die Bernerin schlägt eine Kehrtwende in der Eritreapolitik vor – mit konkreten Massnahmen.
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Seit den gewalttätigen Auseinandersetzungen zwischen Eritreern in Opfikon (ZH), zuvor auch in Schwarzenburg (BE) und am Ostersonntag in Gerlafingen (SO), werden zu Recht Politiker und Politikerinnen aktiv.

Auch aufgrund der über 40’000 Eritreer und Eritreerinnen in unserem Land und den vielen Asylgesuchen, insbesondere von Jugendlichen und Neugeborenen, der hohen Sozialhilfequote und den Gesundheitskosten steht Eritrea im Fokus der Politik. Problematisch sind vor allem die jungen, unbegleiteten Asylbewerber, die uns ungefähr 4’000 Franken im Monat kosten.

Drei Hauptgründe für Asylbewerber aus Eritrea

Für diese unbefriedigende Situation für die Schweiz, aber auch für Eritreer und Eritreerinnen müssen endlich Lösungen gefunden werden. Als allein reisende Rucksacktouristin kenne ich insbesondere die drei verschiedenen Asylgründe:

1. Ehemals Geflüchtete aus dem 30-jährigen Befreiungskrieg von der Äthiopischen Herrschaft (1961–1991). Sie hatten mit dem heutigen Regierungschef Isayas Afewerki zusammen gekämpft und wurden zum Teil von Äthiopien gefangen genommen, von wo sie in die Schweiz geflohen sind. Sie haben sich hier integriert, und ihre Kinder sind in der Schweiz geboren, gehen zur Schule, machen Berufslehren. Sie feiern jeweils ihre Kultur mit Tänzen, Liedern und spezifischem Essen oder den Tag ihrer Unabhängigkeit am 24. Mai.

Caroni Eritrea Eritreer Ausschaffen
Viele Eritreer waren bereits vor der Machtergreifung des Regimes geflohen. Heute leben sie immer noch in Europa – obwohl «ihre» Seite in der Heimat mittlerweile am Drücker ist. (Symbolbild) - keystone

Sie wären wichtige Brückenbauer, haben Erfahrungen und Kenntnis, sowie gute Beziehungen in der Schweiz, aber auch in Eritrea. Mit ihnen zusammen konnten Berufsbildungsprojekte für Hilfe vor Ort in Landwirtschaft und Handwerk entwickelt werden, damit den Menschen in Eritrea Perspektiven eröffnet werden könnten.

2. Eine zweite Gruppe von Asylsuchenden kamen bei den kriegerischen Auseinandersetzungen zwischen Eritrea und Äthiopien zwischen 1998 und 2000 zu uns. Damals und bis heute brachten und bringen sich Regimegegner wie zum Beispiel Journalisten, Juristen und Politiker in der Schweiz in Sicherheit. Sie sind oft militant, wollen Afewerki stürzen und greifen deshalb bei Zusammenkünften die erste Gruppe der Asylsuchenden an. Auch versuchen sie, die jungen Eritreer und Eritreerinnen auf ihre Seite zu ziehen. Dass Afewerki diese Regimegegner, die ihm gefährlich werden könnten, nicht zurücknehmen will, ist nachvollziehbar.

3. Die heutigen vorwiegend unbegleiteten, minderjährigen Asylsuchenden (UMAs) sind eigentlich Verdingkinder, die mit in den Dörfern gesammelten Schleppergeldern zu uns gebracht wurden. Eine Familienzusammenführung in Eritrea müsste ein Ziel unserer humanitären Schweiz sein. Der Fluchtgrund sei der Nationaldienst, der zeitlich unbegrenzt zu leisten sei, geben die meisten zur Antwort.

Der eritreische «Nationaldienst» erklärt

Die Bedeutung vom «Nationaldienst» erklärten mir die beiden jungen Frauen Rahma und Afkarit in Asmara. An einem Sonntagnachmittag liessen sie mich neben sich auf die Treppe vor der römisch-katholischen Kathedrale aus der italienischen Kolonialzeit sitzen. Sie müssten am Abend wieder nach Sawa in den halbjährigen Militärdienst einrücken, Frauen und Männer seien in zwei weit auseinanderliegenden Camps untergebracht.

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Der «Giro Asmara» – ein Velorennen in der eritreischen Hauptstadt, das auf die italienische Kolonialzeit zurückgeht. - zVg

Bald würden sie am selben Ort mit der ebenfalls halbjährigen schulischen Weiterbildung starten. Danach hätten alle eine Prüfung zu absolvieren und würden dann je nach Resultat und Eignung eingeteilt: Ungefähr 20 Prozent für ein Studium, ungefähr 50 Prozent in Büros, in handwerkliche oder Dienstleistungs-Jobs. Die 30 Prozent mit den schlechtesten Prüfungsergebnissen würden Zivil- und Militärdienstaufgaben zu erfüllen haben. Dazu gehöre der Bau von Kanalisationen, Staudämmen, Anpflanzungen in Terrassen, Aufforstungen oder die Sicherung der Grenzen, insbesondere zum riesigen, aggressiven Nachbarland Äthiopien mit seinen rund 100 Millionen Einwohnern.

Grosse Landflucht in Äthiopien

Auch erklärten sie mir, dass alle in der Stadt Asmara arbeiten möchten. Denn zum Beispiel in der Hafenstadt Massawa sei es oft sehr heiss und in den Dörfern auf dem Land nicht viel los. Doch in Eritrea seien fast alle Staatsangestellte, würden an die leeren Arbeitsplätze verteilt und erhielten ungefähr gleich viel Lohn. Darum würden sie alle Jobs als Nationaldienst betrachten.

Erstaunt war ich über die Märkte überall mit vielen Lebensmitteln, über die Stauseen und Bewässerungsanlagen, Schulen und Spitäler. Arbeitslosen, Verwahrlosten oder Drogensüchtigen bin ich hingegen nirgends begegnet.

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Ein voller Marktstand in Eritrea – Arbeitslose, Verwahrloste oder Drogensüchtige finde man in dem Land keine, erklärt Geissbühler-Strupler. - zVg

Die Einschränkung der Niederlassungsfreiheit führt zu dieser – von aussen gesehen – zufriedenstellenden Situation. Denn in Äthiopien findet wegen der Niederlassungsfreiheit eine grosse Landflucht statt, mit Hunderttausenden von arbeitslosen Menschen, die in Slums mit katastrophalen Hygieneverhältnissen dahinvegetieren.

Für Afrika sei Eritrea ein Vorzeigeland, wo die verschiedenen Religionen (etwa 50 Prozent Muslime und 50 Prozent Christen) und Ethnien friedlich zusammenleben, aber Oppositionelle nicht geduldet würden. Auffällig sind in den Nachbarländern die Bürgerkriege, die grosses Elend verursachen. Sogar der mit dem Friedensnobelpreis ausgezeichnete Ministerpräsident von Äthiopien, Abiy Ahmed, sah sich 2020 gezwungen seine Soldaten gegen die Armee der TPLF (Tigray Volksbefreiungs-Front) in den Kampf zu schicken, jetzt auch gegen die Amhara-Volksgruppe. Auch im Nachbarland Sudan sind blutige Bürgerkriege im Gang.

Der UNO-Sicherheitsrat und der Schweizer Bundesrat sind gefordert

Die Gespräche auf zwei westlichen Botschaften rundeten meine Eritrea-Reise ab: Der Sicherheitsrat müsste Äthiopien zwingen oder wenn nötig sanktionieren, damit dieses Land das Friedensabkommen von Algier vom Jahr 2000 und die Grenzziehung akzeptiert.

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Der Seehafen von Assab in Eritrea. - zVg

Eritrea ist seit 1993 Vollmitglied der UNO und sollte deshalb auf ihre Unterstützung gegen die kriegerischen Attacken von Seiten Äthiopiens und auf Aufbauhilfe zählen dürfen. Es sollte möglich sein, dass Äthiopien den Hafen von Assab in Eritrea benützen könnte und dafür das Friedensabkommen mit Eritrea von 2018 endlich eingehalten würde.

Die Schweiz rühmt sich «Friedensvermittlerin» zu sein, hat sich aber bis anhin überhaupt nicht engagiert und mit abschätzigen Äusserungen den eritreischen Regierungschef verurteilt und beleidigt, was eine schlechte Voraussetzung ist, um ein Rückübernahmeabkommen abschliessen zu können.

Hilfe für Eritrea vor Ort

1. Eritrea braucht vor allem Sicherheit und Schutz durch die Vereinten Nationen, beispielsweise mit Blauhelmen.

2. Eritrea braucht Geld vor Ort. Für den Betrieb einer Internatsschule mit 80 Kindern werden 60`000 Franken pro Jahr benötigt, also ungefähr so viel wie ein unbegleiteter, minderjähriger Asylsuchender in der Schweiz jährlich kostet.

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Für den Betrieb einer Internatsschule mit 80 Kindern werden 60`000 Franken jährlich benötigt, circa so viel wie ein unbegleiteter, minderjähriger Asylsuchender hierzulande jährlich kostet. - zVg

3. Die Kosten für Hilfe zur Selbsthilfe sollen im Rahmen derjenigen sein, die heute in der Schweiz für die rund 40’000 Eritreer und Eritreerinnen ausgegeben werden. Pro UMA sind dies im Kanton Bern ungefähr 4’000 Franken pro Monat, für ältere Personen rund 2’000 Franken pro Monat. Überschlagsmässig kostet das 70 Millionen Franken pro Monat und 840 Millionen Franken pro Jahr.

4. Eritrea braucht unsere Hilfe beispielsweise für ein duales Berufsbildungssystem, Solar- und Bewässerungsanlagen, es braucht die jungen Menschen, um das Land vorwärtszubringen!

Sofortmassnahmen und «Win-Win-Strategie»

1. Es wird vom eritreischen Regime erwartet, dass ein Bundesrat, zur Zeit Herr Bundesrat Jans, für Gespräche nach Asmara reist.

2. Ständige Schweizervertretung vor Ort (Vermittlertätigkeit durch Schweiz).

3. Durchsetzung des Friedensabkommens und der Grenzziehung (Vermittlertätigkeit durch die Schweiz und die Vereinten Nationen).

4. Ausblenden der wirtschaftlichen Interessen durch die USA und die westlichen Industrieländer gegenüber Äthiopien.

5. Job-Coaching, Projektleiter oder Koordinator in der Schweiz und vor Ort durch verschiedene Bekannte von uns. Mit dem Ziel, dass die meist jungen Eritreer und Eritreerinnen einen Lehrvertrag (vorerst mit bescheidenem Entgelt) unterschreiben, welcher auch eine Rückkehr nach Eritrea beinhaltet.

6. Parallel zu 5. Aufbau verschiedener Landwirtschafts- und Handwerksbetriebe in Eritrea, in welchen die jungen Eritreer bei sofortiger Rückkehr Arbeit finden können.

7. Empfohlene Schwerpunkte: Landwirtschaftliche Ausbildung, Bienenzucht, Hühnerfarmen, Käsereien renovieren oder neue aufbauen (mit Kühlmöglichkeiten mit Hilfe von Solarenergie), Schreinereien, Bauarbeiter, beispielsweise Maurer, Schneider, Weber.

8. Rückübernahmeabkommen vorantreiben, was aber Gespräche zwischen dem eritreischen Regierungschef Afewerki und dem Bundesrat voraussetzt. Insbesondere sollten die jungen «Verdingkinder» von einer Familienzusammenführung und von Lern- und Arbeitsperspektiven profitieren können – wobei eine Begleitung vor Ort nötig ist.

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Sabina Geissbühler-Strupler ist alleine als Rucksacktouristin durch Eritrea gereist und kennt das Land und seine politische Topografie. - zVg

Zur Person: Sabina Geissbühler-Strupler sass insgesamt 14 Jahre lang für die SVP im Berner Kantonsparlament. Überdies ist die mehrfache Mutter und Grossmutter ehemalige Nationalratskandidatin und ausgebildete Primarschullehrerin.

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