Die EU diskutiert über strengere Einschränkungen beim Antibiotika-Einsatz in der Tierhaltung. Massentierhaltung fördert das Aufkommen resistenter Keime.
Antibiotikaregeln in der Tiermedizin - Hühner im Stall
Massentierhaltung erleichtert es Keimen, resistent gegen Antibiotika zu werden. - dpa
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Das Wichtigste in Kürze

  • Das EU-Parlament befasst sich mit Regulierungen zum Antibiotikaeinsatz in der Tierhaltung.
  • Der vermehrte Einsatz von Antibiotika gefährdet zahlreiche Menschenleben.
  • Auch in der Schweiz braucht es eine drastische Anpassung der Tierhaltungsbedingungen.

Das Parlament der Europäischen Union muss sich heute mit einem wichtigen Thema befassen: Um die Wirksamkeit bestimmter Antibiotika beim Menschen sicherzustellen, sollen ausgewählte Medikamente in Zukunft nicht mehr bei Tieren eingesetzt werden dürfen. Durch diesen Schritt erhoffen sich die Abgeordneten, die sich für das Anliegen einsetzen, eine weitere Zunahme von Antibiotika-Resistenzen zu verhindern. Eine solche hätte das Potential, künftig Millionen von Menschenleben zu gefährden.

Die sogenannte «stille Pandemie» ist in der EU bereits für schätzungsweise 33’000 Todesfälle pro Jahr verantwortlich – in der Schweiz sind es knapp dreihundert. Die Gesundheitskosten, die dadurch verursacht werden, gehen auf gesamteuropäischer Ebene in die Milliarden.

Fleischproduktion
Die Fleischproduktion kann in Massen produzieren und wird subventioniert, weshalb die Produkte billiger verkauft werden können. - dpa

Aktuell importieren wir knapp 100’000 Tonnen Fleisch pro Jahr aus dem Ausland – der mit Abstand grösste Teil stammt dabei aus der EU. Auch für uns Schweizer:innen ist die Entscheidung der Europäischen Union deshalb enorm wichtig. Ist dieses Fleisch wirklich sicher?

Wie verbreitet sind Antibiotika-Resistenzen wirklich?

Wenn man «Antibiotika» liest, denkt man vermutlich zuerst an die Humanmedizin und den gezielten Einsatz der Medikamente am Menschen. Die Faktenlage ist allerdings eine andere: In der Schweiz werden knapp die Hälfte der verfügbaren Antibiotika in der Tierproduktion eingesetzt. Zum Vergleich: In der EU ist es ein Drittel.

In Deutschland hat eine kürzlich veröffentlichte Studie der Deutschen Umwelthilfe zahlreiche Fleischprodukte der Discounter Lidl und Aldi analysiert. Das Ergebnis: In mehr als jeder vierten Probe wurden Keime entdeckt, die eine Resistenz gegen Antibiotika aufweisen.

Resistente Keime
Petrischalen mit sogenannten Krankenhauskeimen, die Mehrfachresistenzen gegenüber Antibiotika aufweisen. (Archivbild - dpa

Im Rahmen der Untersuchungen wurde Trutenfleisch in jeweils 31 Aldi- und Lidl-Filialen in Deutschland eingekauft. Beim Aldi-Fleisch lag der Anteil antibiotikaresistenter Keime bei rund einem Viertel, beim Lidl-Fleisch bei rund einem Drittel. Beide Discounter erfreuen sich bei Einkaufstourist:innen in grenznahen Gebieten grosser Beliebtheit.

Wie gefährlich sind Antibiotika aus der industriellen Tierproduktion?

Durch die Verwendung von Antibiotika steigt der Selektionsdruck auf Bakterien – es überleben jene, die sich wehren können. Diese setzen sich in der Folge durch.

Grosse Verwendung finden Antibiotika insbesondere in Situationen, die einen ungezielten, übermässigen Einsatz bedingen. Vor allem ein Produktionssystem wie die Massentierhaltung – im Ausland, aber auch in der Schweiz – ist aufgrund der hohen Populationsdichte und der schlechten Tierhaltungsbedingungen ein Nährboden für gefährliche Bakterien. Krankheiten gehören in solchen Betrieben oftmals zum Alltag.

Aufgrund der grossen Anzahl Tiere pro Gruppe ist ein gezielter Einsatz von Antibiotika zur Behandlung häufig schwierig. Multiresistente Keime sind unter Nutztieren entsprechend weit verbreitet. Da sich multiresistente Bakterien über den Konsum tierischer Produkte auch auf den Menschen übertragen, vermindert die Antibiotikaabgabe an Tiere auch die Chancen, Menschen zukünftig erfolgreich mit Antibiotika zu behandeln.

Auch die WHO ist davon überzeugt, dass diese Situation für uns Menschen langfristig lebensbedrohlich werden kann: Sie setzt Antibiotika-Resistenzen auf Platz fünf der Top-10-Liste globaler Gefahren für die menschliche Gesundheit.

Frank Montgomery, Präsident des Ständigen Ausschusses Europäischer Ärzte, sprach sich im Rahmen der Diskussion im EU-Parlament in aller Deutlichkeit für die Reglementierung von Antibiotika in der Tierhaltung aus. Dass mithilfe von Antibiotika teils eine schlechte Haltung und Pflege der Tiere ausgeglichen werde, «können wir als Ärzte nicht akzeptieren», so Montgomery.

Die Haltungsbedingungen müssen sich ändern – auch in der Schweiz

Zugunsten der Schweizer Tierhalter:innen muss festgehalten werden, dass der Einsatz von Antibiotika innerhalb unserer Landesgrenzen tendenziell abnimmt. Das hat nicht zuletzt mit einem strengen Massnahmenplan zu tun, der Wirkung zu zeigen scheint.

«Arena»
Am 25. September 2022 stimmt das Schweizer Stimmvolk über die Massentierhaltungsinitiative ab. - Keystone

Und dennoch muss festgehalten werden: Auch der aktuelle Antibiotika-Einsatz in der Massentierhaltung schadet der menschlichen Gesundheit. Die effektivste Methode, um dieser Tatsache nachhaltig entgegenzuwirken, ist eine Anpassung der Produktionsmethode – weg von industrieller Tierproduktion hin zu nachhaltigeren Produktionssystemen mit kleineren Gruppengrössen, die dem «Heidiland» Schweiz tatsächlich entsprechen.

Gleichzeitig müssen die Importe stärker reguliert werden, um eine vermehrte Einfuhr von antibiotikaresistenten Keimen aus dem Ausland zu verhindern. Dies fordert beispielsweise die «Initiative gegen Massentierhaltung». Im Initiativtext wird verlangt, dass der Bund Vorschriften über den Import von Tieren und Tierprodukten zu Ernährungszwecken erlässt. Fleisch aus Massentierhaltung dürfte somit nach Annahme der Initiative nicht mehr in die Schweiz importiert werden.

Und das wäre eine gute Nachricht – für die Tiere, aber auch für uns Menschen.

Zum Autor: Silvano Lieger ist Geschäftsleiter von Sentience Politics.

Silvano Lieger.
Silvano Lieger, Geschäftsleiter Sentience Politics. - zVg

Sentience Politics trägt die Interessen nicht-menschlicher Tiere in die Mitte der Gesellschaft. Die Organisation möchte durch institutionelle Veränderungen dafür sorgen, dass auch das Leid nicht-menschlicher Tiere möglichst effektiv minimiert wird. Dafür arbeitet Sentience Politics insbesondere mit den direktdemokratischen Mitteln, die uns in der Schweiz zur Verfügung stehen – namentlich Initiativen auf kommunaler, kantonaler und nationaler Ebene.

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