Unser Kolumnist denkt, dass die Schweiz erst seit 50 Jahren eine Demokratie ist – und belächelt die Männer, die sich noch immer vor Frauen fürchten.
Reda El Arbi
Gastautor bei Nau.ch: Reda El Arbi. - Nau.ch
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Das Wichtigste in Kürze

  • Nau.ch-Kolumnist Reda El Arbi erklärt die linksgrünversiffte Welt.
  • Reda El Arbi erlangte als Blogger und Journalist Bekanntheit.
  • Bis 2011 war er Chefredaktor des Satiremagazins «Hauptstadt».
  • Er lebt mit Frau und zwei Hunden in Stein am Rhein SH.

Nicht 1848 und schon gar nicht 1291 wurde die Schweiz zur Demokratie. Unser Land wurde vor genau 50 Jahren zu einer vollständigen Demokratie: An dem Tag, an dem die weibliche Hälfte der Bevölkerung endlich an die Wahl- und Stimmurnen zugelassen wurde. Und das nicht in allen Kantonen. Appenzell schaffte es erst 1990, die Frauen als vollwertige BürgerInnen zu akzeptieren. Nicht freiwillig, sondern unter Zwang des Bundes. Das ist 30 Jahre her. 30 Jahre. Damals war ich schon erwachsen und stimmberechtigt.

Wenn man zum 50. Jubiläum des Frauenstimmrechts die Medien und die sozialen Medien durchstöbert, sieht man deutlich, dass die Schweiz auch heute noch viel an Feminismus braucht, um eine Gleichwertigkeit der Geschlechter zu erreichen. Und unsere Gesellschaft hat die Gleichwertigkeit dringend nötig. Noch immer sind Frauen aufgrund ihres Geschlechts an vielen Orten benachteiligt und im persönlichen Leben Widerlichkeiten ausgesetzt, die sich Männer kaum bewusst sind.

Feminismus Frauenstreik
Aktivistinnen machen sich für das Recht der Frau stark. - Feministischer Streik Basel

Logischerweise sind es auch heute die gleichen rechten und reaktionären Kräfte, wie damals, beim Frauenstimmrecht, die sich heute noch immer der Gleichstellung der Frau entgegenstemmen. Sie beteuern zwar, dass sie (inzwischen) das Stimmrecht der Frauen super fänden, meinen aber gleichzeitig, dass es heute keinen Feminismus mehr brauche. Aus Angst vor dem Verlust ihres reaktionären Weltverständnisses sperren sie sich gegen jede Veränderung.

Es sind die Parteien und Politiker, die vor ein paar Jahren noch meinten, die Vergewaltigung in der Ehe sei eine Privatangelegenheit, die trotz Fakten Lohnungleichheit leugnen und die den Frauen individuell (zu dumm, zu faul, zu zart, nicht ehrgeizig) die Schuld daran geben, dass in den Chefetagen noch immer alte, weisse Männer und ihre Seilschaften regieren. Leute, die auf Gleichstellungsforderungen mit Angst, Wut, Beschwichtigung und Leugnung reagieren. Wie vor 50 Jahren, wie vor 30 Jahren, wie gestern.

angela merkel
Bundeskanzlerin Angela Merkel führt den Menschen die Brüchigkeit des Friedens vor Augen. - dpa

Es sind die gleichen Kräfte, die jetzt sich jetzt beim Burkaverbot mit «Feminismus» in die Brust werfen, wenn sie rund hundert Frauen vorschreiben wollen, was sie in der Öffentlichkeit tragen dürfen. Männer, deren Werte mehr mit dem reaktionären Frauenbild des Islam gemeinsam haben, als mit dem zeitgemässen Bedürfnis nach Gleichstellung.

Aber auch liberale Schwätzer pochen darauf, dass nicht das Geschlecht, sondern nur die Leistung für Erfolg im Leben und im Beruf zählt. Das sind die gleichen liberalen Schwätzer, die sich mit Zähnen und Klauen gegen einen minimalen Vaterschaftsurlaub wehrten, und denken, dass dies nichts mit struktureller Benachteiligung zu tun habe. Dass Frauen noch immer schief angesehen werden, wenn sie gleichzeitig Karriere und Kinder haben, dass Frauen bemitleidet werden, wenn sie mit 30 noch keinen Nachwuchs in die Welt gestellt haben, und dass Chefs aus Angst vor Schwangerschaften Männer bevorzugen, ignorieren sie dabei.

mann kinder homeoffice
Ein Mann arbeitet im Homeoffice, während im Vordergrund Spielzeug seiner Kinder steht. - dpa

Wenn Männer heute wirklich zu 50 Prozent für ihre Kinder verantwortlich wären, müssten sie sich auch bei jeder Gelegenheit anhören: «Und wie machst du das mit Beruf und Familie?» Aber nein, da ist es selbstverständlich. Bis heute ist dieses heuchlerische Bild der Frau als Mutter und des Mannes als Ernährer tief in den Köpfen der Ewiggestrigen. Offenbar ziehen diese Männer und auch viele Frauen ihren Selbstwert aus Rollenbildern, die nicht dem Menschen oder der persönlichen Leistung, sondern den Genitalien entspringen

Aber sind nur die systemischen Sichtbarkeiten der Ungleichheit. Häufiger - und schmerzhafter - sind die täglichen Bösartigkeiten, die sexistischen Abwertungen, die frau in der Regel ihr ganzes Leben hindurch erfährt. Jede fünfte Frau in der Schweiz hat sexuelle Übergriffe erlebt.

Jede fünfte Frau. Also sicher jemand in Ihrem direkten Umfeld.

Gewalt
Jede fünfte Frau in der Schweiz wurde schon Opfer sexueller Gewalt. - Keystone

Und da sind die widerlichen Kommentare und die kleinen, schmierigen Sprüche im Alltag noch nicht mitgerechnet. Wenn man in den sozialen Medien nachschaut, wie unterschiedlich Männer und Frauen angegriffen werden, kommt einem das Kotzen. Man schämt sich für diese bösartigen, sexistischen Hassbratzen, die bei Frauen immer auf Sex und Aussehen zielen. Aber das hat ja auch sein Pendant in den Medien: Welcher Politiker oder Wirtschaftsführer wird denn schon nach seiner Garderobe oder nach seiner erotischen Ausstrahlung (Fickbarkeit) beurteilt? Bei Frauen ist das noch immer normal.

Erbärmlich sind in diesem Zusammenhang die Männer, die sich selbst als «Antifeministen» betiteln. Ein Haufen Verlierer, die eigentlich nichts anderes tun, als ihre Angst vor Frauen in die Welt hinauszuschreien. Abwechslungsweise als weinerliche Opfer oder als machoide Westentaschen-Helden. Armselige Figuren.

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Eine Kfz-Mechanikerin wechselt in einer Werkstatt die Bremsscheibe eines Autos. - dpa

Ich wurde von zwei Frauen grossgezogen: Von meiner Mutter, einer wehrhaften Querulantin, die sich nichts vorschreiben liess, und von meiner Schwester, die als Unternehmerin gleich mehrmals Erfolg hatte, und nebenbei eine Tochter grosszog, weil der Erzeuger als Vater und als Partner unbrauchbar war. Wenn viele Leser*Innen denken, ich sei ein streitbarer Geselle, sollten sie sich besser nicht mit meiner Schwester anlegen. Sie ist im Gegensatz zu mir höflich, stilvoll und absolut vernichtend. Noch heute drohe ich in Auseinandersetzungen damit, sie zu Hilfe zu holen.

Meine Kindheit mit starken Frauen hat mir ein Frauenbild mitgegeben, das sie von Grund auf stark wahrnimmt, sie nicht verniedlicht und ihnen keine Opferrolle zuweist. Im Gegenteil! In einer Krisensituation würde ich mich in 9 von 10 Fällen wohl eher auf eine Frau verlassen.

Ruth Bader Ginsburg
Die Justiz- und Feminismus-Ikone Ruth Bader Ginsburg. - dpa

Was wohl erklärt, dass ich mit einer Frau verheiratet bin, die mich mit weltweiter Anerkennung, einem Doktortitel, einer Habilitation an der Uni und einer eigenen Forschungsgruppe bei MaxPlanck sowohl an Erfolg wie auch an Intelligenz überragt.

Und das verunsichert mich nicht. Das macht mich stolz.

Zum Autor: Reda El Arbi ist 51-jährig, kommt aus Zürich und zog vor einigen Jahren nach Stein am Rhein. Grosse Bekanntheit erlangte er mit seinem Zürcher «Stadtblog» für den «Tagesanzeiger». El Arbi schreibt unverblümt, hat zu allem eine Meinung und polarisiert auch gern. Er ist verheiratet und lebt mit Frau und mehreren Hunden in Stein am Rhein SH.

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