Paul Seippel trug zur innerschweizerischen Entspannung bei und brachte die Schweiz in den Völkerbund. Eine Analyse von Europa-Wissenschaftler Felix Brun.
Felix Brun
Felix Brun spricht während seiner Buchvernissage zum Publikum. - zVg
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Das Wichtigste in Kürze

  • Europa-Experte Felix Brun kommentiert Texte bedeutender Schweizer Persönlichkeiten.
  • In diesem Artikel befasst er sich mit dem Journalisten Paul Seippel.

Am 11. Mai 1920, also auf den Tag genau vor 99 Jahren, wurde in zahlreichen Deutschschweizer Zeitungen ein offener Brief abgedruckt, der er in sich hatte: Absender war der Westschweizer Journalist Paul Seippel, Adressat ein gewisser Herr Ulrich Wille, General der Schweizer Armee im Ersten Weltkrieg. Dass sich ein Westschweizer in der Deutschschweiz zu Wort meldete, zu Wort melden musste, hatte seine ganz spezifischen Gründe.

Als Kind des noch jungen Schweizerischen Bundesstaates hatte Paul Seippel (*1858-1926) die Rolle seiner Heimatstadt Genf als eine weltoffene, aber natürlicherweise zur Schweiz gehörenden Stadt verinnerlicht.

Dieser westlichste Zipfel der Schweiz, umgeben von Frankreich, war für Paul Seippel ein Heimatort, ein Ort, wohin er immer wieder zurückkehrte. Ein Stück Schweiz, ohne das die Schweiz nicht die mit der Welt verbundene Schweiz wäre, die für Seippel immer eine Selbstverständlichkeit war.

Genf
Karte eines städtebaulichen Projekts der Stadt Genf, publiziert am 21.05.07 in Genf. - Keystone

Schon in Seippels frühesten Texten tritt diese Schweiz den Lesern bildhaft vor Augen: Die bescheidene, kleine, vereinigte Schweiz im Gegensatz zu einem wichtigtuerischen, kriegerischen, auseinanderfallenden Europa.

Die geografische Lage der Schweiz, nicht nur als Mittelpunkt Europas, sondern auch als der erhöhte Ort in den Alpen, von dem aus das Licht der Freiheit in die dunklen Ebenen Europas ausstrahlt.

Die bildhafte Sprache ist ein wesentliches Merkmal Paul Seippels, sie erschliesst ihm eine treue Leserschaft in der gesamten Westschweiz und in Teilen Frankreichs. Immer wieder überschreitet Seippel auch physisch Grenzen, oftmals nicht nur Landesgrenzen, sondern immer wieder auch Sprachgrenzen.

Er studiert in Berlin und in Leipzig und geht 1895 zusammen mit einem reichen Genfer Bürgersohn auf eine Reise um den gesamten Globus, immer weiter westwärts, bis er schliesslich wieder in die Schweiz kommt und auch hier, auf engstem Raum, wieder westwärts gehen muss um nach eineinhalb Jahren endlich nach Genf zurück zu kommen.

Seippel lernt Europa in diesen Zeiten vor allem als einen Befestigungswall kennen. Es ist ein Europa, dessen Grenzen «mit von Kanonen gespickten Befestigungsanlagen markiert sind», ein Europa, das, so glaubt Seippel, so schnell wie möglich überwunden werden müsse, ein Europa auch, dass sich in einer Art Vereinigte Staaten von Europa mit föderaler Ausrichtung zusammenschliessen solle. Ein Europa also, dass sich um seine Minderheiten kümmert und ihnen einen institutionellen Schutz vor der Mehrheit bietet.

Westschweizer Paul Seippel gegen den deutschfreundlichen General der Schweizer Armee

Als sich während des Ersten Weltkrieges in der Schweiz die schon länger vorhandenen Fronten zwischen der Westschweiz und der Deutschschweiz mit der Wahl des deutschfreundlichen Ulrich Wille zum General der Schweizer Armee weiter verhärten, sieht Seippel sich gezwungen, seine Stimme zu erheben.

Ulrich Wille
Ulrich Wille, damaliger General der Schweizer Armee, fotografiert zwischen 1914 und 1918 an seinem Schreibtisch. - Wikimedia Commons

Er tut dies zusammen mit dem Deutschschweizer Schriftsteller Carl Spitteler: Gemeinsam legen sie ihre «Schweizer Standpunkte» dar, die in beiden Teilen der Schweiz sehr stark beachtet werden.

Nach dem Krieg war man sich einig in der Schweiz, dass das Eingreifen Spittelers und Seippels wesentlich zur innerschweizerischen Entspannung beigetragen hatte. Es galt nun, die Lehren, die man in Europa und in der Schweiz während des Ersten Weltkrieges gemacht hatte, in ein politisches Konstrukt, in den gerade entstehenden Völkerbund, einzubringen.

Völkerbund als füreinander verantwortliche Weltgemeinschaft

Für Seippel verkörperte der Völkerbund jenes ferne Ziel einer miteinander verbundenen, füreinander verantwortlichen Weltgemeinschaft. Als General Ulrich Wille mit einem spöttischen Brief die Bemühungen um einen Beitritt der Schweiz zum Völkerbund verleumdete, platzte dem sonst so besonnenen Paul Seippel der Kragen.

Seine Antwort auf die Provokation Willes, nachzulesen im oben erwähnten «offenen Brief» vom 11. Mai 1920: «Das ist der Stil Ludendorff. Diese Art und Weise ist nicht einmal einem mächtigen Kaiserreich zum Segen geworden, wieviel weniger taugt sie für eine kleine, demokratische Republik!»

Wenige Tage später, am 15. Mai 1920, stimmte die Schweizer Stimmbevölkerung an der Urne bekanntlich für einen Beitritt der Schweiz zum Völkerbund.

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«Sprechen wir über Europa»

Im Rahmen dieser Serie gibt Felix Brun, Journalist und wissenschaftliche Mitarbeiter bei der Neuen Europäischen Bewegung Schweiz, Abschnitte aus seinem Buch «Sprechen wir über Europa» preis. Dieses behandelt zehn Reden und Texte von bedeutenden Schweizer Persönlichkeiten, die die Überlegungen zum Verhältnis der Schweiz zu Europa wiederspiegeln.

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